Kommentar: EMI spielt den weißen Ritter der Musikindustrie
EMI begeht Flucht nach vorne
Es ist, vorab gesagt, nicht zu leugnen, dass der Nutzer trotz DRM einige Rechte und Möglichkeiten besitzt, seine Musik auch abseits vom PC zum Einsatz zu bringen. Dennoch stellt sich für viele die Frage: Warum überhaupt Grenzen? Warum muss man sich bei einem Preis von 0,99 Cent pro Song und mehr schon beim Download darüber im Klaren sein, dass das ungezügelte Abspielen des Stückes unter Umständen nur hinter Hürden oder gar durch windige Methoden möglich ist?
Allein vor diesem Hintergrund ist es schon erstaunlich, dass die DRM-Vorzeigefestung Apple iTunes Music Store sich dermaßen schnell und erfolgreich etablieren konnte – die weltumspannende Verbreitung des iPods hat ihren Teil dazu beigetragen. Doch mit einer beinahe absurden Kaufbereitschaft förderte der geneigte Benutzer letztendlich selber die DRM-Politik und schaufelte seinen eigenen Rechten das Grab – eine einzigartig verfahrene Situation. Was tun?
In einem solchen Fall bedarf es nun zumeist eines weißen Ritters, der – auf den eigenen Vorteil verzichtend – in die Bresche springt und die Missstände bereinigt. Da es so etwas in der Regel nur in den Grimm'schen Märchen gibt, passierte mit der Handhabung der DRM-Problematik lange Zeit wenig; bis vor nicht allzu langer Zeit zwei entscheidende Faktoren aufeinander trafen.
Ein erster entscheidender Ruck ging von den Europäern aus. Vor allem in Skandinavien wollten Verbraucherschützer die kartellähnliche Restriktions-Politik der Plattenfirmen und großen Webmusik-Plattformen, allen voran Apples iTunes Music Store, nicht länger hinnehmen. Durch eine Art Kettenreaktion wurde aus einem leichten Summen schnell ein lautes Rauschen, dem sich zuletzt selbst die Größen der Branche nicht entziehen konnten. Und wie sooft in einem solchen Fall begannen plötzlich höchste Kreise, sich den schwarzen Peter gegenseitig zuzuschieben. Der von den europäischen Verbraucherschützern massiv angegangene Steve Jobs sah sich zu Unrecht attackiert: So würden die großen Plattenfirmen Apple quasi per Dekret zur Verwendung von DRM zwingen. Ginge es nach dem liberalen Jobs, so würde es erst gar keine Schutzmechanismen geben. Friede, Freude, Eierkuchen – brought to you by Apple!
Weise Worte – die tunlichst außer Acht ließen, dass Apples Erfolg auch durch DRM und der damit verbundenen Verschmelzung von iPod und iTunes genährt wurde. Dennoch steckte in der Jobs-Kritik ein durchaus wahrer Aspekt: Letztlich waren und sind die großen Major Labels die Motoren hinter der DRM-Politik, die ursprünglich dazu gedacht war, das zu verhindern, was im eigentlichen Kerngeschäft, dem Verkauf von Tonträgern, seit Jahren auf der Tagesordnung steht: Die Raubkopiererei.
Die Labels, die den Vorstoß von Steve Jobs nicht ganz zu Unrecht „scheinheilig“ nannten, hielten vorerst einheitlich an DRM fest. Zum Glück des Verbrauchers kam nun aber seit Beginn des neuen Jahres der zweite Aspekt der Lösung des „DRM-Problems“ zum Tragen. Nachdem sich selbst EMI-Top-Künstler wie Robbie Williams in letzter Zeit immer schlechter verkauften, steht der Konzern mit dem Rücken zur Wand. Und das so massiv, dass der direkte Konkurrent Warner Music schon erste Übernahme-Offerten an die EMI-Führung adressierte und sich ernsthafte Hoffnungen auf eine Verschmelzung zum Nachteil des Konkurrenten machen kann.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die EMI mit dem gestrigen Tag die in der Branche als äußerst kritisch eingestufte Abkehr von DRM vollzogen hat. In einer solchen Misere fällt es wohl leichter, auf die für Verleger nicht zu leugnenden Vorteile von DRM zu verzichten und ein neues Modell zu wagen, denn viel hat EMI-Topmanager Eric Nicoli nicht zu verlieren: Entweder er hat Erfolg oder Warner wächst nicht-organisch zum größten Major auf Erden.
Wie auch immer, den Online-Musik-Käufer freut EMIs Schritt. Doch jetzt es liegt an ihm, den Stein des Anstoßes weiter ins Rollen zu bringen. Auch wenn die anderen Label vollmundig darauf pochen, auch zukünftig nicht auf DRM verzichten zu wollen, werden sie nicht darum herum kommen, ihr Angebot zu öffnen – so EMI mit ihrem Vorstoß denn Erfolg haben sollte.
Damit liegt der weitere Werdegang der Geschichte beim ehrlichen Benutzer. Denn eines steht fest: Der Verzicht auf DRM öffnet denen, die schon heute raubkopieren, Tür und Tor und wird an dem Verhalten der „Geiz-ist-geil“-Anhänger nichts ändern. So mag es wie Werbung klingen, doch heute heißt es wohl: „Kauft EMI-Künstler (bei iTunes), für ein Maximum an Kompatibilität und gegen DRM!“
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