Deutschland im Fokus der NSA-Überwachung
Die NSA erfasst mit den Überwachungsprogrammen offenbar den Großteil der Verbindungsdaten in Deutschland. Telefon- und Internetdaten werden systematisch kontrolliert und gespeichert, zeigen bislang geheime Dokumente, die dem Spiegel vorliegen.
Den internen Statistiken zufolge sammelt der US-Geheimdienst pro Tag ungefähr 30 Millionen Datensätze in Deutschland, verteilt auf 20 Millionen Telefonverbindungen und 10 Millionen Daten zur Internet-Kommunikation. Die Anzahl der täglich aufgezeichneten Datensätze schwankt. In dem Zeitraum, den der Spiegel in den Dokumenten nachverfolgen kann, speicherte die NSA an Heiligabend 2012 mit knapp 20 Millionen Verbindungsdaten die geringste Menge. Einen Spitzenwert erreichte die NSA mit rund 60 Millionen gespeicherten Telefon- und Internetverbindungen am 7. Januar 2013.
Bei den gespeicherten Datensätzen handelt es sich um Metadaten, über die zuletzt einige weitere Details publik wurden. Bei Telefonverbindungen werden demnach Informationen wie die Nummer der am Gespräch beteiligten Anschlüsse, das Datum und Verbindungsdauer erfasst. Bei der Internetkommunikation werden die IP-Adresse von Absendern und Empfängern sowie Zeitangaben gespeichert. Laut den Spiegel-Dokumenten wird nicht nur der E-Mail-Verkehr überwacht, sondern auch SMS- und Chat-Nachrichten. Metadaten sollen von der Definition her keine Inhalte von Gesprächen enthalten, allerdings ist das offenbar bei der Internet-Kommunikation in der Praxis nicht allzu leicht zu bewerkstelligen – etwa weil die Betreffzeile einer E-Mail bereits zum Inhalt zählt.
Damit finden nun erstmals konkrete Zahlen den Weg an die Öffentlichkeit, die den Verdacht erhärten, dass in Europa die meisten Daten in Deutschland gesammelt werden. Entsprechende Meldungen kursieren seit der Enthüllung des Data-Mining-Tools „Boundless Informant“. Die darin enthaltene Weltkarte visualisiert, auf wie viele Metadaten die NSA in den einzelnen Staaten zugreifen. Bereits direkt nach der Veröffentlichung überraschte es, dass Deutschland der einzige Staat in Europa mit einer gelben Markierung ist.
Nun bieten die Dokumente eine Erklärungen für das Datenaufkommen. Die NSA klassifiziert Deutschland demzufolge als „Partner dritter Klasse“. Diese werden zeitgleich als Partner und als Angriffsziel betrachtet. Im Fokus der US-Spione liegen vor allem Knotenpunkte in West- und Süd-Deutschland, allen voran der zentrale Internet-Knoten in Frankfurt, der gemessen am Datendurchsatz weltweit zu den größten zählt. Die Main-Metropole wird in den Dokumenten auch als NSA-Basis ausgewiesen.
Allerdings liefern die Dokumente offenbar keine präzise Antwort auf die Frage, warum die NSA in Deutschland wesentlich mehr Datensätze als bei den EU-Nachbarn sammelt. In Frankreich, ebenfalls ein Partner dritter Klasse, werden täglich rund drei Millionen Verbindungsdaten gespeichert. Ohnehin werden dem Anschein nach nur die Kategorie-2-Staaten Kanada, Australien, Großbritannien und Neuseeland von direkten Angriffen auf die elektronischen Datenströme ausgenommen. Die Geheimdienste dieser Staaten bilden aber seit geraumer Zeit ein informelles Netzwerk mit den US-Diensten, das unter dem Begriff „Five Eyes“ bekannt ist.