Keine Unschuldsvermutung: Mauschelei ist bei Netzteilen Tagesordnung
Transparenz Fehlanzeige
Zugegeben: die Erwartungen der ComputerBase-Redaktion erfüllen bei weitem nicht alle getesteten Produkte. Da wäre es natürlich sehr verwunderlich, wenn ausgerechnet im Netzteil-Bereich ausschließlich Tests zu mängelfreien Geräten erscheinen würden. Trotzdem, von den Ergebnissen des letzten Chroma-Tests bin ich massiv enttäuscht: Von meinen 15 Testmustern konnten dieses Mal lediglich sieben den Testlauf meistern – über die Hälfte der Kandidaten fiel bei absoluten Selbstverständlichkeiten wie Volllast-Festigkeit und Wirkungsgrad durch. Nach den kürzlichen Testberichten zum Streacom Nano 150, LC-Power Golden Series LC 9450, Silver Shield und Cougar A300 stehen die nächsten Enttäuschungen damit schon im Testlabor.
Mit dem versprochenen Effizienz-Niveau nehmen es so einige Hersteller nicht übermäßig genau. Die Lücken im System 80Plus werden schamlos ausgenutzt. Teilweise werden 80Plus Zertifikate um zwei Prozentpunkte verfehlt, teils sind die Effizienzsiegel komplett zu Unrecht angebracht. Bei 80Plus zu schummeln scheint weit verbreitet zu sein. Ein weiteres Netzteil hingegen quittierte unsere Tests mit einem dreifachen Licht- und Soundeffekt, bevor es dann dauerhaft sehr ruhig blieb. Das Fälschen von Kondensatoren ist eine Premiere für uns – anscheinend muss man als Tester inzwischen sogar Rücksprache mit dem angeblichen Hersteller einzelner Bauteile halten, da manche Netzteil-Hersteller auch minderwertige Nachbauten zuverlässiger Elektrolytkondensatoren verbauen. Und dann gab es im Testfeld auch noch ein Netzteil ohne das vorgeschriebene Datenblatt. Wie soll der Käufer wissen, wie leistungsfähig das erworbene Produkt ist, wenn der Hersteller dazu weder auf einem Datenblatt noch im Internet Angaben macht? Gleichzeitig ist die offiziell angegebene Nennleistung im Test nicht abrufbar. Unser Test führte prompt zu einer dauerhaften Beschädigung dieses Probanden. Dass dann noch ein Testmuster den Dienst komplett verweigerte und bereits beim Auspacken komplett tot war, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Die Ursache für die teils desaströsen Testergebnisse: Fehlende Markttransparenz. Netzteile sind technisch komplexe Produkte, zudem ist die Leistungsfähigkeit des neu gekauften Spannungswandlers anders als bei Prozessoren und Grafikchips für Endkunden überhaupt nicht einschätzbar. Während zahlreiche Leistungsparameter eines Computers durch die gängigen Benchmarks auch von interessierten Laien schnell überprüft werden können, bleiben Netzteile jeglicher Prüfung essentieller Leistungsmerkmale verborgen. Verstärkt wird dies vom Watt-Wahnsinn: dass ein 600-Watt-Netzteil real 200 Watt ausreichend stabil bereit stellen kann, ist recht wahrscheinlich. Wie soll der Kunde da minderwertige Ware zu Hause identifizieren können? Ein schlechtes Netzteil lässt sich maximal durch vorzeitigen Ausfall, Stabilitätsproblemen oder Beschädigung anderer Komponenten erkennen – gute Chancen für Schummler unter den Netzteil-Marken, dass schlechte Produkte vom Endkunden nicht als solche erkannt werden.
