Reporter ohne Grenzen ernennen „Feinde des Internet“
Den heutigen Welttag gegen Internetzensur nutzt die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) dazu, jeweils fünf Staaten und Firmen zu „Feinden des Internet“ zu erklären. Von den genannten Firmen hat eine ihren Sitz in den USA, die vier anderen kommen aus Europa, eine von ihnen aus Deutschland.
Totalitäre und autoritäre Staaten bedienen sich in zunehmendem Maße hoch komplexer, moderner Technik, um ihre oppressiven Regime an der Macht und ihre Bürger unter Kontrolle zu halten. Dabei spielen westliche Software-Firmen laut dem Report von RoG „eine Söldnerrolle“, indem sie die Regierungen dieser Staaten mit Überwachungssoftware beliefern, die dazu führt, dass das Internet in diesen Ländern einer scharfen Kontrolle unterliegt, die Bürger bespitzelt und kritische Stimmen und Informationen unterdrückt sowie kritische Journalisten und Blogger verfolgt werden. „Der Einsatz solcher Technologien ist schon unter strenger rechtsstaatlicher Aufsicht umstritten“, sagte RoG-Vorstandsmitglied Matthias Spielkamp in Berlin. „In den Händen autoritärer Regime verwandeln sie sich in digitale Waffen.“ Solche Technologien sollten nach Ansicht der RoG in das Wassenaar-Abkommen über Exportkontrollen für konventionelle Waffen und Dual-Use-Güter und -Technologien aufgenommen werden. Eine derart formulierte Forderung erging jetzt von RoG an die EU-Staaten.
Der diesjährige Bericht der RoG hebt fünf Staaten hervor: Syrien, China, Iran, Bahrein und Vietnam. Diese seien derzeit die ärgsten, aber bei Weitem nicht die einzigen „Feinde des Internet“. Die Regierungen dieser Länder überwachen mit Hilfe westlicher Überwachungs- und Zensursoftware gezielt Journalisten und Medien und sind damit verantwortlich für schwere Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit und andere Menschenrechte, so die RoG. In China sitzen derzeit mindestens 69 Blogger und Internet-Aktivisten in Gefängnissen und auch ausländische Journalisten sind von der Überwachung nicht ausgenommen. Web-Anrufe mit der lokalen Version von Skype werden automatisch auf Schlüsselwörter gefiltert und gegebenenfalls blockiert oder mitgeschnitten. Der Iran strebt ein vollständig überwachtes und zensiertes „nationales Internet“ an, in Bahrein werden Computer von Dissidenten mit Trojanern infiziert, die E-Mail und Internet-Telefonate überwachen und Zugriff auf die Webcams der Rechner gewähren, heißt es im Bericht. Aber auch westliche Staaten und Gemeinschaften wie die USA und die Europäische Union streben nach immer mehr Kontrolle über das Internet, ebenso wie Russland und einige afrikanische und arabische Staaten, wie auf der WCIT-Konferenz im Dezember 2012 klar wurde.
Die fünf Unternehmen, die RoG zu „Feinden des Internet“ im Jahr 2013 erklärt hat, sind die deutsche Trovicor sowie die britische Gamma Group, HackingTeam aus Italien, Amesys aus Frankreich und das US-Unternehmen Blue Coat Systems. Mit Hilfe von Softwareprodukten dieser Firmen sichern autoritäre Staaten ihre Herrschaft, indem sie kritische Journalisten aufspüren, um ihre Webseiten zu blockieren und sie zu verhaften. Die genannten Firmen verkaufen solche Software entweder selbst an diese Regime, billigen den Verkauf an solche oder haben es versäumt, in ihren Exportregelungen derartigen Missbrauch auszuschließen. Besonders die Produkte FinFisher von Gamma Systems und die Deep-Packet-Inspection-Technik von Blue Coat gerieten im letzten Jahr mehrfach in die Schlagzeilen, da Diktaturen wie Ägypten und Syrien damit ihre Bürger überwachten. Auch in Burma sind laut Reporter ohne Grenzen derzeit rund ein Dutzend Blue-Coat-Anwendungen im Einsatz.
Wikileaks hatte im Dezember 2011 in den sogenannten „Spy Files“ die Milliardengeschäfte dieser Branche aufgedeckt. Julien Assange sagte damals in einem Video-Interview zu diesem Themenkomplex: „Wir leben in einer Welt, in der es nicht nur theoretisch möglich ist, die gesamte Telekommunikation eines Landes, alle Telefongespräche aufzuzeichnen. Es gibt zudem eine internationale Industrie, die Geräte dafür verkauft“.
Das 2012 noch als „Feind des Internet“ gebrandmarkte Nordkorea findet sich in der diesjährigen Liste nur noch mit dem Titel „unter Beobachtung“ wieder – ebenso Kuba, Burma und Usbekistan.