Vom NetzDG zum DSA: Digital Service Act tritt als Online-Grundgesetz der EU in Kraft

Michael Schäfer
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Vom NetzDG zum DSA: Digital Service Act tritt als Online-Grundgesetz der EU in Kraft
Bild: dimitrisvetsikas1969 | gemeinfrei

Heute tritt der als „Grundgesetz für das Digitalzeitalter“ beschriebene Digital Services Act (DSA) nach der Verabschiedung vor einem Jahr in Kraft. Dieser vereinheitlicht die Regeln für Internetdienste in der EU und ersetzt damit auch nationale Gesetze wie das Anfang 2018 eingeführte Netzwerk-Durchsetzungsgesetz (NetzDG).

Mehrklassengesellschaft

Der Digital Service Act betrifft alle Internetdienste, nimmt aber große Anbieter besonders in die Pflicht. So müssen seit dem heutigen Tage nicht nur Plattformen und Suchmaschinen die neuen Regelungen befolgen, auch für Onlineshops gilt unter anderem die neue Gesetzgebung. Im Grunde fällt nun jeder Dienst unter den Digital Services Act, bei dem Nutzer selber direkt Inhalte zum Angebot beisteuern können und seien es nur Produktrezensionen. Mehr Verbraucherschutz, mehr Transparenz bei Plattformen und ein vereinheitlichtes Regelwerk in Europa – das sind die Ziele, die die EU verfolgt

Inwieweit die DSA-Vorgaben greifen, hängt von der Anzahl der Nutzer ab: Je größer ein Dienst ist, desto mehr Auflagen und Pflichten erhält dieser. Was für Vorgaben für welche Art von Diensten gilt, beschreibt die EU-Kommission in einer Übersicht. Portale und Dienste mit einer Nutzerzahl von 45 Millionen und mehr zählen zu den großen Anbietern, welche die höchsten Anforderungen erfüllen müssen. Die von der EU im April veröffentlichte Liste umfasst insgesamt 19 Dienste:

  • Alibaba AliExpress
  • Amazon Store
  • Apple AppStore
  • Booking.com
  • Facebook
  • Google Play
  • Google Maps
  • Google Shopping
  • Instagram
  • LinkedIn
  • Pinterest
  • Snapchat
  • TikTok
  • Wikipedia
  • X bzw. Twitter
  • YouTube
  • Zalando

Hinzu kommen mit der Google-Suche und Microsofts Bing noch zwei Suchmaschinen, die in die höchste Kategorie einsortiert werden. Vertreten sind also bekannte Plattformen, im Fall von Google sind es sogar insgesamt vier Dienste. Die EU-Kommission will regelmäßig überprüfen, ob die Liste noch aktuell ist. Populäre Dienste wie ChatGPT können bei anhaltendem Erfolg also auch bald den verschärften Regeln unterliegen.

Was genau unter 45 Millionen Nutzern zu verstehen ist, ist indes noch nicht abschließend geklärt. So klagt bereits Zalando – das einzige europäische Unternehmen auf der Liste – gegen die Aufnahme. Insgesamt kommt die Modeplattform laut eigenen Angaben auf 83,3 Millionen Nutzer, allerdings unterteilt sich das Angebot in das hauseigene Handelsgeschäft und den Marktplatz, den externe Anbieter nutzen können. Laut Zalando wäre nur dieser als Plattform für den DSA relevant – und dieser würde mit 30,3 Millionen Nutzern nicht unter die verschärften DSA-Regeln fallen.

Alles unter einem Dach

Ein weiterer großer Unterschied besteht in der Zuständigkeit: Während bei kleineren Unternehmen noch nationale Behörden über die Einhaltung der neuen Regelungen wachen und eventuelle Strafen verhängen können, ist bei den größeren Anbietern ausschließlich die EU-Kommission zuständig. In Deutschland wird es für diese Einteilung aber noch ein wenig dauern, denn das entsprechende Umsetzungsgesetz lässt weiterhin auf sich warten. Es ist noch nicht dem Bundeskabinett vorgelegt worden.

Da der DSA auch den Umgang mit Hatespeech und illegalen Inhalten auf Social-Media-Plattformen regelt, wird dieser das NetzDG ersetzen, das Plattformen mit einer bestimmten Größe vorschrieb, welche Inhalte mit welchen Fristen zu löschen sind. Nun gelten europaweit einheitliche Pflichten. „Für die Durchsetzung des lange umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes war das Bundesamt für Justiz in Bonn zuständig. Alte Verfahren nach dem NetzDG darf es jedoch noch weiterbetreiben“ wird eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums auf Heise Online zitiert.

Auch Nutzer werden Änderungen bemerken

Das neue Regulierungssystem wird auch Auswirkungen auf Nutzer besitzen. So gibt der DSA vor, wie Anbieter mit den jeweiligen Inhalten umzugehen haben, welche über ihre Dienste veröffentlicht werden.

