Motorola Razr im Test: Das Kult-Handy wird Smartphone
4/6Performance & Oberfläche
Auf dem Papier gehört das neue Razr ohne Zweifel zu den schnellsten Smartphones, die man sich dieser Tage zulegen kann. Zwar ist die OMAP-4-Plattform (4430) von Texas Instruments längst nicht mehr zu den neuesten Eisen zu zählen, doch hat man es hier mit einer nach wie vor hervorragenden Ausgangsbasis zu tun. Dies gilt umso mehr deswegen, weil die Dual-Core-CPU des SoCs im Razr von 1,0 auf 1,2 GHz getrieben wird und ihr obendrein ein Gigabyte Arbeitsspeicher zur Seite stehen.
Grundsätzlich sei dazu auch in diesem Fall zunächst vermerkt, dass wir dem Thema „Benchmarks“ im Bereich der Smartphones mit Skepsis gegenüberstehen und das nicht nur, weil die Aussagekraft von (synthetischen) Benchmarks selbst in einer homogenen Geräte-Gruppe mit gleichem Betriebssystem zumindest diskussionswürdig ist. Hinzu kommt, dass eine effektive Messung über die unterschiedlichen Plattformen methodisch schwierig ist – ein weiterer Faktor, der verstärkend zu der Feststellung beitragen, dass die hier wie anderswo präsentierten Ergebnisse nur als Richtwert, nicht aber als ultimativ-objektive Darstellung der Realität angesehen werden sollten.
Die Auswahl der Benchmarks leitet sich wie gewohnt nicht nur von der Beliebtheit, sondern auch von den Schwerpunkten ab: Während Smartbench und CF-Bench auf die Gesamt-Performance abzielen, ermittelt Linpack die pure Rechenpower und SunSpider und BrowserMark zielen auf die Performance des Browsers ab, sodass alle relevanten Aspekte abgedeckt werden. Gelistet werden fast ausschließlich Geräte, die einem Test unterzogen wurden.
Gemessen wurde gleich nach der ersten Geräte-Einrichtung, wobei aus jeweils drei Messungen je Benchmark der schnellste Wert in die Wertung einfließt. Nach der Installation der Benchmarks wurde das Gerät neugestartet und für einige Minuten im Idle belassen; zwischen den Durchläufen je Benchmark wurde das Gerät ebenfalls jeweils neugestartet.
Dass eine solche Hardware-Bestückung nicht ohne Folgen bleibt, zeigt der Blick auf die ermittelten Benchmark-Werte: In jeder Disziplin schlägt sich das Razr hervorragend, sodass in unserem mittlerweile recht großen Testfeld mindestens ein Platz unter den ersten fünf, häufig gar unter den ersten drei belegt wird.
Zugleich ist das Razr aber leider auch ein gutes Beispiel dafür, dass theoretische Performance nicht immer gleichbedeutend mit jener in realen Anwendungssituationen ist. In der Praxis wird man überraschender Weise immer wieder mit kleineren Hängern und Rucklern konfrontiert, die man so in diesem Jahr nur noch höchst selten auf Smartphones jenseits der 300-Euro-Marke zusehen bekommen hat und die reproduzierbar immer gerne dann auftreten, wenn man zügig von Apps auf den Homescreen wechseln, die leicht überarbeitete Kamera-App starten und bedienen, Bilder einzoomen oder Apps platzieren und/oder verschieben möchte.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Um ein handfestes Ärgernis handelt es sich hierbei nicht – ungewöhnlich und damit auffällig ist das Ganze insbesondere beim Blick auf die sowohl auf dem Papier als auch in den Benchmarks sehr potente Hardware aber trotzdem.
Da die Hardware ganz offensichtlich nicht als Schuldiger herhalten kann, ist die Ursache bei der Software zu suchen. Auch hier scheidet ein auf anderen Geräten stets hochsolide Android in der noch aktuellen Version 2.3.5 – ein Update auf 4.0 wird höchstwahrscheinlich noch im ersten Quartal 2012 verfügbar gemacht werden – als Faktor aus, sodass eigentlich nur noch die (nicht mehr „Blur“ benannte) Moto-UI bleibt.
Diese macht im Vergleich zu Implementationen auf Pre-2.3-Geräten auf dem Razr alles in allem visuell und vom Aufbau her einen soliden Eindruck (sehr löblich: eine völlig überflüssige Account-Erstellung ist nicht mehr nötig!). Während sich die Aufteilung nur in Details von der Konkurrenz abhebt, wird beim Blick auf die knalligen Farben und die zwar irgendwie nervöse, aber auch angenehm verspielte Platzierung von zentralen Elementen besonders deutlich, dass die Macher ernsthaft versuchen, sich von der Konkurrenz abzuheben und dabei die Fehler aus dem verbrannten Vorgänger zu vermeiden.
