Telekom-Spitzelaffäre größer als gedacht
Die Spitzelaffäre bei der Deutschen Telekom hat offenbar weitaus größere Dimensionen, als anfänglich angenommen. Nach neuesten Enthüllungen kam es bereits unter Ron Sommer zu Überwachungsaktionen, was bedeutet, dass sich die Affäre nach aktuellem Stand über drei Konzernchef-Amtszeiten hinzog.
Demnach vergab die Telekom laut Berichten der Financial Times Deutschland (FTD) und des Wirtschaftsmagazins Capital bereits im Jahr 2000 Aufträge an Detekteien, um über Journalisten undichte Stellen im eigenen Haus ausfindig zu machen. Dabei sollen jedoch weitaus rustikalere Methoden angewandt worden sein, als bei den zunächst bekannt gewordenen Fällen von 2005 und 2006, bei denen die Telekom ein Berliner Unternehmen damit beauftragt hatte, über Telefondatenabgleiche Verbindungen zwischen internen Stellen und missliebigen Journalisten zu eruieren. So sei ein Redakteur der FTD gar mit Kameras ausgespäht worden.
Im Fadenkreuz der von Ex-Geheimdienstlern gegründeten Wirtschaftsdetektei Desa stand offenbar vor allem auch FTD-Chefreporter Tasso Enzweiler, der just zu dieser Zeit mit einigen Enthüllungsgeschichten rund um den Ex-Monopolisten auf sich aufmerksam machte. Aus diesem Grund bot sich eine Ausspähung Enzweilers ideal an, um über ihn undichte Stellen zu identifizieren. Im Zuge der Desa-Ermittlungen sei auch vor einer versuchten Videoüberwachung der Redaktionsräume des Journalisten nicht zurückgeschreckt worden. Ähnlich interessant wurde im Rahmen der 2005/2006er-Überwachung Capital-Redakteur Reinhard Kowalesky und das vor allem deshalb, weil man dem Telekom-Aufsichtsrat Wilhelm Wegner auf Basis der Telefondatenabgleiche nachweisen konnte, dass Telefongespräche mit Kowalesky stattgefunden hatten. Bestärkt wurde dieser Vorwurf durch einen bei Capital eingeschleusten Spitzel, der laut Informationen des Spiegel ebenso eine Verbindung zwischen Kowalesky und Wegner nachweisen konnte.
Unklar ist nach wie vor, von wem in verantwortlicher Position die Initiative für die Aktionen ausging oder ob die zuständige Abteilung Konzernsicherheit gar eigenmächtig agierte. Dass selbst höchste Konzernverantwortliche nichts von den Vorgängen wussten, erscheint als unwahrscheinlich: „Mir kann keiner erzählen, dass die Informationen über Kowalewsky und Aufsichtsrat Wegner nicht auf den Schreibtischen des ehemaligen Konzernchefs Kai-Uwe Ricke und des Ex-Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel gelandet sind - spätestens dann hätte denen die Verwendung von Telefonverbindungsdaten auffallen müssen“, zitiert die FTD einen hochrangigen Telekom-Manager. Ebenso unwahrscheinlich ist wohl, dass Ron Sommer nichts von der Ausspähung Enzweilers erfahren hat.
Der aktuelle Konzernchef René Obermann ist bis dato allerdings mit keinem der Vorwürfe direkt in Verbindung zu bringen. Im Gegenteil: Unter seiner Leitung wurde der Leiter der Abteilung Konzernsicherheit, Harald Steininger, gefeuert und auch die unlängst erfolgte Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ist auf Obermann zurückzuführen. Fraglich aber ist, weshalb Obermann nach dem internen Bekanntwerden der Capital-Vorgänge weder das Magazin noch die Öffentlichkeit informierte.