80Plus-Siegel kommt für 230-Volt-Netzteile
80Plus-Messungen dürfen ab sofort auch mit 230 Volt Eingangsspannung durchgeführt werden, wenn das Netzteil für Märkte abseits der Vereinigten Staaten vorgesehen ist. Faktisch werden 80Plus-Siegel damit abgewertet.
Die 80Plus-Initiative prüft gegen Entgelt den Wirkungsgrad von Netzteilen und vergibt je nach erreichtem Wirkungsgrad werbewirksame Siegel. Einhergehend mit dem Fokus auf den US-amerikanischen Heimatmarkt wurden alle Netzteile abseits von Spezialfällen wie redundanten Geräten für Rechenzentren mit einer Eingangsspannung von 115 Volt getestet. Netzteile, die sich nicht für 115 Volt eignen, konnten daher nicht zertifiziert werden. Hersteller mussten sich daher entscheiden, ob sie den je nach ausgewählten Märkten unnötigen Weitbereichseingang realisieren oder auf die marketing-freundlichen Auszeichnungen verzichten. Einige Netzteilmarken nutzen zudem die Lücken im System 80Plus aktiv aus und verwendeten die Siegel ohne Berechtigung auch bei Spannungswandlern, die die Anforderungen nicht erfüllen.
Inzwischen gibt es auf der Internetseite von Ecova eine Liste mit 230-Volt-EU-Netzteilen sowie definierte Anforderungen für die Erteilung der verschiedenen Effizienzsiegel. Die Namen und Grafiken der Effizienzstufen wurden dabei ebenso wie die Anforderungen an den Wirkungsgrad von den US-Pendants übernommen. Die Richtlinien zur normgerechten Messung wurden hingegen bisher nicht aktualisiert und befinden sich auf dem Stand von April 2012. Zu eventuellen Änderungen am Messverfahren gibt es daher noch keine Informationen.
Während die Idee, sich bei der Bewertung des Wirkungsgrades am weltweit deutlich weiter verbreiteten 230-Volt-Standards zu orientieren, absolut sinnvoll ist, scheint die Umsetzung wie ein Schnellschuss zur Vorbereitung der Einführung verbindlicher Effizienzanforderungen in der EU zum 1. Juli dieses Jahres. Der Bedarf für ein Effizienzsiegel für reine 230-Volt-Netzteile ergibt sich dabei nicht direkt aus der EU-Richtlinie, sondern aus den Anforderungen des Handels. Versichert ein Hersteller die Erfüllung der Anforderungen an den Wirkungsgrad und liefert tatsächlich ausreichend effiziente Netzteile aus, ist den EU-Vorgaben genüge getan. Allerdings ist davon auszugehen, dass Händler, die selbst keine Messungen durchführen können, Produkte, die von einem Dritten als den Anforderungen genügend getestet wurden, bevorzugen.
Fragwürdig sind hingegen die neu definierten Anforderungen. Netzteile, die bei 230 Volt getestet werden, müssen exakt die gleichen Anforderungen erfüllen wie ihre 115-Volt-Konkurrenten. Wie auch aus unseren Netzteil-Tests bekannt, arbeiten Netzteile bei 230 Volt Eingangsspannung vor allem im oberen Lastbereich sparsamer. Ein Gewinn von einem Prozentpunkt bei mittlerer Last und zwei bis drei Prozentpunkten bei Volllast sind üblich. Netzteile, die mit 115 Volt zertifiziert wurden, arbeiten daher im 230-Volt-Netz effizienter als ihre bei 230 Volt getesteten Kollegen. Da Ecova für alle Laststufen die Anforderungen übernommen hat, 115 Volt und 230 Volt aber keineswegs gleichwertig und auch die Siegel optisch identisch sind, handelt es sich faktisch um eine Entwertung. Ein neues 80Plus-Platinum-Netzteil ist daher eher mit einem bereits früher getesteten 80Plus-Gold-Netzteil vergleichbar.
Auf der Website der 80Plus-Initiative gibt es zu diesem Umstand bisher keinen Hinweis. Ebenso ist die Liste bereits zertifizierter Netzteile noch leer. Spannend ist zudem, ob Netzteilmarken ihre bisherigen Serien zum Teil neu testen lassen werden, um die nächst höhere Zertifizierungsstufe ohne Veränderungen der Elektronik zu erreichen. Wir haben eine Anfrage diesbezüglich an zahlreiche Netzteilhersteller versendet und rechnen mit Rückmeldungen im Laufe dieser Woche.