Klassiker neu entdeckt: Max Payne (2001) im Original
Vorwort
Früher war alles besser, Good ol‘ time und überhaupt: Angesichts Free-to-Play, DLCs, jährlichen Fortsetzungen und immer weniger Inhalten für potentiell mehr Geld denkt man gerne wehmütig an die Zeit zurück, in der Spiele noch den ganzen Mann gefordert haben. Schwelgen in Erinnerungen, aber aus dem Schrank kramt niemand die alten Schätze. Warum eigentlich – können alte Spiele keinen Spaß mehr machen?
Die Voraussetzungen dafür sind eigentlich gegeben: Niedrige Hardwareanforderungen, Spieltiefe und Anspruch zeichnen die Hits von damals immer noch aus – zumindest im Rückblick. Weil aber die Erinnerung gerne Streiche spielt, die Vergangenheit also immer gülden funkelt, greifen wir uns im Folgenden einen Klassiker der Windows-Ära, um ihn erneut zu spielen. Die große Leitfrage: Begeistern die Top-Titel von gestern auch heute - kann oder will man sie wieder aus den staubigen Ecken des Keller-Dungeons und vom Podest der „Hall of Fame“-Glorifizierung holen? Gameplay und vor allem Grafik altern durch zahlreiche Weiterentwicklungen ebenso wie sich der Geschmack der Zielgruppe ändert, weshalb die Schönheiten nun unter Umständen deutliche Orangenhaut ziert.
Welcher Titel würde sich da besser eigenen als einer, der in zahlreichen ewigen Hitlisten geführt wird? Gerade weil das 2001 erschienene Max Payne von Rockstar jüngst neu aufgelegt wurde, aber nicht ganz aus dem Schatten der alten, noch von Remedy Entertainment entwickelten Spiele heraustreten konnte, lohnt sich mitunter ein Blick auf das Vorbild – denn das hat nichts mehr zu verlieren. Bereits das Intro erklärt in trockenem Tonfall: „Pushed over the edge, I found myself in the cold no-man's land between right and wrong. No road-signs. On a crash-course with the Mafia. With nothing to lose.“ Das verspricht nicht nur ein echtes Actionspiel, sondern auch eine vernünftige Story – das Spiel wird nicht umsonst in vielerlei Hinsicht als Meilenstein des Genres gehandelt. Wir prüfen, ob das reicht um auch heute noch für Unterhaltung auf gehobenem Niveau zu sorgen.
Story und Setting
Das Ende eines harten Tages als Cop in New York, der Feierabend winkt: Frau und Kind warten bereits. Oder sollten es, denn das Haus ist ruhig. Verdächtig ruhig. Bis die Schreie der verzweifelten Ehefrau die Stille zerreißen. Kurze Zeit später liegen zwei Junkies tot am Boden – zusammen mit den Liebsten. Willkommen im Leben von Max Payne, der fortan Rache und Vergeltung ganz oben auf seine Agenda schreibt. Dabei wird der Lederjackenträger nicht nur von der Mafia, sondern auch von der Polizei und Schuldgefühlen durch die düstere Stadt gejagt – bis zum dramatischen Finale ohne echtes Happy-End.
Ihr Flair behält die emotional mitreißende, im Film-Noir-Stil gehaltene Story bis heute, denn der Spieler steckt mittendrin: Erzählerisch ist Remedy das ganz große Kino. Da der Rampage-Cop retrospektiv den Erzähler gibt, kann er nicht nur in den Zwischensequenzen, sondern auch während der Levels Aktionen kommentieren, erklären und sogar Hinweise geben – sehr atmosphärisch und ein leider zu selten genutztes Stilmittel! Die düstere, trostlose Stimmung wird so noch einmal perfekt unterstrichen, der Spieler deutlich stärker durch die Geschichte begleitet. Das belebt zusammen mit den herumstehenden Fernsehern und Radios, die weitere Info-Happen zu Vorgängen außerhalb des eigenen Sichtfeldes – und sei es nur durch einen Wetterbericht – liefern, die erdachte Welt ungemein. Das bildreiche, tiefgründige Script schlägt hier eine echte Brücke zu Hochliteratur und zeigt ganz nebenbei, welches Potential das Medium das „Videospiel“ abseits der Produktionen im Hollywood-Stil eigentlich hat. Denn auch bei einem zweiten oder dritten Durchgang des immerhin rund 12 Stunden langen Titels fallen noch neue Elemente, Interpretationen, Erkenntnisse auf, denn Max Payne ist auch ein künstlerisch verpacktes Statement – das Videospiel als Kunstform. Selbst die Abfrage beim Beenden des Spiels trifft diesen Stil, natürlich adaptiert an den Storyfortschritt. Eigenschaften, die auch den (geistigen) Nachfolger Alan Wake auszeichnen, mit dem sich Remedy seither die Zeit vertrieben hat.
Die deutsche Version ändert daran nichts, denn auf eine Lokalisierung von Text und Ton wurde damals verzichtet, die Sprachausgabe setzt also auf die professionellen, englischen Sprecher. Genial auch die Zwischensequenzen im Comic-Stil: Nach schnellen Actionpassagen wird auf diese Weise das Spielgeschehen auf die mit dem Medium minimalste Geschwindigkeit heruntergefahren – Standbilder, die gleichzeitig kaschieren dass die seltenen, gescripteten Ingame-Szenen schon vor elf Jahren hölzern gewirkt haben.
