Digitale Distribution historischer Werke in Gefahr

Max Doll
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Alte Bücher, Texte und Medien liegen zuhauf in Archiven ohne aktuellen Urheberrechtsinhaber. Dieses umfangreiche Material sollte laut dem Willen der EU-Kommission eigentlich künftig digital kostenfrei zugänglich werden. Laut einem neuen Entwurf, der ORF.at vorliegt, kann dieses Vorhaben aber derzeit ad acta gelegt werden.

Bei diesen „verwaisten Werken“ handelt es sich um Bild-, Ton- und Videoaufnahmen sowie Texte, bei denen sich kein aktueller Rechteinhaber mehr feststellen lässt und die teils seit längerer Zeit nicht mehr kommerzialisiert wurden – also in Archiven „verrotten“, was angesichts der begrenzten Haltbarkeit etwa von Bandaufnahmen durchaus wörtlich zu verstehen ist. Betroffen sind eine recht große Gruppe von Werken: Eine stichprobenartige Untersuchung der British Library von 140 Romanen mit einem Erscheinungsdatum zwischen 1870 und 2010 ergab, dass bei gut 41 Prozent der Bücher kein aktueller Rechteinhaber ermittelt werden konnte. Eine digitale Veröffentlichung selbst unter einer „Creative Commons"-Lizenz ist derzeit dennoch mit dem Risiko einer Klage behaftet. Somit verschwinden solche Werke einfach und werden in Archiven eher unproduktiv eingelagert.

Ursprünglich sollte daher laut dem Entwurf einer EU-Kommission, sofern nach „sorgfältiger Recherche“ kein aktueller Rechtebesitzer zu finden ist, einer Veröffentlichung in digitaler, kostenfreier Form nichts im Wege stehen. Nach Lobbybemühungen unter anderem durch Marielle Gallo, die bereits beim umstrittenen Anti-Piraterieabkommen ACTA federführend Interessen von Medienkonzernen vertrat, wurde diese Idee jedoch bis zur faktischen Wirkungslosigkeit verwässert. Die neue Formulierung wurde zwar laut ORF.at nur um ein Detail ergänzt, stellt in dieser Form aber den Status Quo wieder her.

Konkret lautet die aktuelle Fassung: "Ein Werk oder Phonogramm wird dann als 'verwaistes Werk' betrachtet werden, wenn alle Rechteinhaber des Werks oder Phonogramms nicht identifiziert oder trotz sorgfältiger Suche nicht aufgefunden werden können.". Problematisch erweist sich hier das Wort „alle“, da so beispielsweise bei einem Video mit Tonaufnahmen nach Herstellerfirma, Regisseur sowie im schlimmsten Falle nach jedem einzelnen Darsteller bzw. Komponisten, anderweitig Beteiligten oder gezeigten Künstlern gesucht werden muss. Neben dem gestiegenen Aufwand erhöht das auch die Chance, in der Abmahnfalle zu landen oder doch auf einen wie auch immer gearteten Rechteinhaber zu treffen. Selbst die mit Steuergeldern finanzierten Werke der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bleiben so verschlossen.

Immerhin: Final ist der Entwurf noch nicht, schließlich muss er noch einmal durch die zuständigen Ausschüsse und schlussendlich noch einmal abgesegnet werden. Im Bürgerinteresse ist die aktuelle Fassung aber in keinem Fall.