Men of War: Red Tide im Test: Hardcore-RTS mit Macken
2/3Red Tide auf einen Blick
Orientiert man sich alleine am Umfang, so kann man „Red Tide“ ein gutes Zeugnis ausstellen. Das Addon erstreckt sich über 23 teils langwierige Missionen, die auf sechs große historische Schlachten verteilt sind und bei denen der Schwerpunkt auf dem Kriegseinsatz der sowjetischen Armee liegt. Die Konsequenz, in der diese ungewöhnliche Perspektive durchgehalten wird, zeichnet „Red Tide“ gegenüber vielen Konkurrenten im Genre aus: Statt mit dem Sturm auf die Normandie beginnt das Spiel dementsprechend weniger kolossal mit der Verteidigung von Odessa und auch fortan steht der Kriegsverlauf im Osten im Vordergrund.
Die Kombination dieser Eigenschaft mit der Verfügbarkeit von insgesamt knapp 100 unterschiedlichen militärischen Einheiten sorgt dafür, dass „Red Tide“ noch stärker als das Hauptspiel mit einem angenehm ungewöhnlichen Anstrich aufwartet, der für eine nennenswerte Abgrenzung von vielen Konkurrenten sorgt.
Und auch in anderer Hinsicht präsentiert sich der Titel – genauso wie das Hauptspiel – vergleichsweise frisch. So liegt der Fokus bei den Einheiten trotz der theoretisch vorhandenen Fülle eindeutig auf der Infanterie. Diese und andere Einheiten steuert man entweder im Verbund und damit so wie anderswo ebenfalls üblich; zudem kann man aber auch auf jedes einzelne Mitglied der verfügbaren Truppen zugreifen, was eine ganze Menge an Möglichkeiten und Aufgaben mit sich bringt.
So können beispielsweise einzelne Soldaten für spezielle Aufgaben wie Ablenkungsmanöver angewählt oder gewiefte Hinterhalte konstruiert werden. Dies führt in Kombination mit einem extra Inventar für jeden Soldaten dazu, dass selbst bei kleinen Verbänden ein hoher Grad an Mikromanagement erforderlich ist. Für den Spieler hat eine solche Konzeption zweierlei Auswirkungen: Zum einen erhöht es die spielerische Freiheit und Feinheit, zum anderen aber auch die Komplexität.
Dadurch, dass Waffen bzw. Munition sowie Granaten und anderes Zubehör chronisch rar sind, ist man wie schon in „Men of War“ stets darauf angewiesen, entsprechende Gegenstände unterwegs einzusammeln. Allein dieser Vorgang samt ausgewogener Bewaffnung der eigenen Soldaten mit den unterschiedlichen Waffengattungen kann je nach Situation mehrere Minuten in Anspruch nehmen – Minuten, in denen der Spieler sämtliche Vorgänge per Hand in Gang setzen muss.
Dafür hat die Möglichkeit zu einer derart differenzierten Unterteilung natürlich auch Auswirkungen auf die taktische Tiefe. Statt einfach frontal im Pulk auf gegnerische Einheiten draufzuhauen, ist vielmehr der ausgewogene, umsichtige Umgang mit den stets nur begrenzt verfügbaren Truppen gefragt.
Kurzer Video-Einblick zu „Red Tide“ aus einer der ersten Missionen
Dies wirkt sich wiederum direkt auf die Konzeption der Missionen aus. „Red Tide“ ist genauso wie das Hauptspiel kein klassisches Echtzeitstrategiespiel, in dem eine vom Spieler geführte Großarmee auf jene des Computers trifft. Stattdessen kommen Elemente zum Einsatz, wie man sie beispielsweise auch aus „Company of Heroes“ kennt: Man schleicht sich an ein vom Gegner besetztes Dorf heran und hat nun verschiedenste Möglichkeiten, um das jeweilige Missionsziel zu erreichen. So kann man zum Beispiel versuchen, einen Panzerwagen des Gegners in den Wald zu locken, um ihn dann zu übernehmen; oder man übernimmt eines der MG-Nester und flankiert die darauf zurückenden Gegner aus einem Hinterhalt; oder man versucht größtenteils robbend und ohne großes Aufsehen zum Ziel zu gelangen.
An dieser Stelle spielt „Red Tide“ eine weitere Stärke aus: Die Missionsziele sind zwar konkret vorgegeben, der Weg dorthin aber völlig offen. Zudem variieren die Missionen von vergleichsweise offenen Schlachten über klassische Verteidigungs- und Eroberungsaufgaben bis hin zu Aufklärungs- und Zermürbungsmissionen hinter den feindlichen Linien, was für eine angenehme Abwechslung der Erfordernisse und Möglichkeiten sorgt.
