Chatkontrolle: Ylva Johansson sorgt für Unmut bei Abgeordneten

Michael Schäfer
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Chatkontrolle: Ylva Johansson sorgt für Unmut bei Abgeordneten
Bild: bepart64 | gemeinfrei

Ylva Johansson gilt als die treibende Kraft hinter der neuen EU-Verordnung, die allgemein als „Chatkontrolle“ bekannt ist. Ende September veröffentlichte Dokumente stellen die Neutralität der EU-Innenkommissarin nun in Zweifel. Eine gestrige Befragung im EU-Innenausschuss brachte kein Licht ins Dunkel, dafür aber harsche Kritik.

Ende September veröffentlichten mehrere europäische Medien, darunter Die Zeit aus Deutschland, Balkan Insight und Le Monde aus Frankreich Recherchen, die ein anderes Licht auf die Bemühungen der EU-Kommission zur Chatkontrolle werfen und durch die Johansson sich nun mit dem Vorwurf des Lobbyismus konfrontiert sieht.

Undurchsichtiges Netzwerk-Geflecht

Im Mittelpunkt der Berichte steht der Versuch eines Netzwerks aus Nichtregierungsorganisationen, mit Hilfe finanzkräftiger Stiftungen die umstrittenen Pläne der EU-Kommission zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern durchzusetzen. Unter diesen befindet sich auch das Kinderschutzprojekt Thorn, welches von den Schauspielern Ashton Kutcher und Demi Moore gegründet wurde. Darüber hinaus hat die Organisation eine eigene Software zur Erkennung von Missbrauchsmaterial entwickelt, die sie kommerziell anbietet.

Der Bericht nennt auch die Oak-Foundation, die vor allem durch die finanzielle Unterstützung anderer Organisationen in Erscheinung getreten sein soll, darunter die Initiative Brave Movement, die den Autoren nach eigens zur Unterstützung der Kommissionspläne gegründet wurde, sowie die Beratungsfirma Purpose. Weiter wird Weprotect genannt, der Unternehmensgrößen wie Amazon, Apple, Adobe, Google, Dell, Microsoft, Meta und Intel angehören. So soll es den Berichten zufolge ein ganzes Geflecht von Lobbyvereinen und Organisationen geben, die nicht nur enge Verbindungen zur EU-Innenkommissarin Ylva Johansson pflegen sollen, sondern auch zur EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Ein von Netzpolitik.org veröffentlichter Brief zwischen der EU-Kommissarin und Thorn vermittelt den Eindruck, dass die Organisation sogar unmittelbar an der Ausarbeitung der umstrittenen EU-Verordnung beteiligt gewesen sein könnte. In dem Schreiben bittet Johansson diese sogar für die Öffentlichkeitsarbeit um Unterstützung.

Umstrittene Werbung

Bereits Ende September forderte der Innenausschuss des EU-Parlaments eine Aufklärung des Sachverhaltes, dem Johansson jedoch zunächst nicht nachkam. Mitte Oktober veröffentlichte der niederländische Jurist und Digitalexperte Danny Mekić einen Artikel, in dem er beschreibt, dass die EU-Kommissarin Werbung für die Chatkontrolle auf X, ehemals Twitter, in Ländern schaltete, die dem Vorhaben eher kritisch gegenüberstehen – und das einen Tag, nachdem deutlich wurde, dass das Vorhaben unter den Mitgliedsstaaten keine Mehrheit finden würde. Das Brisante daran: Eigentlich will die Europäische Union die als Mikrotargeting bezeichnete Form der gezielten Werbung aufgrund der Manipulationsmöglichkeiten stärker reglementieren. Ob hier auch gegen den Datenschutz verstoßen wurde, ist unklar, dennoch hat der Europäische Datenschutzbeauftragte eine Voruntersuchung eingeleitet.

Johansson weist Vorwürfe zurück

In einem Brief wies Johansson die gegen sie erhobenen Lobby-Vorwürfe Anfang Oktober zurück und bezeichnete die Anschuldigung als „sensationslüsternd“. Ihrer Aussage nach sollte mit den Berichten der Eindruck erweckt werden, dass ein Fehlerverhalten ihrerseits vorliege und die Veröffentlichungen dabei „die normale Konsultationstätigkeit der Kommission falsch darzustellen“ versuche. Gleichzeitig gab sie an, alle Interessengruppen gleichermaßen anzuhören, dem Experten aber widersprachen.

