Joost: Fernsehen im digitale Wandel der Medienwelt
Medialer Wandel in der Theorie
Bereits seit einigen Jahren befindet sich die Medienwelt in einer entscheidenden Phase des Umbruchs. An allen Fronten kämpfen die klassischen Genres einen ebenso verzweifelten wie aussichtslosen Verteidigungskampf gegen die neue, aufstrebende Konkurrenz aus dem digitalen Bereich. Neues Kernmedium und der große Dorn im Auge von Verlags- und TV-Managern gleichermaßen ist die Onlinewelt: Während das Gros der Print-Titel aufgrund der zahlreichen Web-Angebote mit schwindenden Auflagenzahlen zurecht kommen muss, beobachtet man in der TV-Landschaft einen ebenso frappierenden Zuschauerschwund für das klassische Fernsehen – und das gerade in der so wichtigen Zielgruppe der 14 bis 49-jährigen.
Grund für letzteren Umstand sind natürlich auch im TV-Segment die zahlreichen Online-Angebote. Bei YouTube, MySpace und Co. findet man dieser Tage fast alles: Vom „User-Generated-Content“ über Musikvideos bis hin zu Showinhalten von den großen Sendern ist eigentlich alles dabei. Doch auch andere Angebote haben nachgerüstet. So zelebrieren beispielsweise Nachrichten-Webseiten heute die Verschmelzung von Fernsehen und Print: Neben geschriebenen Nachrichten werden auch gleich Videos beigelegt, sodass eigentlich alle potentiellen Gelüste des Lesers (oder Zuschauers?) abgedeckt werden – wozu eigentlich noch auf die Tagesschau warten?
„Content“, das magische, allgegenwärtige Wort dieser Revolution, ist auch und gerade immer häufiger in bewegter Form nahezu überall verfügbar. Es folgt eine im Prinzip sehr einfache, aber doch gravierende Verschiebung, die die Medienwelt bereits massiv verändert hat und es noch in dieser Dekade weiter tun wird: Der Nutzer wechselt als Qualitätsinstanz prinzipiell auf die Plattform, auf welcher die Inhalte schnell, zu jeder Zeit und in guter Qualität verfügbar sind. Dies wäre wohl vor allem hierzulande aufgrund der demographischen Entwicklung nicht allzu tragisch, da der Wandel vor allem von der Zielgruppe der 14 bis 49-jährigen vollzogen wird, diese aber im Vergleich zur Generation 50-Plus kleiner wird. An Brisanz gewinnt die mediale Völkerwanderung aber dadurch, dass es sich bei eben jener Zielgruppe der 14 bis 49-jährigen um die im Hinblick auf die Kaufkraft Entscheidende handelt, was der Theorie nach zur Folge hat, dass die Budgets der Werbetreibenden der Herde der sich in die Online- und Mobile-Welten flüchtenden Masse anschließen. Für das klassische private Fernsehen bedeutet dies nichts Geringeres als weniger Einnahmen.
Dass sich die beschriebene Bewegung in der Praxis bisher noch in weit weniger radikalen Bahnen bewegt, als manch ein TV-Endzeitprophet herbeipredigen möchte, liegt vor allem auch an qualitativen Aspekten. Bisher muss man bei klassischen Online-Bewegtbild-Angeboten wie zum Beispiel YouTube einiges an Glück haben, um aus dem Wust an Inhalten etwas zu filtern, was persönlich gefällt. Hinzu kommen dann bei serverseitig zentralisierten Angeboten noch nennenswerte Performance-Schwierigkeiten sowie eine visuelle Qualität, die häufig durch Pixelsalat statt durch scharfe Bilder von sich reden macht.
Gute Inhalte, gute Qualität, gute Performance – das leisten heute neben dem klassischen Fernsehen höchstens die IPTV-Komponente der Tripple-Play-Angebote von Telekom, Arcor und Co.? Könnte man meinen. Bis man Niklas Zenström trifft.
Mit einem nicht geringen Pathos benannte der Kazaa- und Skype-Mitbegründer Zenström gemeinsam mit seinem langjährigen Weggefährten Janus Friis seine Antwort auf die Frage nach dem Fernsehen der Zukunft in der Alpha-Phase „Venice Project“. Mittlerweile ist das Projekt in der Beta-Phase angelangt und heißt schlicht Joost (gesprochen: juiced). Die mediale Fachwelt nahm den beiden Digital-Masterminds die Vision des perfekten Web-Fernsehens gerne ab und versah Joost vorab mit einigen Lorbeeren. Berechtigterweise? Dies gilt es festzustellen.