EuGH-Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung

Maximilian Schlafer
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Gestern hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Thematik der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt. Es geht dabei um die Frage, ob jene EU-Richtlinie, die die Rechtsgrundlage für die in Deutschland umstrittene anlasslose Datenspeicherung bildet, mit der Grundrechte-Charta vereinbar ist.

Diese Problematik wurde an den EuGH mittels Vorabentscheidungsersuchen herangetragen, das sowohl vom irischen High Court als auch vom österreichischen Verfassungsgerichtshof stammt. Wenn der EuGH entscheidet, dass die Richtlinie nicht mit der Grundrechte-Charta vereinbar ist, dann erklärt er sie gleichzeitig mit ex-tunc-Wirkung für ungültig. Das bedeutet, dass diese Richtlinie so behandelt wird, als ob sie rechtlich nie existiert hat.

Das Verfahren

Ein Vorabentscheidungsersuchen muss ein nationales Höchstgericht wie das deutsche Bundesverfassungsgericht an den EuGH stellen, wenn es in einem anhängigen Verfahren um die Interpretation von Unionsrecht geht. Dieses darf ausschließlich vom EuGH ausgelegt werden, damit sich kein Fleckenteppich von unterschiedlichen nationalen Auslegungen bildet. Wird solch ein Ansuchen gestellt, wird das vor dem nationalen Höchstgericht laufende Verfahren unterbrochen und erst bei Vorliegen eines Urteils des EuGH wiederaufgenommen. Die nationalen Höchstgerichte fällen dann auf dieser Basis ihr eigenes Urteil im konkreten Fall.

Ein solches Vorabentscheidungsersuchen zur Vorratsdatenspeicherung wurde von Irland im Juni 2012 und von Österreich im Dezember 2012 gestellt. Nachdem die beiden Ersuchen in ein Verfahren zusammengelegt worden sind, kam es nun gestern zu einer – nur in wichtigen Fällen angesetzten – mündlichen Verhandlung in Luxemburg, dem Sitz des EuGH.

In der Vorbereitungsphase bat der EuGH die Parteien, sich vor allem auf die Erörterung der Frage der Vereinbarkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (RL 2006/24) mit den Artikeln 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens) und 8 (Schutz personenbezogener Daten) der Grundrechtecharta (PDF) zu konzentrieren.

Bei der Anhörung waren die vier Kläger aus Irland und Österreich zugegen – allesamt Privatpersonen und NGOs, aber auch Abgesandte jener acht Staaten, die sich zu Wort gemeldet hatten (Irland, Österreich, Spanien, Italien, Portugal, Frankreich, Polen und Großbritannien). Vertreter von vier EU-Institutionen – das Parlament, die Kommission, der Rat und der Datenschutzbeauftragte – gaben ebenfalls Stellungnahmen ab.

Die Stellungnahmen

Die irische Klägerseite brachte die Fragen der Verhältnismäßigkeit und der leichten Missbrauchbarkeit der Vorratsdatenspeicherung auf das Tapet. Ersteres bedeutet, dass es nach irischer Sichtweise in keiner Relation steht, derart tief in Grundrechte einzugreifen, um Rechtsbrechern habhaft werden zu können. Letzteres zielt auf die Begehrlichkeiten von vielen Seiten ab, die solche umfassenden Datenmengen gerne für andere, eigene Zwecke nutzen würden – das gilt etwa für einige Verbände aus der Unterhaltungsbranche, die Vorratsdaten für die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen nutzen wollen.

Die österreichische Seite legte dar, dass sich die Vorratsdatenspeicherung vergleichsweise einfach umgehen lasse und somit nicht für den angegebenen Zweck taugt. Zudem wurde vorgebracht, dass die gespeicherten Daten in Österreich bisher lediglich bei 0,067 Prozent der verfolgten Delikte konsultiert und dabei vor allem Diebstahls-, Betrugs- und Stalking-Fälle aufgeklärt wurden. Das widerspricht der ursprünglichen Anti-Terror-Begründung der Richtlinie, zumal für die genannten Delikte ausgewogenere Instrumente wie etwa das „Quick-Freeze“-Verfahren bereit stehen würden. Weiter wurde angeführt, dass eine Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung schon längst in einschlägigen Verbrechensstatistiken hätte sichtbar werden müssen. Das sei aber nicht eingetreten.

Die Vertretung der irischen Regierung hingegen sieht in der Richtlinie eine notwendige und wirksame Maßnahme zur Verbrechensbekämpfung. Die Sicherheitsstandards hält man für ausreichend, zudem würden ihrer Ansicht nach keine Grundrechte verletzt. Der Abgesandte der spanischen Regierung blies in das selbe Horn, ebenso wie seine britische Kollegin und auch der italienische Vertreter. Dieser merkte noch an, dass man gegebenenfalls eine Opt-Out-Regelung für einzelne Mitgliedsstaaten vorsehen könnte – dieser Vorschlag zielt offensichtlich auf den deutschen Streit um die Vorratsdatenspeicherung ab.