Dementsprechend dringt die neue Motorola-UI weniger tief in das System ein und ist so tatsächlich mehr UI als App-Sammlung und Android-Zähmer. Allerdings wird dabei erwartungsgemäß nicht das Rad neu erfunden, sodass beispielsweise das horizontale Scrollen durch die installierten Apps sowie die Möglichkeit, diese nach belieben zu gruppieren, kein unbekanntes Paradigma darstellen.
In manchen Situationen geht die starke Fokussierung auf die visuelle Präsentation dann aber doch zu weit, sodass es immer mal wieder passieren kann, das man aufgrund der peppigen Farben und mancher Effekte in Dialogen wie dem Musik-Player derart überschwemmt wird, dass die eigentliche gesuchte Information – zumal aufgrund von einem Informations-Overload in den Dialogen – schwer auffindbar ist. An diesen Stellen wirkt die überarbeitete UI schlicht zu aufgeladen.
Dafür wird man an anderer Stelle mit einer ordentlich durchdachten Konzeption beglückt: Die Onscreen-Tastatur dürfte selbst Freunden einer wohldimensionierten physischen Tastatur à la BlackBerry gefallen. Mit ausreichend Platz, einer guten Platzierung und kurzen Wegen muss sich die Aufteilung vor keiner Konkurrenz verstecken, was insbesondere Vieltipper freuen dürfte – hier hat man es mit der vielleicht größten Stärke der Moto-UI zu tun.
Als echtes Smartphone-Unikum können schließlich die Smart Actions angesehen werden, bei denen es sich im Prinzip um automatisierte Vorgänge auf Wenn-Dann-Basis handelt. Über vorgegebene Optionen kann der Nutzer dabei Scripte erstellen, die in bestimmten Situationen automatisch aktiviert werden. Diese Situationen beziehen sich vor allem auf eine bestimmte Zeit, zu der man beispielsweise ein bestimmtes Widget wie den Wecker aktivieren oder das WLAN ausschalten kann. Inhaltlich lassen sich die Anwendungen aber nicht steuern, sodass man zwar den Browser automatisch öffnen lassen, nicht aber automatisch eine bestimmte Seite aufrufen kann. Hierbei handelt es sich um eine nette Spielerei, die zwar nur in sehr begrenztem Umfang wirklich produktiv einsetzbar ist, die dem Nutzer aber in manchen (wiederkehrenden) Momenten durchaus einen nennenswerten Dienst erweisen und nicht nur Nerven, sondern auch Zeit sparen kann.
Ebenfalls explizit erwähnenswert ist auch der neue MotoCast-Dienst. Hierbei handelt es sich um Motorolas Antwort auf alle Sorgen rund um die Datensicherheit bei Cloud-Diensten: Statt mit dritten Servern werden die Daten des Razr bei Bedarf mit dem eigenen Computer synchronisiert, sodass alle Inhalte und Daten beim Nutzer verbleiben, der Speicherplatz entlastet und die mobile Abrufbarkeit – bei eingeschaltetem Heim-PC bzw. -Server – stets gegeben ist. Dazu muss in wenigen Schritten die vergleichsweise schlanke MotoCast-Software auf dem PC installiert werden; sodann lassen sich Ordner zur Freigabe definieren. Letzteres ermöglicht dann das Abrufen der Daten, sodass man theoretisch jederzeit und überall beispielsweise Mediendateien (Fotos und Videos) abrufen und auf dem Razr oder gar per DLNA oder HDMI auf größeren Abspielgeräten vorführen kann – ein im Rahmen von oberflächlichen Tests solide funktionierendes Feature, von dem sich mancher Konkurrent eine Scheibe abschneiden kann.
Unterm Strich verdient sich die neue Moto-UI nicht zuletzt aufgrund der soeben beschriebenen Möglichkeiten und gerade im Vergleich zum alten Motoblur eine insgesamt gute Bewertung. Wer sich von einem übermäßig starken Fokus auf visuellen Elementen nicht stört, erhält außerdem ein hervorragendes Tastatur-Layout, was für viele Nutzer einen fairen Tausch darstellen könnte.
Könnte deswegen, weil ein gravierendes und weiter oben bereits angesprochenes Problem von Motoblur nicht zur Gänze behoben wurde: Eine offenbar nicht ideale Optimierung führt dazu, dass augenscheinlich die UI ursächlich für die immer mal wieder auftretenden kleinen Ruckler ist. Schade, dass das neue Razr trotz potenter Hardware nicht mit einer absolut flüssigen Bedienung punkten kann und so der an sich gute Eindruck der neuen UI nennenswert eingetrübt wird.