Medal of Honor im Test: Die Bösen sind jetzt die Taliban
2/4MoH auf einen Blick
Die vielleicht dringendste Frage, die im Zusammenhang mit „Medal of Honor“ formuliert werden kann, ist schnell beantwortet: Sieht man einmal vom kontroversen Szenario samt inhaltlichen Folgen ab, so finden sich kaum Merkmale, die das Spiel eindeutig von der Konkurrenz unterscheiden.
Dies bedeutet, dass man auch in diesem Fall auf der Seite des aus westlicher Sicht „Guten“ steht und dabei in die Rolle von unterschiedlichen Angehörigen der US-Streitkräfte schlüpft, um so gegen das „Böse“ zu kämpfen. Dies bedeutet ferner, dass man in dieser Funktion den Bösewichten – hier in Form einer schier nicht enden wollenden Flut von Taliban-Kämpfern – nicht zuletzt mit modernster Technik so richtig den Hintern versohlt. Und dies bedeutet schließlich auch, dass man am Ende mehr oder weniger siegreich den Abspann betrachten darf – die Standard-Erzählung des Genres wird also im Groben auch hier erzählt.
So ernüchternd all' das klingt: „Medal of Honor“ ist ein hervorragendes Beispiel dafür, von welcher Wichtigkeit heutzutage in den allermeisten Fällen auch und gerade in Videospielen die Erzählung und das entsprechende Umfeld sind. Denn anders als bei „Call of Duty“ (siehe ComputerBase-Test zum letzten „Modern Warfare“-Teil der Serie) wird der Spieler hier nicht in eine fiktive prä-apokalyptische Zeit katapultiert, in der mit allen Wassern gewaschene Über-Terroristen die Welt mit Atombomben in Angst und Schrecken versetzen. Stattdessen nimmt der Spieler am afghanischen Part der höchst realen Operation „Enduring Freedom“ (OEF) teil, mit welcher eine breite Staaten-Koalition unter Führung der USA und vor dem Hintergrund der Geschehnisse des 11. September 2001 dem internationalen Terrorismus und dessen Unterstützern den Krieg erklärte. Da bekanntlich auch die eine krude, radikale Auslegung des Koran verfolgenden Taliban in Afghanistan als Gastgeber für die Drahtzieher von „Nine Eleven“ galten, zielte OEF im Besonderen auf die Vernichtung des Regimes in Kabul ab – ein historisches, viel diskutiertes Ereignis, dass die Weltöffentlichkeit bis heute in vielen Facetten beschäftigt und nun also auch zum ersten Mal als Setting für einen Shooter dient.
Bemerkenswert (aber inhaltlich naheliegend) ist dabei, dass in „Medal of Honor“ nicht die Gegenwart konkreter thematisiert wird, in der sich die ISAF-Streitkräfte einem zermürbenden, sogenannten „asymmetrischen Krieg“ mit ungewissem Ausgang gegenübersehen, sondern dass stattdessen die ersten Tage und Wochen von OEF auf afghanischem Terrain als Szenario dienen – eine Zeit, in der es sich insbesondere im Vergleich zum heutigen Stand der Dinge tatsächlich noch um einen vergleichsweise konventionellen Krieg mit eindeutigen Fronten handelte.
Auch dies bringt wiederum inhaltliche Implikationen mit sich. So ermöglicht es eine derartige zeitliche Ansiedlung beispielsweise, problemlos klassische Kriegsinhalte zu präsentieren. Statt komplexer Anti-Guerrila-Einsätze führt man deswegen in der ersten MoH-Stunde ziemlich konventionelle Missionen aus, die ihren Höhepunkt in der Erstürmung des strategisch wichtigen Flugfelds von Bagram finden.
