EU-Parlament für Netzneutralität mit Hintertüren
Der Industrieausschuss im EU-Parlament hat sich auf eine gesetzliche Regelung zur Netzneutralität geeinigt. Provider dürfen dem Entwurf zufolge keinen Traffic von Internetdiensten blockieren oder drosseln, die sogenannten Spezialdienste („special services“) sind aber erlaubt.
Unternehmen sollen demnach die Möglichkeit haben, Spezialdienste etwa für Video-on-Demand-Plattformen anzubieten. Den Nutzern wird dann garantiert, dass der Video-Traffic in einer bestimmten Qualitätsstufe übermittelt wird. Laut dem Entwurf ist das aber nur zulässig, wenn die Spezialdienste keinen Einfluss auf die Internet-Geschwindigkeiten der übrigen Nutzer haben.
Kritiker befürchten allerdings, dass mit den Spezialdiensten letztlich der Weg zu einem Zwei-Klassen-Netz geebnet wird. Die Plattform Save the Internet kritisiert etwa, dass der Begriff „Spezialdienst“ nicht präzise definiert ist. Daher bieten sich rechtliche Lücken, die Provider ausnutzen könnten. „Es droht daher, dass ein Zwei-Klassen-Internet geschaffen wird, wo manche Dienste priorisiert, während andere wiederum gebremst werden“, heißt es im Statement von Save the Internet. Die Bürgerrechtsorganisation Digitale Gesellschaft befürchtet, dass durch die Spezialdienste ein neuer „Tarifdschungel“ entsteht, in dem Nutzer sich „mit einer Vielzahl unterschiedlicher Zugangsangebote und Zusatzpakete konfrontiert sehen“.
Alexander Sander, Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft, fordert daher, der „Zugang zum offenen Internet und die Wahlfreiheit bei Diensten, Inhalten und Endgeräten muss als einklagbares Recht“ der Nutzer ausgestaltet werden. „Indem sich der Ausschuss einer solchen Formulierung in den Weg stellt, verweigert er Verbraucherinnen und Verbrauchern das nötige Rüstzeug zur effektiven Verteidigung ihres Netzzugangs und beschert ihnen stattdessen neue Rechtsunsicherheiten“, so Sander.
Ein weiterer Kritikpunkt ist eine Passage, die Provider trotz Netzneutralität dazu verpflichtet, Inhalte aufgrund von Gesetzen oder richterlichen Entscheidungen zu blockieren oder zu drosseln. Die EU rechtfertigt diese Ausnahme mit der Begründung, man wolle auf diese Weise „schwere Kriminalität verhindern oder erschweren“. Bürgerrechtler wie Sander kritisieren allerdings, so eine Vorbehaltsklausel würde die Einführung einer EU-weiten Zensurinfrastruktur begünstigen. Sollte diese im Entwurf bleiben, würden die EU-Abgeordneten „dem Schutz eines freien und offenen Internet einen Bärendienst erweisen“, so Sander.
Noch ist der Entwurf aber nicht in Stein gemeißelt. Die Abstimmung im Industrieausschuss bildet die Grundlage für die Beratung im Plenum des EU-Parlaments, das Anfang April über die finale Fassung abstimmen wird.