Erdogan lässt Twitter abschalten und erntet Kritik
Nur Stunden nachdem der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seine Drohungen gegen soziale Medien verschärft hatte, ist der Kurznachrichtendienst Twitter in den Türkei nicht mehr erreichbar. Nutzer werden beim Versuch auf Twitter zuzugreifen von einer Botschaft der türkischen Regulierungsbehörden empfangen.
Dies berichtet die Nachrichtenagentur Reuters und bestätigt damit übereinstimmende Meldungen der Hürriyet Daily News und Today's Zaman. Demnach wurde der Zugang zu Twitter in der Türkei bereits in der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag eingeschränkt.
Die dafür zuständige Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologie selbst begründet diesen Schritt in einer Mitteilung (PDF-Datei) damit, dass Verantwortliche von Twitter Gerichtsentscheidungen ignoriert hätten. Die Plattform sei verpflichtet gewesen, bestimmte Links aufgrund von Beschwerden türkischer Bürger zu entfernen.
Twitter selbst erklärte gegenüber The Verge, dass das Unternehmen entsprechende Meldungen prüfe, dass der Dienst in der Türkei abgeschaltet worden sei. Zeitgleich zeigt der Kurznachrichtendienst den betroffenen Nutzern mit dem Versand von Statusmeldungen via SMS entsprechende Möglichkeiten auf, die Blockade zu umgehen.
In einer ersten Reaktion schreibt Neelie Kroes, Kommissarin für Digitale Agenda und Vizepräsidentin der EU-Kommission, auf Twitter: „Das Twitter-Verbot in der Türkei ist grundlos, sinnlos und feige. Das türkische Volk und die internationale Gemeinschaft werden dies als Zensur ansehen. Das ist es.”
Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hatte am Mittwoch angedroht, Twitter zu verbieten. Ihm sei die Reaktion der internationalen Gemeinschaft darauf egal, rief Erdogan auf einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei. „Twitter und solche Sachen werden wir mit der Wurzel ausreißen“, sagte der Regierungschef. Was dazu die internationale Gemeinschaft sagt, interessiere ihn dazu überhaupt nicht, zitiert ihn die New York Times. Man werde sehen, wie mächtig der Zustand der Türkei ist.
Das Eindringen ins Privatleben oder das Ausspionieren von Staatsgeheimnissen durch soziale Netzwerke sei von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Im Netz waren in den vergangenen Wochen mutmaßliche Telefonmitschnitte von Erdogan aufgetaucht. In einem von ihnen ruft der islamisch-konservative Ministerpräsident seinen Sohn dem Anschein nach auf, große Geldsummen zu verstecken.
In einem anderen über YouTube verbreiteten Mitschnitt, den der Regierungschef als echt bestätigte, forderte er den früheren Justizminister Sadullah Ergin auf, den Prozess gegen den türkischen Medienunternehmer Aydin Dogan, dessen Gruppe mit Erdogans Regierung zeitweise zerstritten war, genau zu verfolgen.
Die Grundlage für die aktuelle Sperre von Twitter ist das im Februar verabschiedete Gesetz. Dieses sieht vor, Internetseiten oder bestimmte Inhalte zunächst ohne vorherigen Gerichtsbeschluss sperren zu können, erst anschließend soll ein Amtsrichter innerhalb von 48 Stunden den Beschluss überprüfen und bei Bedarf wieder aufheben.
Zudem sollen die Internetanbieter verpflichtet werden, Nutzerdaten für zwei Jahre zu speichern. Von dieser Regelung sind auch zahlreiche soziale Netzwerke betroffen, die bereits in der Vergangenheit rund um die Gezi-Proteste in den Fokus der Regierung geraten waren.
Was Staatspräsident Gül von Erdogans Vorgehen hält, bekommt die Weltöffentlichkeit in diesen Stunden ausgerechnet über Twitter mitgeteilt. Gül billigt das Vorgehen nicht. Auch sei es utopisch, den Zugang zur Plattform in der heutigen Welt vollständig zu sperren. Gül hofft, dass die Sperrung nicht lange aufrecht gehalten werden wird.