Unbedingt erwähnenswert ist, dass das Addon dem Hauptspiel in puncto „Schwierigkeitsgrad“ in nichts nach steht. So kommt es auch in diesem Fall keiner Übertreibung gleich, wenn man von einem „Hardcore“-RTS spricht, denn selbst auf der Schwierigkeitsstufe „leicht“ und unter Verwendung der unterschiedlichen Spulfunktionen für die Zeit werden Freunde des Genres teils über die Maßen gefordert, was im Fazit noch einmal aufgegriffen werden soll.
Bis hierhin könnte man meinen, dass es sich bei „Red Tide“ um ein Strategiespiel der Extraklasse handelt. Leider wird dieser gute Eindruck von einigen Unzulänglichkeiten getrübt, die besonders deswegen sauer aufstoßen, weil man sie in nahezu identischer Form auch beim Hauptspiel identifizieren konnte.
Nach wie vor in Teilen katastrophal ist die Wegfindung: So wird der Aufwand im Bereich „Mikromanagement“ noch dadurch erhöht, dass man Positionswechsel und dergleichen niemals unbeaufsichtigt ablaufen lassen kann, da die eigenen Truppen ansonsten nur allzu gern erhobenen Hauptes ins gegnerische Sperrfeuer rennen oder sich alleine einem Panzer stellen. Verschärft wird dieses Problem durch die undurchsichtige, automatische Verstellung von Einheiteneigenschaften wie dem Feuerverhalten oder dem Wechsel zwischen Liegen und Stehen; auch aus diesem Grund muss man ständig nachjustieren.
Seine Ursache hat dieses Phänomen in der grundsätzlich und auch auf der gegnerischen Seite für Aussetzer anfälligen künstlichen Intelligenz (KI). Zwar erweist sich die Gegner-KI als durchaus zäher und über weite Strecken kompetenter Brocken, doch bedeutet dies nicht, dass ein gegnerischer Panzerwagen nicht auch mal mit Karacho und ohne Not in eine Scheune brettert und Soldaten auf der Stelle trampeln, anstatt ein unbenutztes MG42 zu besetzen. Da gleiches auch für die eigenen Einheiten gilt, mündet die an dieser Stelle unzureichende Entwicklung in einer noch stärkeren Notwendigkeit zum Mikromanagement.
Sein übriges tut dabei im Übrigen auch die weiterhin hakelige Steuerung. Zwar kann man sich tote Gegner per Tastendruck anzeigen lassen, sodass man Nachschub an Munition und Co. nicht mühsam händisch in Wäldern und zerstörten Häusern zusammen suchen muss, doch fallen die in Teilen sehr kleinteiligen Notwendigkeiten häufig aufgrund der ungenauen Steuerung schwer, was sich abermals verschärfend aufs Mikromanagement auswirkt.
Auch in Sachen Grafik, Sound und Güte der Konzeption hat sich nicht allzu viel getan. Visuell bewegt sich „Red Tide“ auf einem für ein Echtzeitstrategiespiel durchaus akzeptablen, aber keinesfalls sonderlich ansehnlichen Niveau, wobei eine nicht ganz saubere Entwicklung wohl dafür verantwortlich ist, dass die Bilderraten auf unserem Testsystem je nach Situation zwischen 30 und 100 schwanken. Dabei muss aber erwähnt werden, dass die Entwicklung auf dem Stand von 2009 basiert – so lange dauerte es, bis für den deutschen Markt ein Publisher gefunden werden konnte – was die grafische Präsentation in einem anderen Licht erscheinen lässt. Die musikalische Untermalung wirkt leider nach wie vor wie aus der Konserve herbei gezaubert – positiver fallen dagegen die gerade noch mit „gut“ zu bezeichnenden Synchronstimmen aus, die zwischen den Missionen für den roten Faden sorgen.
Wirklich ärgerlich ist aber, dass es auch „Red Tide“ wie schon dem Hauptspiel an Qualitätssicherung mangelt. In unserer Ausgangsversion war es ohne Hotfix weder möglich zu speichern oder zu laden noch den Schwierigkeitsgrad zu verstellen. Und auch mit installiertem Hotfix kann es vorkommen, dass Scripte nicht auslösen und Missionen aus diesem Grund nicht weitergespielt bzw. neugestartet werden müssen. Immerhin: Abstürze mussten wir im Rahmen der Testzeit nicht verzeichnen.