Liebe Computerbase-Redaktion,
es ist sehr schön, daß Ihr hier eine sachliche Diskussion anmahnt.
Ich bitte Euch jedoch darum, Eure journalistischen Aussagen als Vermutungen zu kennzeichnen, wenn es nur solche sind. Bei der Auslegung der Gesetzestexte zum Thema Sexualverbrechen in Schweden kann ich Euch nämlich aus erster Hand und Muttersprachler beider Sprachen versichern, daß sich die schwedische von der deutschen Definition einer Vergewaltigung ("våldtäkt") nicht wesentlich unterscheidet. Darüberhinaus gibt es auch in Deutschland neben der Vergewaltigung auch den Begriff der sexuellen Belästigung ("sexuell ofredande", wörtlich "sexueller Unfrieden"). Es hat keineswegs mit der hier stark legendenhaft dargestellten schwedischen Rechtsprechung zu tun (die übrigens nach meiner Erfahrung oft wesentlich transparenter, als z.B. in DE ist), daß der Fall solch aberwitzige Formen annimmt. Übrigens ist es nicht ungewöhnlich, daß Sexualvergehen international verfolgt werden. Falls jemand von Euch wen aus der Justiz kennt, kann er den dazu gern mal befragen.... Ungewöhnlich ist jedoch, daß namen von Verdächtigen in die Presse kommen.... oder heutzutage leider doch nicht? Ich sag nur Kachelmann. Dem half die formale Rechtslage leider auch nicht, um vor "Vorverurteilung" in der Öffentlichkeit geschützt zu werden (völlig egal, was man von dem Typen hält - er hat die selben Rechte, wie jeder von uns...bis er wirklich verurteilt wird oder eben auch nicht)
Die Rechtslage zu Sexualverbrechen kann übrigens unter Kapitel 6 des schwed. Strafgesetzbuches ("brottslagen") recherchiert werden. Es ist auch kein Problem, direkt die schwedischen Behörden zum Thema zu befragen. Die nötigen Telefonnummern etc finden sich unter
www.aklagare.se
Ich fordere Euch daher dringend auf, die entsprechenden Passagen Eurer Mitteilung zu redigieren und nicht Hörensagen als "Information" zu verkaufen.
Zur Sache selbst:
Es ist auch unabhängig von der schwedischen Rechtsprechung sehr suspekt, wie unreflektiert hier "beide" Seiten (es gibt vermutlich weit mehr als nur 2 verschiedene Interessenlager hinter der ganzen Situation) berichten.
Zum einen scheint es sehr wahrscheinlich (und es wäre auch kaum das erste mal), daß hier jemand mit strafrechtlichen Konstrukten mundtot gemacht wird. Der Machteinfluß der Amis ist auch in einem sonst recht liberalen Schweden nicht zu unterschätzen.
So schwarz-weiß, wie es jedoch in DE dargestellt wird, ist die Sachlage dann jedoch auch wieder nicht. Hier wäre ein kritischer Blick in die Verwicklung z.B. des Springer-Verlages sicher nicht unangebracht.
Leider ist selbst zu den angeblichen Opfern jedwede Information auf Hörensagen beruhend. Sowohl belastende Infos als auch entlastende. Es bleibt abzuwarten, was hier an Fakten auf den Tisch kommen wird. Fest steht doch bisher lediglich folgende Zeitleiste:
20.08.2010 - der diensthabende Staatsanwalt klagt Assange in Abwesenheit an (Verdacht: Vergewaltigung und/oder sexuelle Belästigung")
21.08.2010 - Chef-Staatsanwältin Eva Finné hebt die Anklage wegen Vergewaltigung auf. (Zur Info: Das heisst NICHT, daß jegliche Untersuchung eingestellt wird)
25.08.2010 - Eva Finné teilt mit, daß nach weiteren Untersuchungen unter Opferbefragungen die Anschuldigung durch Opfer1 den Verdacht einer Straftat NICHT verhärtet. Die Ermittlungen dazu werden niedergelegt. Zu Opfer2 besteht jedoch weiterhin Verdacht der sexuellen Belästigung. Die Ermittler werden instuiert, den Verdächtigen (Assange) zu verhören.