Technik und Gameplay
Technisch sieht das einstige Grafikwunder jedoch kaum noch frisch aus: Die einst todschicken DirectX-7-Welten mit High-Res-Texturen haben merklich an Strahlkraft verloren und gleichen eher unfreiwillig dem gefallenen Helden. Vor allem die starren Gesichtstexturen, die nach heutigen Maßstäben teils unfreiwillig komisch wirken, schlagen zusammen mit den Spezialeffekten ins Konto. Gerade Explosionen fehlt Volumen, und Räumlichkeit, von Details ganz zu schweigen. Das gilt auch für die mittlerweile matschigen Texturen, welche etwa beim Auffinden von Schaltern handfest nachteilig sind. Dank maximal ausgereizter Kantenglättung kann aber immerhin jegliche „Treppchenbildung“ unterbunden werden, was angesichts der mittlerweile lächerlich geringen Hardware-Anforderungen auch mit einigermaßen aktuellen Onboard-GPUs möglich sein dürfte.
Weitere Abstriche auf der technischen Seite sind beim Bildformat zu machen: Das maximal mögliche Seitenverhältnis liegt bei lediglich 4:3. Zwar können auch Auflösungen im Format 16:10 oder 16:9 gewählt werden, das Sichtfeld wird jedoch nicht entsprechend angepasst, das Bild also gestreckt ausgegeben. Abgesehen davon rennt das Spiel ohne Probleme mit aktuellen Betriebssystemen wie Windows 7 oder Windows 8, nachdem die Installation von CD direkt über die „setup.exe“ im Verzeichnis „disk1“ gestartet wurde – sowohl die „install.exe“ als auch der Autorun führen mit modernen Betriebssystemen zu Fehlermeldungen. Lediglich das originale Format der Sounddateien bereitet mittlerweile Probleme. Hier hilft ein einfaches Tool, das das Format auf ein derzeit übliches wechselt. Besitzer einer Creative-Soundkarte sollten zudem, sofern vorhanden, Alchemy deaktiveren.
Neben der Grafik und der hervorragenden Story bildet auch die packend inszenierte Action im John-Woo-Stil einen Eckpfeiler des Max-Payne-Gefühls. Die Third-Person-Schießereien spielen sich dank des erstmaligen Einsatzes von „bullet time“ und „bullet cam“ immer noch flott, zügig und vor allem stilvoll. Mit zwei Pistolen um die Ecke zu fliegen, aus allen Rohren schießend – Hell Yeah! Gewürzt von Kommentaren des Hauptdarstellers kommt immer noch Flair auf, das jeglichen, durch die Grafik verursachten Würgereiz nach der ersten halben Stunde in ohne Weiteres vergessen lässt. Schmerzen verursacht nur der Schwierigkeitsgrad: Der ist, je nach Stelle, richtig knackig, insbesondere, weil die Auffrischung von Lebenspunkten klassisch über Schmerzmittel – Medipacks – und nicht automatisch geschieht. Das sorgt beim Erkunden der düsteren Levels ganz nebenbei für Spannung und Taktik, da sich Aufsparen der wertvollen Pillen unter Umständen lohnen kann – passend zum jüngsten Trend zu Tiefgang und Anspruch. Neben Ausflügen in New York schickt Remedy den Helden auch immer wieder in die eigene Psyche, was herrlich surreale Level erlaubt – und der Hauptfigur etwa die Vorstellung, sie würde sich in einem Videospiel befinden. Abseits der ausgeprägten Selbstreferenzialität prägt Max Payne das Spiel aber auch durch seine zynischen Kommentare.
Fazit
Im Gegensatz zu diversen Kickstarter-Projekten kann das Retro-Vergnügen aber hier direkt und ohne große finanzielle Aufwendungen aus dem Schrank geholt werden. Getragen von Story und gutem Gameplay lohnt es sich auch heute noch, mit Max Payne durch die Abgründe des düsteren „Noir York“ zu streifen. Es ist die alte Erkenntnis: Grafik macht keinen Spielspaß, wohingegen Spielspaß nicht von der Grafik abhängt. Das gilt gerade für Max Payne, denn die nicht mehr taufrische Optik spielt bereits nach wenigen Spielminuten zugunsten der packenden und gut ausgearbeiteten Erzählung nur noch eine untergeordnete Rolle - was 2001 ein Meilenstein war, sorgt heute immer noch für gute Unterhaltung auf hohem Niveau.
Sollen wir auch in Zukunft echte Klassiker oder Meilensteine der Spieleentwicklung erneut aus heutiger Perspektive auf diese oder eine andere Weise unter die Lupe nehmen? Wir freuen uns über Feedback im Forum!
Schnellcheck | Max Payne |
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Getestete Version | 1.05 |
Altersfreigabe | ab 18 Jahren |
Empfohlene Systemanforderungen | AMD Athlon / Pentium III (700 MHz), 128 MB RAM, Grafikkarte mit 32 MB Speicher |
Widescreen | Nein |
Kompatibilität | bis Windows 8 |
Probleme | Kein Sound ab Windows Vista, Probleme mit Creative Alchemy |
Empfehlung | Ja |
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