Kommentar: Googles Motorola-Kauf ist ein Spiel mit dem Feuer
Googles Spiel mit dem Feuer
Was für klassische Industrien gilt, gilt auch für das Geschäft mit mobilen CE-Geräten samt Ökosystem: Wer heute oben ist, ist morgen nicht selten schon wieder unten. Beispiele für dieses fast schon natürliche Auf und Ab – ein leicht abgewandelter Adam Smith lässt Grüßen – gibt es gerade dieser Tage genug: Während sich Nokia vom Weltmarktführer zum trägen Microsoft-Sklaven herunter gewirtschaftet hat, schaffte es Motorola binnen weniger Jahre vom Razr-Innovationsführer zum trostlosen Vehikel für Googles Einstieg in den Hardwaremarkt.
Vor einem solchen Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass es mit Google in diesem sehr ungemütlichen Segment einen Akteur gibt, der sich über die Jahre hinweg erstaunlich konstant auf höchstem Niveau gehalten hat. Sicher, auch für den Internetkonzern konnte man einige Schüsse in den Ofen verbuchen – summa summarum liest sich die unlängst durch den vielversprechenden Start von Google+ erweiterte Google'sche Bilanz aber ziemlich ordentlich.
Allerdings zeigen die erwähnten Schüsse in den Ofen, dass auch bei Google nicht automatisch alles zu Gold wird. Umso kritischer muss der 12,5 Milliarden US-Dollar teure Einkauf von Motorola Mobility gesehen werden – und zwar insbesondere mit Blick auf die sicher nicht ohne Grund nun öffentlich gewordenen Überlegungen von HTC bezüglich eines eigenen Betriebssystems.
Die Skepsis ist vor allem dann zu verstehen, wenn man sich Googles bisherige Lage im Smartphone- und Tablet-Markt vor Augen führt. Durch Android ist es dem Konzern gelungen, eine äußerst komfortable Stellung einzunehmen: Man ist der Provider einer überaus beliebten, im Vergleich zur Konkurrenz wirklich offenen Plattform, die automatisch von all jenen Herstellern nachgefragt wird, die (noch) über keine eigene Lösung in puncto Betriebssystem verfügen.
Google ist damit dank Android der Katalysator für jenen großen Branchenzweig, der sich nicht, oder zumindest nicht nur auf das Klein-Klein einer eigenen OS-Entwicklung konzentrieren kann oder möchte. Dies hat unter anderem den Vorteil, dass das Gros des ökonomischen Risikos bei den Herstellern liegt. Diese tragen allerdings nicht nur die Gefahr des Misserfolgs von einem Gerät, sondern investieren ihre Marketing- und PR-Ausgaben indirekt auch in den Erfolg von Android. Nicht umsonst spielt die Plattform in diesem Kontext eine so tragende Rolle: In Zeiten, in denen sich die Hardware-Spezifikationen immer stärker ähneln, sind es sekundäre, vermeintlich weiche Aspekte wie das Betriebssystem, die UI oder das größere „Ökosystem“, auf die es ankommt.
Zusammengefasst konnte sich Google deswegen bis dato auf die Weiterentwicklung von Android konzentrieren, während so namhafte Hersteller wie Samsung, HTC, LG oder Sony Ericsson das harte Geschäft mit dem Hardware-Produkt, dem Vertrieb und den manchmal so schwer durchschaubaren Konsumenten übernahmen.
Diese komfortable Position gehört, dies zeichnet sich immer deutlicher ab, durch den Zukauf von Motorola Mobility nun womöglich der Vergangenheit an. Die alles entscheidende Frage lautet dabei, wie Google mit der neuen, nicht mehr eindeutigen Rolle umgehen wird. Bisher war der Internetkonzern für die besagten Hersteller zumindest weitgehend ein neutraler Partner: Durch das Zusammenwirken zwischen der Google-Software und dem von den Herstellern bereitgestellten Hardware-Produkt konnte von einer Symbiose gesprochen werden, bei der sich die unterschiedlichen Akteure gegenseitig halfen. Während die Hersteller Googles Plattform in alle Welt trugen und damit bekannt und relevant machten, lieferte Google eine attraktive, über die Zeit extrem nachgefragte Plattform, die von den Herstellern wiederum zur Bewerbung ihrer Geräte genutzt werden konnte – eine Win-Win-Situation, wie man sie in der Realität trotz nicht ganz ausbalancierter Schwerpunkte nur selten vorfindet.
