Kommentar: Bei geistigem Eigentum regiert die Ahnungslosigkeit
Grabenkämpfe
Ach, es hätte alles so schön sein können:
Am Anfang haben sich Unternehmen und Künstler gefreut. Mit dem Internet eröffnete sich ihnen ein neuer Absatzmarkt, (...)
Miguel E. Riveros
Doch:
die Euphorie wurde schnell beendet, denn die Kopierer tauchten auf. Ohne Genehmigung vervielfältigten sie digitale Musik, Filme, Bücher und stellten sie kostenlos ins Netz. Bevor die Unternehmen und Künstler noch verstehen konnten, was geschah, brachen ihre Umsätze ein und waren Künstlerexistenzen zerstört.
Miguel E. Riveros
Es nervt. Und zwar gewaltig. Dieses Elend, das sich Urheberrechtsdebatte schimpft. Die Äußerungen des Comic-Zeichners Miguel E. Riveros stehen nach wie vor beispielhaft für das, was in dieser Debatte schief läuft. Urheber, Künstler oder die, die sich dafür halten, lassen sich für Kampagnen der Rechteverwerter einspannen – im Namen der Kunst, Freiheit und Gerechtigkeit. In diesem Sinne muss man Riveros dankbar sein, selten hat jemand so präzise auf den Punkt gebracht, um was es den unterzeichnen Künstlern von Kampagnen wie „Wir sind Urheber“ und den anhängenden Rechteverwertern offensichtlich geht. Ein banaler Moment der Klarheit, in dem er beschreibt: es geht um Absatzmärkte, um Geschäftsmodelle, also schlicht um Geld.
Mit der ominösen Netzgemeinde hat man ein klares Feindbild vor Augen, das bisweilen die zugeschriebenen Vorwürfe mit Bravour bestätigt. Etwa wenn Anonymous versucht, die Unterzeichner der Kampagne an den Pranger zu stellen, indem das Hacker-Kollektiv die Adressen der Unterzeichner veröffentlicht. Währenddessen fläzt sich der Geschäftsführer der Piraten in Sandalen durch die Talk-Shows der Republik und erfüllt damit exakt die Rolle in dem Narrativ, das den Netzaktivisten in der breiten Öffentlichkeit zugeschrieben wird: Die arbeitsscheue Bande will auf Kosten der Allgemeinheit ihre Umsonstkultur zelebrieren. Die Rolle des politischen Arms der angeblichen Umsonstfetischisten wird dabei den Piraten aufgedrängt, wofür die Partei in den klassischen Medien scharf attackiert wird.
Die Medien nehmen ohnehin eine skurrile Rolle ein. Auf der einen Seite sind sie die Scharfmacher, renommierte Publikationen wie die Zeit oder das Handelsblatt veröffentlichen in ihren Namen Kampagnen, die inhaltlich jeder Beschreibung spotten. Eine bittersüße Melange aus Kultur- und Freiheitsapokalypsen, gefüttert mit Horrorzahlen aus der PR-Hölle. Manchmal bleibt einem die Spucke weg, wenn Medien Polemiken dieser Machart publizieren, sich ansonsten aber gerne für ihren Qualitätsjournalismus rühmen. Doch gleichzeitig bringen die Webangebote klassischer Medien auch zahlreiche Beiträge von Künstlern oder Netzaktivisten, die einen differenzierten Blick auf das Urheberrecht beinhalten. Leider bieten die Artikel vorwiegend viel Meinung, aber kaum Fakten.
Was sich hinter dem omnipräsenten geistigen Eigentum verbirgt, bleibt genauso im Vagen wie das Urheberrecht an sich: Man erfährt praktisch nichts, das einem die Chancen lassen würde, eine eigene Meinung zu bilden. Dazu wird alle Nase lang über die Befindlichkeiten einer Netzgemeinde philosophiert, von der immer noch keiner so genau weiß, wer jetzt eigentlich dazu gehört. Unter dem Label „Kreative“ werden alle Urheber, Künstler oder Publizisten in einen Topf geworfen, ganz gleich welcher Tätigkeit sie nachgehen oder wie viel sie damit verdienen. Und die Rechteinhaber und -verwerter? Diese werden in einer Spanne beschrieben, die von „Content-Mafia“ bis zu einer Art Samariter des Kulturbetriebs reicht.
So sind manche Beiträge zwar ein Klatschen wert, in der Summe gibt es aber keinen Applaus. Die Debatte steckt im medialen Morast, weiterhin dominiert von Narrativen, die entweder die Hilflosigkeit der Künstler, den Egoismus der Netzgemeinde oder die Gier der Content-Mafia beschreiben. Argumente und Fakten finden kaum noch Gehör, während der durchschnittliche Nutzer auf der Strecke bleibt – er kann die vorgetragenen Meinungen bestenfalls nachplappern, Erkenntnisse gewinnt er keine.