BVerfG kippt Vorratsdatenspeicherung
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat heute sein Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gefällt und selbige in der aktuellen Form für verfassungswidrig erklärt. Demnach verstoßen die Regelungen im Telekommunikationsgesetz und in der Strafprozessordnung gegen das Telekommunikationsgeheimnis in Art. 10 Abs. 1 des GG.
Zwar sei eine Speicherungspflicht in dem vorgesehenen Umfang nicht von vornherein schlechthin verfassungswidrig. Es fehle aber an einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung. Die angegriffenen Vorschriften gewährleisteten weder eine hinreichende Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der Verwendungszwecke der Daten. Auch genügten sie nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Transparenz- und Rechtsschutzanforderungen. Folglich erklärte das Gericht die Regelung insgesamt für verfassungswidrig und nichtig.
In seiner Urteilsbegründung kritisiert der Erste Senat des BVerfGs unter anderem, dass die Datensicherheitsmaßnahmen ohne konkrete Vorgaben den Unternehmen überlassen werden, die die ihrerseits unter Kostendruck stehen und dass ein ausgeglichenes Sanktionssystem fehle. Zudem sind die erhobenen Daten praktisch für alle Straftatbestände nutzbar, wodurch der Ausnahmecharakter der Nutzung verloren gehe. Der Datenpool ist Polizei und Nachrichtendiensten zu weitreichenden Zwecken zugänglich, die lediglich durch grobe Zielsetzungen begrenzt sind. Weiterhin ist der Datenabruf grundsätzlich auch ohne richterliche Genehmigung und ohne Wissen des Betroffenen möglich und der Schutz vertraulicher Verbindungen nicht gegeben. In Bezug auf die Auskunft bei IP-Adressen kritisieren die Richter, dass dies grundsätzlich auch bei Ordnungswidrigkeiten möglich ist und keine Benachrichtigungspflicht im Anschluss besteht.
Weniger im Sinne der Unternehmen ist die Entscheidung hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Artikel 12 des Grundgesetzes. Demnach stellt die Verpflichtung zur Datenspeicherung typischer Weise keine übermäßige Belastung für die Dienstanbieter dar. Insbesondere sei auch die finanzielle Belastung zumutbar, da sich die Unternehmen die Chancen des Telekommunikationsmarktes zur Gewinnerzielung zu Nutze machten und daher auch die Kosten zur Einhegung der durch ihre Dienste entstehenden Sicherheitsrisiken übernehmen müssten.
Das BVerfG wertet die Vorratsdatenspeicherung als einen besonders schweren Eingriff bisher nicht gekannten Ausmaßes in das Telekommunikationsgeheimnis. Mit solchen Daten ließen sich detaillierte Aussagen über gesellschaftliche und politische Zugehörigkeiten sowie persönliche Vorlieben, Neigungen und Schwächen treffen, die enorme Missbrauchsmöglichkeiten bieten. Zudem bestehe bei einer systematischen Auswertung die Gefahr weiterer Ermittlungen, ohne dass die Betroffenen vorher dazu Anlass gegeben hätten. Bei fehlender Transparenz besteht zudem die Gefahr eines diffus bedrohlichen Gefühl des Beobachtetseins, wodurch der Einzelne in der Ausübung seiner Grundrechte beeinträchtigt werden kann.
Das Gericht schließt eine Speicherung der Daten jedoch ausdrücklich nicht prinzipiell aus, knüpft sie jedoch an bestimmte Bedingungen. So müsse die Speicherung durch eine Verpflichtung der Dienstanbieter und nicht durch den Staat erfolgen. Die Daten wären auf diese Weise vor einem zentralen Zugriff und systematischer Auswertung sicher. Auch die Speicherdauer von sechs Monaten sehen die Richter im Prinzip nicht als Totalerfassung von Kommunikation und Aktivitäten sondern als eine der Bedeutung der Kommunikation in der heutigen Zeit angemessene Maßnahme. Nötig seien dabei jedoch anspruchsvolle und normenklare Regelungen zur Datensicherheit, zur Begrenzung der Datenverwendung, zur Transparenz sowie zum Rechtsschutz.
So dürfen die Daten nur für überragend wichtige Aufgaben des Rechtsschutzes verwendet werden. In der Strafverfolgung bedeutet dies, dass ein durch Tatsachen begründeter Verdacht auf eine schwere Straftat bestehen muss, wobei der Staat gesetzlich regeln muss, welcher Tatbestände hiervon betroffen sind. In der Gefahrenabwehr muss eine ebenfalls auf Tatsachen beruhende konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für Bestand oder Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr bestehen. Gleiches gelte für die Verwendung der Daten durch die Nachrichtendienste.
Grundsätzlich von der Vorratsspeicherung ausgenommen werden sollten besonders auf Vertraulichkeit angewiesene Telekommunikationsverbindungen im sozialen und kirchlichen Bereich, wenn diese grundsätzlich anonymen Anrufern Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen bieten und daher Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegen.
Hinsichtlich der Transparenz fordern die Richter eine Offenheit der Erhebung und Nutzung personenbezogener Daten. Ohne deren Wissen dürften diese nur dann genutzt werden, wenn eine vorherige Benachrichtigung den Zweck vereitelt, was grundsätzlich für Gefahrenabwehr und Nachrichtendienste gelte. In der Strafverfolgung bedürfe es hingegen einer richterlichen Anordnung für eine Nutzung ohne vorherige Benachrichtigung und einer nachträglichen Benachrichtigung in diesem Falle. Ausnahmen dabei dürften nur unter richterlicher Kontrolle erfolgen.
Die Übermittlung und Nutzung der Daten stellt das BVerfG grundsätzlich unter Richtervorbehalt, sollte eine vorherige Benachrichtigung Betroffener nicht möglich sein, müssten diese zumindest nachträglich die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle haben.
Als weniger kritisch stufen die Richter die mittelbare Nutzung der Daten zur Identifizierung von IP-Adressen ein, weshalb hierfür weniger strenge verfassungsrechtliche Maßgaben gelten. Als Begründung wird angegeben, dass die Behörden dabei selbst keine Kenntnis der vorsorglich gespeicherten Daten erhalten sondern nur Auskunft über den Inhaber eines bestimmten Anschlusses. Daher seien Profile in diesem Fall nicht ohne weiteres erstellbar, zumal von einer solchen Auskunft nur einer kleiner Ausschnitt der Daten betroffen ist. Dennoch müsse ein hinreichender Anfangsverdacht oder eine konkrete Gefahr auf Tatsachenbasis bestehen, da der Gesetzgeber durch eine Begrenzung der Anonymität auf die Kommunikationsbedingungen im Internet einwirkt. Im Falle von Ordnungswidrigkeiten ist daher eine besondere Bedeutung der Verfolgung nötig.