Verstärkt wird dies durch das mangelnde Engagement der Profis: kompetente Netzteil-Tests sind immer noch Mangelware. Große und kleine Redaktionen scheuen den immensen technischen und personellen Aufwand für sachgerechte Tests, gute Vergleichstests sind daher ausgesprochen selten. Viele Reviews basieren vereinfacht gesagt auf dem Prinzip „Bilder machen, Einbauen, Award vergeben“ – mit ernsthaftem Testen hat diese Vorgehensweise nichts zu tun. Dass einige Netzteil-Marken interessierte Redakteure großzügig mit Testmustern versorgen, hilft bei der Entscheidungsfindung kaum weiter: Netzteil-Testberichte, die mit Spannungsmessungen und Verbrauchsmessungen von realen Computer-Systemen erstellt wurden, sind abseits von Produktvorstellungen und User-Reviews indiskutabel. Bei derart fehlender Vergleichbarkeit des Lastszenarios und der fehlenden Messgenauigkeit preiswerter Energiekosten-Messgeräte könnte man ebenso auch die gute alte Glaskugel auspacken und würde wohl bei noch geringerem Aufwand gleichwertige Ergebnisse erzielen. Das Angebot an qualitativ guten und aussagekräftigen Testberichten ist hingegen eher überschaubar.
Natürlich ist mir bewusst, dass bereits eine Grundausstattung an für Netzteiltests notwendigem Equipment für viele Reviewer einen finanziellen Kraftakt darstellt. Schon für eine Basisausstattung mit Oszilloskop, Anschlussplatine, Digital-Powermeter und preiswerten programmierbaren elektronischen Lasten (z.B. FAST, Sunmoon, Array) ist ein mittlerer vierstelliger Betrag einzuplanen, während für Luxus-Varianten wie die von uns genutzte Chroma 8000 ATS hohe fünfstellige Eurobeträge anzulegen sind. Andererseits sind Testberichte mit unzureichender Technik nicht aussagekräftig und können im schlimmsten Fall sogar für sachlich völlig falsche Schlussfolgerungen sorgen. So werden dann teilweise Geräte empfohlen, von denen ich ebenso wie internationale Kollegen aufgrund unserer Messergebnisse klar abraten muss. So oder so: es bestehen durchaus Chancen für knausrige Hersteller, dass mangelhafte Produkte nie Kontakt mit einer adäquaten Testumgebung haben werden.
Die Krönung dieser Auswüchse: Konfrontiert man die Netzteil-Marken mit mangelhaften Testergebnissen, so wird meist der Auftragsfertiger als alleiniger Schuldiger dargestellt. Sicher, die eigentliche Produktion wird meist von einem OEM durchgeführt, andererseits sollten Veränderungen am vorgegebenen Design und Abweichungen von den vereinbarten Leistungswerten spätestens hierzulande in der Qualitätskontrolle auffallen. Dass in der Praxis dann mangelhafte Produkte im Handel landen, lässt sich daher nur wahlweise mit bewusstem Wegsehen oder völliger Unzulänglichkeit der internen Evaluation erklären. Die zweite Variante ist für mich dabei keineswegs beruhigender. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Netzteilanbieter weder die technische Ausrüstung noch das Know-How hat, die eigenen Produkte zu überprüfen, beschleicht mich ein mulmiges Gefühl. Mit dem Qualitätsbewusstsein kann es bei einigen Herstellern auf jeden Fall nicht weit her sein – sonst würden die Mängel nicht derart zahlreich auftreten.
Meine Empfehlung für Netzteilkäufer ist deshalb traurig aber klar: Es gibt keine Unschuldsvermutung für PC-Netzteile. Solange bis ein professioneller Test das Gegenteil beweist, sollte man von unbekannten Netzteilen sicherheitshalber Abstand halten. Dieses Vorgehen mag im Einzelfall nicht fair sein, denn auch Neueinsteiger können sehr gute Produkte abliefern. In Anbetracht der zahlreichen schwarzen Schafe in der Netzteil-Branche ist blindes Vertrauen jedoch zu gefährlich. Darüber hinaus kann ich von Blind-Käufen im Bereich der Spannungswandler nur abraten. Wer ein neues Netzteil sucht, sollte sich ausreichend Zeit nehmen, Testberichte zu lesen und sich keinesfalls auf Hersteller-Versprechen oder 80Plus-Zertifikate verlassen.
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