Der Vertreter der österreichischen Regierung nahm keine klare Position zur Richtlinie ein. Vom Gericht wurde er zu den österreichischen Statistiken zur Vorratsdatenspeicherung befragt und bestätigte, dass von 139 abgeschlossenen Verfahren, im Zuge derer auf die Vorratsdaten zugegriffen wurden, diese Daten in 56 Fällen zur Aufklärung führten. 16 Delikte betrafen Diebstahl, jeweils zwölf Suchtmittel- und Stalking-Fälle, jeweils sieben entfielen auf Betrug und Raub, während es sich bei den restlichen zwei um „sonstige Delikte“ handelte.

Die Vertreter der EU-Institutionen brachten allesamt Pro-Argumente für die Richtlinie. So wurde etwa vorgebracht, dass die bisher vorliegenden Statistiken noch unzulänglich seien und falsch interpretiert werden. Generell sei die Maßnahme ein nützliches Instrument zur Verbrechensbekämpfung. Im Gegenzug dazu bezog der europäische Datenschutzbeauftragte eindeutig Stellung und nannte die Richtlinie lückenhaft, zu unspezifisch und zu mangelhaft in Bezug auf den Grundrechtsschutz.

Fragen der Richter und weiterer Verlauf

Laut Beobachtern waren die fachlich versierten Fragen der EuGH-Richter durch die Bank von Skepsis gezeichnet. Diese zielten insbesondere auf die widersprüchliche Begründung der Richtlinie durch die drei gesetzgebenden EU-Institutionen. So wurde etwa gefragt, woher man 2006 angeblich genügend Daten für einen Erlass hatte, wenn man 2008 doch eine Überarbeitung der Richtlinie ablehnte, weil man über solche Daten nicht verfüge.

Nach der gestrigen Anhörung wird der nächste Schritt im Verfahren die Vorlage des Gutachtens des zuständigen Generalanwaltes sein. In diesem wird er seine Rechtsmeinung darlegen, welcher der EuGH sehr häufig folgt. Es wird für den 7. November erwartet, ein Urteil des Gerichtes selbst soll zudem ebenfalls noch in diesem Jahr gefällt werden. Dieses dürfte dann auch eine Signalwirkung für das weitere gesetzgeberische Vorgehen hinsichtlich umfassender Überwachung von Unionsbürgern haben, sei sie nun innerstaatlich oder von außen stammend.

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  • Maximilian Schlafer E-Mail
    … ist die erste Anlaufstelle für alles, was Recht ist auf ComputerBase. Paragraphen haben es ihm angetan.
Quelle: Netzpolitik.org

Ergänzungen aus der Community

  • Herdware 10.07.2013 09:59
    Eigentlich sollte man sich anhand der Sachlage keine Sorgen machen. Der EuGH muss die VDS einfach kassieren.

    Ich versuche mal mit einem Beispiel zu beschreiben, wie verrückt die ganze Idee der VDS und ihre Umsetzung mit der Brechstange ist.

    Stellen wir uns einmal vor, die VDS wäre ein neuartiges Medikament, das gegen die Krankheit "Schwere Kriminalität", speziell die Ausprägung "Terrorismus" helfen soll.

    Dieses VDS-Medikament hat aber möglicherweise schwere Nebenwirkungen und greift erwiesenermaßen lebenswichtige Organe ("Grundrechte") an. Viele Ärzte ("Verfassungsrichter") und sonstige Fachleute sind deswegen sehr besorgt.

    Die Zahl der Krankheitsfälle ("Tötungsdelikte") geht hingegen zumindest in Deutschland seit vielen Jahren stark zurück und die Heilungschancen ("Aufklärungsquoten") sind dabei auch nur mit erprobten, "grundrechtsschonenden" Medikamenten mit über 95% außerordentlich gut.

    Trotzdem will man das ungeprüfte neue VDS-Medikament unbedingt auf den Markt bringen, obwohl es nicht mal Belege dafür gibt, dass es überhaupt wirkt!

    Nicht nur das! Das VDS-Medikament wird nicht nur erlaubt, sondern allen Menschen in Europa, egal ob gesund oder krank, zwangsweise verabreicht, indem man es dem Trinkwasser beimischt oder per Flugzeug versprüht. Einfach auf den Verdacht hin, dass sich unter den hunderten Millionen, denen man das unerprobte Medikament so einflößt, vielleicht der eine oder andere Kranke befinden könnte.

    Schwer vorstellbar, dass sowas Verantwortungsloses gemacht würde. Bei beim "Krieg gegen den Terror" und speziell Internetüberwachung ist so was aber offenbar völlig normal. :freak:

    Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob der EuGH sich traut, den gefährlichen Wahnsinn zu stoppen.
  • Raijin 10.07.2013 11:11
    @herdware:

    Schöne Analogie. Das Problem ist nur, dass in deinem Beispiel durch den Einsatz des "Medikaments" direkt die Gesundheit des Menschen bedroht ist, im Falle der VDS sind es "nur" die Grundrechte. Auch ich würde da eine Grenze ziehen, da durch die VDS nicht mein Leben im Sinne von Atmen, Herschlag, etc. bedroht ist, sondern mein Leben im Sinne der freien Entfaltung - die zB auch (legale) Geheimnisse einschließt!!