Diese Symbiose ist durch den Kauf von Motorola Mobility nicht zwingend ad acta gelegt, kann aber allemal als korrumpiert gelten. Denn während Nokias auf Windows Phone 7 festgelegter CEO Stephen Elop treffend und nicht ohne Häme von einer „Chance“ durch die „Unsicherheit“ rund um Android spricht, dürften die mit Android verbandelten Hersteller sich dieser Tage tatsächlich mehr denn je fragen, wo es mit der Plattform eigentlich hingeht und ob es sich beim Partner von heute eventuell um den Konkurrenten von morgen handelt – die erwähnten Überlegungen bei HTC und die sich wacker haltenden Gerüchte um Kaufpläne für webOS bei HTC und Samsung sind die sichtbarsten Auswirkungen dieses Bebens.
Aus der Perspektive von Google stellt sich beim Blick auf diese Konstellation die Frage, ob der nicht unbedingt günstige Zuschlag für Motorolas Mobilfunksparte tatsächlich sinnvoll war. Der Grund für diese Frage ist eigentlich sehr einfach: Sobald ein neutraler Verteiler zum parteiischen Verteiler wird und sich dementsprechend immer stärker abzeichnet, dass die zugekaufte Sparte wohl irgendwie bevorzugt behandelt werden wird, ist nur naheliegend, dass die bisher gleichberechtigten dritten Hersteller plötzlich nervös werden – und eventuell mittel- und langfristig von der bisher starken Android-Fixierung zugunsten anderer, gar eigener Lösungen Abstand nehmen.
Für Google würde dies bedeuten, dass man diese Schwerpunktverschiebung wohl höchstselbst kompensieren müsste, was das Vorgehen umso gefährlicher erscheinen lässt. Aus diesem Grund stellt sich noch dringender die Frage nach den Beweggründen für den gewagten Einstieg ins Hardware-Geschäft. Über diese kann zwar nur spekuliert werden, doch erscheint es durchaus möglich, dass Apple etwas mit dem umfassenden Strategiewechsel zu tun hat.
Bei näherer Betrachtung der gegenwärtigen Situation wird offenbar, dass der eigentliche Kampf um die Vorherrschaft in der Branche längst nicht mehr zwischen einzelnen Herstellern oder gar von Microsoft, sondern zwischen Google und Apple ausgetragen wird. Beide Konzerne verfügen über außerordentliche Mittel und beide Konzerne kommen sich in den letzten Jahren immer häufiger ins Gehege.
Vor diesem Hintergrund kann man Googles Zuschlag für Motorola Mobility durchaus als ein Nacheifern verstehen: Während Apple ein extrem restriktives, abgeschlossenes Ökosystem samt eigener Hardware-Basis (vor allem iPhone und iPad) sein eigen nennt, ist Google in dieser Hinsicht „nur“ der Entwickler einer aufstrebenden Plattform – und hardwareseitig zu fast hundert Prozent abhängig von anderen. Gut möglich, dass dieser vermeintliche Nachteil, dass dieser Unterschied zwischen den beiden Kolossen die Entscheidung zu dem gewagten Kauf beeinflusst hat.
Abseits dieser theoretischen Vermutungen bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass Google mit dem Einstieg ins Hardware-Geschäft einen mutigen, ja gefährlichen Schritt geht, der nicht nur für die Zukunft von Android und vom Konzern selbst, sondern für die der gesamten Branche Implikationen mit sich bringt. So wird bereits die nahe Zukunft zeigen, ob und wenn ja in welchem Ausmaß die Entscheidung Auswirkungen auf das „Commitment“ der anderen Smartphone- und Tablet-Hersteller hat. In jedem Fall steht schon heute fest: Der Kauf von Motorola Mobility birgt sicher Chancen (Stichwort: Patente), doch auch einige sehr handfeste Risiken.
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