Kommentar: Die Content-Industrie hat nichts gelernt!
Werte Content-Industrie,
ist es wieder so weit? Steht wieder einmal der Untergang des Abendlandes bevor?
Es ist ja schön, dass eure Musikverwerter sich wieder einmal zusammenfinden, um über deren Zukunft zu beratschlagen. Nur sind meine Hoffnungen, dass hierbei auch wirklich etwas Brauchbares herauskommt, gelinde gesagt, kaum messbar.
Zulange schon jammert ihr auf unerträglichem, hohem Niveau, seit über 40 Jahren liegt ihr im Sterben und habt damit schon lange den deutschen Wald hinter euch gelassen. Zuerst war es das Tonband, welches euch den Todesstoß zu versetzen drohte, Ende der 1970er dann die Musikkassette, dann kam auch noch die beschreibbare CD hinzu und nicht zuletzt versuchte die Digitalisierung von medialen Inhalten euch den Garaus zumachen – kurz: Jedes Jahrzehnt habt ihr euren eigenen Nachruf verfasst. Immer wieder kam von euch das Mahnen, dass durch das ganze Kopieren die Inhalte in Gefahr wären. Was ihr nie verstanden habt: Es gab nie ein Kopierproblem, aber ein gehöriges Kapierproblem eurerseits.
Und jetzt treffen sich wieder einige von euch, um zu schauen, was sich ändern muss. Ich hätte da einen kleinen, ja fast schon naiv anmutenden Vorschlag für euch: Wie wäre es, wenn ihr einmal, nur zur Abwechslung, auf den Konsumenten hört?
Ihr jammert darüber, dass eure Einnahmen zurückgehen – und schiebt dies immer auf die böse, illegale Verbreitung eurer Inhalte. Die naheliegendsten Dinge seht ihr gar nicht – oder wollt ihr sie nicht sehen?
Gehen wir doch mal zurück in meine Jugend, die in den 1980ern lag. Welche Möglichkeiten hatten wir damals, unser Geld auszugeben? Es gab da Dinge wie Schallplatten, Bücher, Zeitschriften, Kino oder Konzerte. Computerspiele waren für uns damals, selbst zu C64er-Zeiten, meist unerschwinglich. Auch die Anzahl der für uns zu erstehenden elektronischen Geräte war recht überschaubar.
Und heute? Heute können die Jugendlichen Geld für Musik, Zeitschriften, Bücher, Kino, Videos, Apps, Computerspiele und noch vieles mehr ausgeben. Auch die Zahl der elektronischen Geräte ist stark gestiegen. Wir waren damals schon froh, wenn wir einen Walkman und Batterien hatten.
Natürlich muss die Musikindustrie das Feld heute mit vielen anderen Produkten teilen, weshalb es nur logisch ist, dass für euch weniger vom Kuchen übrig bleibt. Aber die Erkenntnis vermisse ich nach wie vor bei euch.
Wie wäre es, wenn sich die Musikindustrie endlich wieder mal auf frühere Qualitäten besinnen und endlich wieder qualitative Produkte anbieten würde? Wie wäre es, wenn endlich mal wieder Bands aufgebaut werden, die sich auch mal einen Flop erlauben dürfen? Hier wird sich über rückgängige Verkäufe gewundert und keiner merkt dabei, dass der Konsument wieder ehrliche, von Hand gemachte Musik möchte und nicht diese ganzen Casting-Clowns, deren Halbwertzeit weitaus geringer ausfällt als das Erinnerungsvermögen meiner Katzen. Mal ganz ehrlich: Wer kennt denn noch die letzten Sieger? Stattdessen wird man nicht müde, die neuen, nicht mal mehr mittelmäßigen Alben als das Maß aller Dinge anzukündigen. War es früher einfach nur ein Top-Album, war es wenig später schon ein Hit-Album – und das schon, bevor das Album überhaupt erschienen ist. Darauf folgte das Top-Hit-Album und letztens kam mir in der Werbung schon das neue „Jahrhundert-Album“ entgegen – dabei hat dieses Jahrhundert gerade erst begonnen. Kommt da dann noch was? Oder war es das schon? Oder kommt als Nächstes das „Jahrtausend-Album“? Und dann?
Natürlich ist Musik, wie Herbert Knebel einmal vortrefflich feststellte, Bandbreite. Aber wie erklärt ihr es euch, dass der Verkauf von Konzertkarten immer weiter steigt und dass gerade Genre-Künstler, die der Masse eher unbekannt sind, die Hallen vollmachen, die eure Casting-Gewinner nicht voll bekommen?
Und jetzt hockt ihr wieder beisammen - und überlegt, mit welchen Methoden ihr uns weiterhin das Geld aus der Tasche ziehen könnt. Wie wäre es, wenn ihr da einmal einen Blick auf die illegalen Anbieter werft? Denn es stellt sich vor allem eine Frage: Warum waren Seiten wie kino.to so erfolgreich? Vielleicht, weil sie dem Konsumenten auf einfache (wenn auch illegale) Art das geboten haben, was er wollte? Warum schafft ihr mit euren ganzen Möglichkeiten dies nicht? Selbst ich würde viel Geld bei euch lassen.