    Was mir bei der Debatte zu kurz kommt ist die Tatsache, dass man diese Daten manipulieren bzw. sich tarnen kann - wenn man denn will und weiß wie es geht. Gerade in Bezug auf das Terror-Argument ist das ein wichtiger Punkt, weil Terroristen genau wissen was sie tun. Mit VPN und anderen Verschlüsselungs-/Netzwerktechnologien kann man der (Internet-)Überwachung entgehen. Da kann man noch soviel aufzeichnen und speichern, lesen kann man da nix. Am Ende ist Otto Normal dann der Dumme, weil er unbedarft im Internet unterwegs ist und auf Schritt und Tritt von den Überwachungsorganen beobachtet wird. Einmal auf der falschen Seite eine MP3 runtergeladen und schon stehen Uniformierte vor der Haustür... Der Terror-Nachbar wundert sich nur über den Tumult im Treppenhaus und bastelt an seiner Rohrbombe weiter..........

    Genau da liegt in meinen Augen der Hund begraben! Es wird mit der Schrotflinte auf die Grundrechte der Bürger geschossen, die eigentlichen Ziele, die Terroristen/Verbrecher, trifft man aber nicht, weil die lachend einen Schritt zur Seite gemacht haben.
  • Raijin 10.07.2013 17:46
    bei den Leuten "die nichts zu verbergen haben"... "Wishbringer, post: 14209225
    Gerade diesen Satz höre ich in meinem Umfeld immer häufiger. "Ich habe ja nichts zu verbergen, dann können sie ruhig zugucken". Aber genau das ist der Fehler, den die Befürworter bzw. Enthalter in Bezug auf die VDS begehen. Noch redet man von Verbindungsdaten, also wer mit wem wie lange telefoniert hat. Klar, das ist mir prinzipiell auch egal, wenn der BND bzw. die NSA sieht, dass ich mit meinen Eltern telefoniere. Allerdings ist das nur der erste Schritt. Wenn die VDS erstmal anfängt, Daten zu sammeln, wird auch der Umfang der Daten stetig ausgeweitet. Wer mit wem und wie lange, was fehlt? Na eben genau das "was". Es wird also beizeiten auch Gesprächsmitschnitte geben, wenn man seinem Telefongegenüber von der "Ars**bombe" im Schwimmbad erzählt.

    Das Problem an der ganzen Geschichte ist das enorme Potential für Missbrauch. Existieren erstmal entsprechend gesammelte Daten, steigen auch die Begehrlichkeiten. Im Vorwege wird beteuert, dass der Zugriff auf die Daten nur für die Terrorbekämpfung stattfindet. Dann kommt aber die Polizei daher und meint, man könne ja auch den Kleinganoven besser ausfindig machen. Auf einmal kommt das Finanzamt auf den Plan und möchte gerne wissen wer regelmässig mit der Schweiz telefoniert. Die Medienkonzerne reiben sich natürlich auch schon die Finger und im schlimmsten Falle kann man in einigen Jahren sogar private Anfragen stellen, um zB seinem Lebenspartner auf die Finger zu schauen.

    GPS-Profile sind da zB auch so eine Sache. Missbrauch dieser Daten kann zB dazu führen, dass einem die Bude ausgeräumt wird, während man laut GPS gerade in der Innenstadt beim Shoppen ist. Oder Dienstags, wenn Herbert angeblich länger arbeitet, macht er auf dem Heimweg immer einen Abstecher zur Wohnung seiner Ex-Freundin. Moralisch verwerflich? Ja! Illegal? Nein! Privat? Definitiv JA!
    Es geht sogar noch weiter. Was passiert, wenn in der Elisenstraße 17 ein Auto brennt? Erstmal die Telekom fragen wer denn alles in der Gegend war. Ob der Täter ein Handy hat ist ja unerheblich, man hat immerhin schon ein paar (Dutzend/Hundert) Verdächtige, bei denen man mal anklingeln kann - oder besser noch gleich auf die Wache zur Befragung bestellen. Das nennt sich dann Generalverdacht.

    Malte Spitz, von den Grünen, hat mal 6 Monate seiner Vorratsdaten von der Telekom eingeklagt (Quelle). In Kombination mit seinem Facebook-Account, Twitter und was weiß ich sonst noch so alles, konnte man so ziemlich jede Minute seines Lebens in diesen 6 Monaten nachverfolgen.

    Gesetzliche VDS ist das eine, Profildaten von "Kunden" sind das andere. Schon mal die AGBs von gmail gelesen? Man gewährt google dabei die Erlaubnis, die eMails maschinell nach Schlüsselworten zu durchsuchen. Auch da wieder "Who cares?" Ja gut, wenn man von seinem neuen Auto erzählt, dem neuen Modellflieger oder auch der tollen Geburtstagstorte, dann ist das "egal". Wenn ihr aber nach eurer Freundin am PC sitzt und google spuckt plötzlich Reklame für Schwangerschaftstests aus, solltet ihr euch Gedanken machen....

    In solchen Fällen wird es dann auch Otto Normal und Frida Standard (um nicht diskriminierend zu sein) nicht mehr so egal sein............