Grundsätzlich hat sich im Vergleich zum NetzDG nur wenig geändert. Anbieter müssen auch weiterhin erst tätig werden, wenn sie von den Vorgaben nach rechtswidrigen Inhalten Kenntnis erhalten, vorgeschaltete Prüfungen sind somit nicht zwingend. Die umstrittenen Löschfristen des NetzDG von 24 Stunden beziehungsweise sieben Tagen verbunden mit einer Strafandrohung von bis zu 50 Millionen Euro gelten nicht mehr, generell sieht der DSA keine festgelegten Zeiträume vor. Vorgeschrieben ist lediglich, dass die Entscheidung für oder gegen die Löschung „zeitnah, sorgfältig, frei von Willkür und objektiv“ getroffen werden muss.

Rechte der Nutzer

Werden Inhalte als rechtswidrig erkannt, müssen Nutzer über eventuelle Entscheidungen und die Folgen für ihre Zugänge informiert werden. Dazu gehört auch eine Begründung, ob die Löschung aufgrund eines Verstoßes gegen die eigenen Richtlinien des Dienstes oder nach eigener Einschätzung der Rechtslage erfolgte. Um Willkürentscheidungen und das als Overblocking bezeichnete vorschnelle Sperren von Inhalten möglichst zu unterbinden, können Nutzer ihrerseits gegen diese Entscheidung vorgehen. Sollte dies nicht im Sinne des Nutzers von Erfolg gekrönt sein, kann nach wie vor der Rechtsweg bestritten werden.

Nutzer können auswählen, ob Algorithmen Social-Media-Inhalte filtern

In einigen Bereichen geht der DSA hingegen weit über die bisherigen Auflagen hinaus – und die Reaktionen der Anbieter muten teilweise skurril an. Kreativ zeigt sich dabei Meta, das die neue Pflicht, auch eine nicht per Alogrithmus aufbereitete Darstellung der Inhalte anzubieten, kurzerhand zum neuen Feature erklären. „Wir geben unserer europäischen Community nun die Option, Inhalte auf Reels, Stories, Search und anderen Teilen von Facebook und Instagram zu entdecken, die nicht über das System von Meta vorsortiert werden.“, so das Unternehmen in einem Blog-Eintrag. Aber auch Suchmaschinen wie Google oder Microsofts Bing müssen entsprechende Möglichkeit anbieten. Interessant ist dabei der Umstand, dass die gleichen Unternehmen im Vorfeld eine solche Funktion als kaum umsetzbar und nur wenig nutzerfreundlich eingestuft hatten.

Darüber hinaus müssen große Anbieter ein Archiv für die auf ihren Diensten geschalteten Anzeigen einrichten und auch den Zugang für Forscher gewährleisten. Auch das Erstellen von Transparenzberichten gehört für viele Unternehmen von nun an zur Pflicht. Google hatte in den letzten Tagen erst sein neues Transparenz-Center vorgestellt. Ob dies im Zusammenhang mit den nun aktiv gewordenen Regelungen steht, ist nicht bekannt. Ferner müssen nun alle bekannten Rechtsverstöße gemeldet werden, das NetzDG umfasste nur eine Positiv-Liste von Paragrafen des deutschen Strafgesetzbuches, zu denen beispielsweise Urheberrechtsstreitigkeiten nicht gehörten. Auch dies ändert sich nun.

Handlungsmanipulation ab sofort verboten

Onlineshops wird darüber hinaus ab sofort die Nutzung von sogenannten „Dark Patterns“ verboten, welche durch ihre Gestaltung Nutzer zu Handlungen verleiten sollen, welche diametral zu ihren eigentlichen Interessen stehen. Ebenso wird Empfehlungssystemen eine höhere Transparenz auferlegt sowie die Möglichkeiten zur Personalisierung beschnitten. Auch dem Verbraucherschutz soll Rechnung getragen werden: Marktplatzbetreiber wie Ebay oder Amazon müssen ab sofort Gewährleistung dafür tragen, dass die angegebenen Anbieter auch wirklich existent sind.

Risikobewertung nicht ganz klar

Ein großes Fragezeichen verbirgt sich noch über der Anforderung an große Player über die Vornahme regelmäßiger Risikoeinschätzungen. In diesen müssen die Dienstbetreiber angeben, inwieweit durch sie oder durch das zur Verfügung gestellte Angebot eine Verbreitung rechtswidriger Inhalte verstärkt wird oder nachteilige Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit oder Wahlprozesse entstehen. Auch Auswirkungen auf den Schutz der Menschenwürde, dem Gesundheitsschutz oder geschlechtsspezifische Gewalt müssen in diesen Aufgeführt werden. Mit dem genannten Katalog werden Anbieter ebenso verpflichtet, beim Erkennen solcher Risiken aktiv Maßnahmen gegen diese einzuleiten.