EuGH-Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung
Gestern hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Thematik der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt. Es geht dabei um die Frage, ob jene EU-Richtlinie, die die Rechtsgrundlage für die in Deutschland umstrittene anlasslose Datenspeicherung bildet, mit der Grundrechte-Charta vereinbar ist.
Diese Problematik wurde an den EuGH mittels Vorabentscheidungsersuchen herangetragen, das sowohl vom irischen High Court als auch vom österreichischen Verfassungsgerichtshof stammt. Wenn der EuGH entscheidet, dass die Richtlinie nicht mit der Grundrechte-Charta vereinbar ist, dann erklärt er sie gleichzeitig mit ex-tunc-Wirkung für ungültig. Das bedeutet, dass diese Richtlinie so behandelt wird, als ob sie rechtlich nie existiert hat.
Das Verfahren
Ein Vorabentscheidungsersuchen muss ein nationales Höchstgericht wie das deutsche Bundesverfassungsgericht an den EuGH stellen, wenn es in einem anhängigen Verfahren um die Interpretation von Unionsrecht geht. Dieses darf ausschließlich vom EuGH ausgelegt werden, damit sich kein Fleckenteppich von unterschiedlichen nationalen Auslegungen bildet. Wird solch ein Ansuchen gestellt, wird das vor dem nationalen Höchstgericht laufende Verfahren unterbrochen und erst bei Vorliegen eines Urteils des EuGH wiederaufgenommen. Die nationalen Höchstgerichte fällen dann auf dieser Basis ihr eigenes Urteil im konkreten Fall.
Ein solches Vorabentscheidungsersuchen zur Vorratsdatenspeicherung wurde von Irland im Juni 2012 und von Österreich im Dezember 2012 gestellt. Nachdem die beiden Ersuchen in ein Verfahren zusammengelegt worden sind, kam es nun gestern zu einer – nur in wichtigen Fällen angesetzten – mündlichen Verhandlung in Luxemburg, dem Sitz des EuGH.
In der Vorbereitungsphase bat der EuGH die Parteien, sich vor allem auf die Erörterung der Frage der Vereinbarkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (RL 2006/24) mit den Artikeln 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens) und 8 (Schutz personenbezogener Daten) der Grundrechtecharta (PDF) zu konzentrieren.
Bei der Anhörung waren die vier Kläger aus Irland und Österreich zugegen – allesamt Privatpersonen und NGOs, aber auch Abgesandte jener acht Staaten, die sich zu Wort gemeldet hatten (Irland, Österreich, Spanien, Italien, Portugal, Frankreich, Polen und Großbritannien). Vertreter von vier EU-Institutionen – das Parlament, die Kommission, der Rat und der Datenschutzbeauftragte – gaben ebenfalls Stellungnahmen ab.
Die Stellungnahmen
Die irische Klägerseite brachte die Fragen der Verhältnismäßigkeit und der leichten Missbrauchbarkeit der Vorratsdatenspeicherung auf das Tapet. Ersteres bedeutet, dass es nach irischer Sichtweise in keiner Relation steht, derart tief in Grundrechte einzugreifen, um Rechtsbrechern habhaft werden zu können. Letzteres zielt auf die Begehrlichkeiten von vielen Seiten ab, die solche umfassenden Datenmengen gerne für andere, eigene Zwecke nutzen würden – das gilt etwa für einige Verbände aus der Unterhaltungsbranche, die Vorratsdaten für die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen nutzen wollen.
Die österreichische Seite legte dar, dass sich die Vorratsdatenspeicherung vergleichsweise einfach umgehen lasse und somit nicht für den angegebenen Zweck taugt. Zudem wurde vorgebracht, dass die gespeicherten Daten in Österreich bisher lediglich bei 0,067 Prozent der verfolgten Delikte konsultiert und dabei vor allem Diebstahls-, Betrugs- und Stalking-Fälle aufgeklärt wurden. Das widerspricht der ursprünglichen Anti-Terror-Begründung der Richtlinie, zumal für die genannten Delikte ausgewogenere Instrumente wie etwa das „Quick-Freeze“-Verfahren bereit stehen würden. Weiter wurde angeführt, dass eine Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung schon längst in einschlägigen Verbrechensstatistiken hätte sichtbar werden müssen. Das sei aber nicht eingetreten.
Die Vertretung der irischen Regierung hingegen sieht in der Richtlinie eine notwendige und wirksame Maßnahme zur Verbrechensbekämpfung. Die Sicherheitsstandards hält man für ausreichend, zudem würden ihrer Ansicht nach keine Grundrechte verletzt. Der Abgesandte der spanischen Regierung blies in das selbe Horn, ebenso wie seine britische Kollegin und auch der italienische Vertreter. Dieser merkte noch an, dass man gegebenenfalls eine Opt-Out-Regelung für einzelne Mitgliedsstaaten vorsehen könnte – dieser Vorschlag zielt offensichtlich auf den deutschen Streit um die Vorratsdatenspeicherung ab.
Der Vertreter der österreichischen Regierung nahm keine klare Position zur Richtlinie ein. Vom Gericht wurde er zu den österreichischen Statistiken zur Vorratsdatenspeicherung befragt und bestätigte, dass von 139 abgeschlossenen Verfahren, im Zuge derer auf die Vorratsdaten zugegriffen wurden, diese Daten in 56 Fällen zur Aufklärung führten. 16 Delikte betrafen Diebstahl, jeweils zwölf Suchtmittel- und Stalking-Fälle, jeweils sieben entfielen auf Betrug und Raub, während es sich bei den restlichen zwei um „sonstige Delikte“ handelte.
Die Vertreter der EU-Institutionen brachten allesamt Pro-Argumente für die Richtlinie. So wurde etwa vorgebracht, dass die bisher vorliegenden Statistiken noch unzulänglich seien und falsch interpretiert werden. Generell sei die Maßnahme ein nützliches Instrument zur Verbrechensbekämpfung. Im Gegenzug dazu bezog der europäische Datenschutzbeauftragte eindeutig Stellung und nannte die Richtlinie lückenhaft, zu unspezifisch und zu mangelhaft in Bezug auf den Grundrechtsschutz.
Fragen der Richter und weiterer Verlauf
Laut Beobachtern waren die fachlich versierten Fragen der EuGH-Richter durch die Bank von Skepsis gezeichnet. Diese zielten insbesondere auf die widersprüchliche Begründung der Richtlinie durch die drei gesetzgebenden EU-Institutionen. So wurde etwa gefragt, woher man 2006 angeblich genügend Daten für einen Erlass hatte, wenn man 2008 doch eine Überarbeitung der Richtlinie ablehnte, weil man über solche Daten nicht verfüge.
Nach der gestrigen Anhörung wird der nächste Schritt im Verfahren die Vorlage des Gutachtens des zuständigen Generalanwaltes sein. In diesem wird er seine Rechtsmeinung darlegen, welcher der EuGH sehr häufig folgt. Es wird für den 7. November erwartet, ein Urteil des Gerichtes selbst soll zudem ebenfalls noch in diesem Jahr gefällt werden. Dieses dürfte dann auch eine Signalwirkung für das weitere gesetzgeberische Vorgehen hinsichtlich umfassender Überwachung von Unionsbürgern haben, sei sie nun innerstaatlich oder von außen stammend.