EU-Innenausschuss bittet zum Gespräch

Aufgrund der Vorkommnisse musste Johansson heute im EU-Innenausschuss (LIBE) Rede und Antwort stehen. In der Sitzung, über die sich im Nachhinein nicht wenige Abgeordnete sichtlich irritiert zeigen sollten, versuchte Johansson die Vorwürfe als Nebensache herunterzuspielen und betonte immer wieder den Schutz der Kinder, ohne wirklich auf die Vorwürfe einzugehen. Auch die kritisierten Treffen mit verschiedenen Organisationen stellte sie erneut als völlig normalen Vorgang dar. Die meiste Zeit ihrer Stellungnahme nutzte die Schwedin jedoch, um die Chatkontrolle zu verteidigen.

Direkte Fragen zur umstrittenen Mikrotargeting-Kampagne soll Johansson mit der Aussage begegnet sein, das sie weder Kenntnis über genauere Details der Kampagne besitze noch dass sie in diese involviert gewesen sei. Sie verwies lediglich darauf, dass die Kampagne als Teil einer kommissionsinternen Untersuchung auf mögliche Verstöße gegen den Digital-Service-Act (DSA) überprüft werden soll. Auch kritischen Fragen zu den finanziellen Interessen von Technologieunternehmen wich die EU-Kommissarin aus. Die EU-Verordnung sei ihrer Aussage nach „technologieneutral“. Dem Bericht von Netzpolitik.org zufolge soll sie sich dabei nach eigenen Angaben „drei Mal mit Microsoft, sechs Mal mit Google, drei Mal mit Twitter, drei Mal mit TikTok, ein Mal mit der ICANN, einmal mit Apple, einmal mit Amazon, zwei mal mit Thorn und zweimal mit Brave“ getroffen haben – wobei zumindest Thorn und Brave technische Lösungen für das Aufspüren von Missbrauchsinhalten anbieten.

Massive Kritik nach Auftritt

Nach der rund 90-minütigen Sitzung sparten Abgeordnete nicht mit Kritik: So gab Cornelia Ernst (Linke) an, dass sie Johansson nach diesem Auftritt persönlich misstraue, da sie zum einen ihr Mandat für Lobbyismus missbraucht und die Arbeit des Parlamentes in Abrede gestellt habe. Außerdem zeigte sie sich schockiert darüber, „wie wenig die Kommissarin Johansson auf die wichtigen Fragen der Abgeordneten geantwortet hat und die nötige Aufklärung eher verhindert“. Gleichzeitig widersprach sie Johansson, dass diese Praxis bei einer Gesetzgebung normal sei. Ohne weitere Klärung dürfe das EU-Parlament ihrer Meinung nach nicht über die Verordnung abstimmen.

Noch deutlicher wurde Patrick Breyer (Piraten), der der grünen Fraktion im EU-Parlament angehört, in einer Pressemitteilung. In dieser bezeichnete er die EU-Kommissarin als „uneinsichtig“, die „auf die Enthüllungen mit ihrer üblichen Propaganda antworten würde“. Johansson argumentiere dabei mit Erhebungen, „etwa durch Berufung auf eine voreingenommene und suggestive Eurobarometer-Umfrage, die gegen die Regeln der guten Meinungsforschung“ verstoßen würde. In der Debatte gab Breyer an, die EU-Kommissarin zur Verantwortung ziehen zu wollen und über den juristischen Dienst bereits eine Klage gegen die EU-Kommission prüfen zu lassen sowie eine Beschwerde bei der EU-Ombudsfrau eingereicht zu haben. Gleichzeitig gratulierte Breyer Johansson zu ihrer neuen Nebentätigkeit als „Überwachungsinfluenzerin“.

Wie Heise.de schreibt, erklärt die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel, dass die Kommission zudem nie erklärt habe, wie die Verordnung am Ende praktisch umgesetzt werden soll. Stattdessen wurde das Thema mit Hinblick auf Millionen Missbrauchsbilder und „die armen Kinder“ ihrer Meinung nach vollends emotionalisiert, um den Druck auf die Gremien zu erhöhen. Für sie ist die Verordnung nichts anderes, als wenn der Staat in jeden Haushalt gehen und diese kontrollieren würde, weil es in einzelnen Bundesländern auch Pädophile gibt.