Warum werden wir hier z.B. weiterhin mit DVD-Ausgaben aktueller Serien zugemüllt, wenn diese im TV schon in HD ausgestrahlt werden? Warum werden diese Serien in den USA auch auf Blu-Ray veröffentlicht? Und dann wundert ihr euch, dass sich mancher Konsument lieber die hochauflösende Variante mit unterlegter deutscher Tonspur irgendwo runterlädt? Warum bietet ihr diese nicht direkt an? Nein, ihr wollt das Ganze lieber noch solange ausschlachten wie nur irgend möglich. Nur spielt da, und das passt überhaupt nicht in euren Plan, der Kunde nicht mit.
Illegale Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Inhalten ist natürlich in aller Form abzulehnen – alleine schon, weil der Künstler für seine Arbeit auch entlohnt werden soll. Nur bringt es überhaupt nichts, wenn ihr beim Konsumenten die Daumenschrauben immer weiter anzieht und sogar nicht davor zurückschreckt, Einfluss auf die Politik zu nehmen, damit sie unsere Bürgerrechte gesetzlich noch weiter einschränkt.
Anscheinend habt ihr aus kino.to und allen anderen Tauschbörsen nichts gelernt! Für jede Tauschbörse, welche ihr schließen lasst, stehen mehrere neue in den Startlöchern. Ihr könnt dem Problem einfach nicht beikommen, wenn ihr die Konsumenten immer weiter einschränkt, nur damit ihr eure Schäfchen ins Trockene bringen könnt. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. Mit euren ganzen Abmahnaktionen habt ihr nur etwas gestartet, was ihr nicht gewinnen werdet, weil ihr es nicht gewinnen könnt – vor allem deswegen nicht, weil ihr immer noch nicht begriffen habt, dass das „Internet“ eine weltweite Sache ist und sich nicht nach eurem Belieben kontrollieren lässt. Letzten Endes könnt ihr nur gewinnen, wenn eure Angebote so gut sind, dass niemand mehr auf die illegalen Tauschplattformen zurückgreifen möchte.
Ein weiteres Beispiel: Ich sammle Maxis aus den 1980ern. Nur nach fast 20 Jahren des Sammelns, dem Abklappern von Flohmärkten und Plattenbörsen, werde ich dem ganzen gegenüber doch ein wenig müde. Viele der Schallplatten, welche mir noch fehlen, sind nur schwer zu bekommen, oder zu Preisen, welche ich nicht bereit bin zu bezahlen. Auch kommen zur Archivierung für mich keine „kastrierten“ Audio-Formate wie MP3 & Co in Frage. Aber warum bietet ihr diese nicht als Download in einem verlustfreien Format an? Ich wäre gerne bereit 3-5 Euro (je nach Anzahl der Titel) dafür zu bezahlen. Ihr habt die Bänder, die Infrastruktur ist vorhanden, ihr müsst sie nur nutzen. Ich würde mich selbst bei euch hinsetzen und die Bänder digitalisieren – völlig gratis, wenn ich dafür die Aufnahmen bekommen würde. Und mit diesem Wunsch stehe ich nicht alleine da.
Hier würden sich aber noch ganz andere Felder auftun: Ihr könntet so auch ältere Musik an den Konsumenten bringen, bei der es sich nicht mehr lohnt, diese extra auf CD zu veröffentlichen. So könntet ihr mit Aufnahmen Geld verdienen, welche sonst in euren Archiven verrotten würden – und das mit einem äußerst geringen Aufwand.
Aber stattdessen wollt ihr den Konsumenten noch mehr eingrenzen, als ihr es ohnehin schon tut. Am Ende kommen wir wieder dahin, wo wir schon bei den ganzen kopiergeschützten CDs waren: Einige dieser CDs ließen sich in vielen CD-Spielern nicht mehr wiedergeben. Am Ende kam man nicht drum herum, mit ihnen dass zu machen, was ihr eigentlich verhindern wolltet: Eine Kopie anzufertigen, damit man mit dem Produkt das machen konnte, wofür man es erworben hatte: Anhören!
Auch heute kann man dieses Phänomen wieder beobachten: bei Blu-Ray-Discs. Immer wieder kommen neue „Un-BDs“ auf den Markt, welche nicht dem Standard entsprechen und nur noch laufen, wenn der Player-Hersteller ein Firmware-Update bereitstellt – macht er das nicht, schaut der Konsument in die nicht mehr vorhandene Röhre. Genau so, wie es sich mit den endlosen Hinweisen gegen Urheberrechtsverletzungen verhält – da ist die erste Ladung Chips schon weg, bevor der Film überhaupt angefangen hat. Auch diese Logik erschließt sich mir nicht: Muss jemand, der ein Produkt bereits erworben hat, noch mal darauf hingewiesen werden, dass nur Originales Wahres ist?
Werte Content-Industrie, ich möchte euch nicht weiter von eurer Arbeit abhalten, ihr habt sicherlich Wichtigeres zu tun als einem Konsumenten zuzuhören, welcher euch schon viel Geld gebracht hat. Nur noch ein paar mahnende Worte: In einer digitalen Welt, in der immer mehr Musiker die Form der Selbstvermarktung entdecken und damit sogar mehr Geld verdienen als mit euch (interessant dazu ist folgender Podcast), solltet ihr aufpassen, dass euch nicht auch noch die letzten eurer Felder aus euren Händen gleiten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es nichts Außergewöhnliches mehr ist, dass Alben per Crowdfunding finanziert werden. Denn eines solltet ihr immer im Hinterkopf behalten: Ihr seid auf uns, die Konsumenten, angewiesen – wir und die Künstler aber nicht mehr auf euch!
Herzlichst,
ein enttäuschter Kunde
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