27.08.2010 Claes Borgström (offenbar Anwalt der Mädels, Anm.Elioth) stellt Antrag auf "överprövning" (ist sowas wie die Widerspruchs-Möglichkeit in DE) des Beschlusses der Staatsanwaltschaft (übrigens auch in DE ein gängiger Schritt, dem sich die Staatsanwaltschaft nicht verwehren kann, Anm. Elioth). Das Överprövning führt nun das "Entwicklungszentrum Göteborg"
01.09.2010 Oberstaatsanwältin Marianne Ny ordnet Wiederaufnahme der Voruntersuchung des Falles an. (Damit ist Assange also erneut unter Anklage, Anm. Elioth) Die Rubrizierung der Anklage lautet: Sexueller Zwang und Belästigung (ofredande). Also NICHT wie hier behauptet Vergewaltigung.
* regelmäßige Lageberichte durch Marianne Ny über den Fortschritt der Untersuchungen jedoch ohne neue Infos*
(interessant übrigens: 8.11.2010 Tomas Lindstrand, Chefstaatsanwalt für Sicherheitsfragen leitet eine Voruntersuchung wegen illegaler nachrichtendienstlicher Aktivitäten der amerikanischen Botschaft ein, allerdings in keinem direkten Zusammenhang mit dem Assangefall, sondern amerik. Botschaftspersonal betreffend, ich vermute allerdings aufgrund einiger WL-Dokumente??)
18.11.2010 Oberstaatsanwältin Marianne Ny beantragt Haftbefehl gegen Assange vor dem Stockholm District Court. Verdachtsaussage hier Vergewaltigung, sex. Belästigung, sex. Zwang. Hintergrund für den Haftbefehl ist, daß Assange nicht für eine Anhörung verfügbar ist (bei uns in DE ist die Geschichte mit dem "festen Wohnsitz" vergleichbar)
(Da hier jedoch wieder vom Verdacht der Vergewaltigung im Haftbefehl die Rede ist, ergibt sich daraus scheinbar auch die Begründung für den internationalen Fahndungsbefehl.)
24.11.2010 Das "Svea hovrätt" bestätigt die Gültigkeit des Haftbefehls.
Übrigens wird erneut klar, daß die immer wieder genannte Anna Ardin NICHT Grundlage dieser Untersuchungen ist, sondern die Aussage der 2. Frau, die derzeit "ms. W." genannt wird. Die Aussage der Anna Ardin wird auch von der schw. Staatsanwaltschaft offenbar nicht als belastend angesehen! Das nurmal als Klarstellung im Gegensatz zu diversen Behauptungen von verschiedenen Internet-Seiten.
01.12.2010 Eurpäischer Haftbefehl ist gegen Assange erlassen worden, bekräftigt Marianne Ny
02.12.2010 Der Oberste Gerichtshof (Högsta Domstolen) lehnt Assanges Antrag auf "Överprövning" des Haftbefehls ab. Der Haftbefehl ergäbe sich aus einer Anklage, die nun in allen 3 Instanzen geprüft wurde. Ergänzende Informationen zu den Anschuldigungen werden der britischen Polizei übermittelt
06.12.2010 zus. Information an britische Polizei übergeben. Die Angelegenheit wird nun zuständigen Rechts-Behörden gemäß europäischem Regelwerk hantiert. (Ist zunächst natürlich nur eine formelle Aussage, die ich hier übersetze, entspricht aber soweit den jur. Regeln in Europa)
07.12.2010 nach Medienangaben wurde Assange gefasst (was formal nicht ausschliesst, daß er sich in Gegenwart seiner Anwälte selbst zur Polizei begeben haben könnte, Anm. Elioth)
Um 16:45 gibt Oberstaatsanwältin Marianne Ny eine Pressekonferenz im "Polishuset" in Göteborg. Man wird also vermutlich nachher von dieser Seite einige konkretrre Aussagen erwarten können. Ich werde mich bemühen, hier ein Update einzubringen, wenn ich aus Schweden neues höre.
Elioth.