Gerade in dieser ersten Zeit dürften viele Spieler allerdings tiefe Ernüchterung empfinden – denn hier spielt sich „Medal of Honor“ wie ein schlechteres „Call of Duty“. Genauso wie beim großen Konkurrenten setzen die Macher auch hier auf schlauchartige Einbahnstraßen-Abschnitte, die nur minimale Bewegungsfreiheit bieten und in der Dynamik einzig und allein durch eine Vielzahl von (manchmal fehlerhaften) Scripten simuliert wird. Dies äußert sich darin, dass man sich ziemlich hirnlos von A nach B schießen muss, wobei andauernd ganze Horden von Taliban auf den Spieler einprasseln. Die virtuelle Schießbude wird dabei stets mit bis zu drei KI-Teamkameraden durchquert, die mit ständigen Kommandos und Kommentaren für ein wenig Atmosphäre sorgen, dafür aber unsterblich sind und sich durchaus mal in die Nähe des Spielers beamen, falls sie irgendwo hängen bleiben sollten.
Aufgrunddessen, aber insbesondere auch wegen der vielen Scripte lässt sich die grundsätzliche Güte der KI nicht wirklich bewerten. Böse Zungen würden nicht ganz zu Unrecht behaupten, dass sie kaum vorhanden ist, da die Gegner planlos in Hundertschaften auf den Spieler losgelassen werden und dabei insbesondere in den ersten beiden von drei Schwierigkeitsgraden keine wirkliche Gefahr darstellen, da sie häufig nicht mal wirklich Deckung suchen.
Nimmt man also die erste von etwas enttäuschenden aber leider ziemlich gängigen sieben Stunden Einzelspieler-Kampagne zum Maßstab, so müsste man „Medal of Honor“ ein ziemlich schlechtes Zeugnis ausstellen. Das Spiel wird aber, und hier findet sich sicher eine kontroverse Behauptung, mitunter ausgerechnet vom so heiß-diskutierten Setting gerettet.
Hat man die ersten 0815-Missionen nämlich erst einmal hinter sich gebracht, wird man mit einem spannenden Mittel- und Endspiel belohnt, das in puncto Authentizität und Tiefgang merklich vom glaubwürdigen „Taliban“-Szenario profitiert. So nimmt man in wechselnden Rollen – jeweils als ein Mitglied zweier Spezial-Einheiten, als rustikaler Ranger und als Schütze eines Hubschraubers – an einer Offensive gegen versprengte Taliban-Kämpfer teil, die im unwegigen Terrain der afghanischen Berge stattfindet, ziemlich schnell außer Kontrolle gerät und darin mündet, dass eine handvoll eingekesselter US-Soldaten sich in spannenden, über mehrere fiktive Tage verteilten Missionen einen Weg zurück in sichere Gefilde bahnen muss.
Hier zeigt sich einmal mehr, was spätestens seit „Operation Flashpoint“ eine Gewissheit ist: Gehetzte Rückzugsgefechte sind deutlich fesselnder als die plumpe Zurschaustellung militärischer Überlegenheit. Plötzlich wird das Team getrennt und zwei Mitglieder müssen sich alleine durch die feindlichen Linien schlagen, werden gefasst und schließlich in einer ebenso dramatischen wie fordernden Rettungsmission gerettet – emotionales, glaubwürdiges Finale inklusive.
In diesen Minuten und Stunden beweist „Medal of Honor“, dass es durchaus anders ist als die bombastische, stets auf das Große und Ganze abzielende Konkurrenz. Denn anders als bei „Call of Duty“ geht es hier plötzlich um individuelle Schicksale, die fernab der großen CoD-Themen – Atombombe, ur-böser Über-Terrorist, Weltuntergang – behandelt werden und dadurch überraschend glaubwürdig wirken, auch wenn die Entwickler manche Möglichkeit auslassen, die eingeschlagene Richtung noch konsequenter zu verfolgen: Die Taliban bleiben eine gesichtlose aber immerhin nicht übersimplifiziert-böse Masse, die US-Soldaten werden charakterlich kaum vorgestellt und unterliegen dann doch weitgehend dem typischen, hohlen „für Vaterland und die Kameraden durch die Hölle“-Paradigma – Zweifel selbstredend ausgeschlossen.
Dennoch lässt sich spätestens ab Stunde 3 von MoH erkennen, dass es die Verantwortlichen mit der neuen Richtung im Genre ernst meinen – ein mutiger Schritt, der insgesamt gelingt und so manche Schwäche verzeihlich macht.