Kommentar: Was Apple abseits des iPad 3 und iPhone 5 wirklich braucht
Was Apple wirklich braucht
Was war der Wirbel groß. iPhone 5 hier, iPhone 5 da. LTE. Mega-Screen. Mega-Auflösung. Top-Laufzeit. Über-SoC. Der Hype um das große, ominöse Apple-Event am 4. Oktober 2011 erreichte vorab diskursiv Dimensionen, die man sonst nur noch weltbewegenden Ereignissen wie Katastrophen, Krisen, Fußball-Weltmeisterschaften oder dem Start der neuesten „Dschungelcamp“-Staffel kennt.
Kein Wunder also, dass die Ankündigung des – de facto produktstrategisch überhaupt nicht verkehrten – iPhone 4S bei vielen Beobachtern für ein hohes Maß an Enttäuschung und eine verkaterte „der-Morgen-danach-Stimmung“ sorgte, zumal sich zu viele Personen vorab in zu viele, zu hochgestochene Vermutungen um die Spezifikationen und Features des vermeintlichen Giga-Smartphones verstiegen hatten.
Dieser Vorgang wäre allerdings für sich genommen nicht mal sonderlich bemerkenswert, schließlich funktioniert so in Teilen die Medienlogik: Öffentlichkeitswirksame Themen werden durchaus auch mal hochgeschrieben, ohne dass es die Faktenlage tatsächlich hergeben würde – eine fundamentale Kritik, der sich niemand ernsthaft entziehen kann.
Ginge es aber allein um die Kritik an diesem situativen Herdentrieb, das Ganze wäre kaum der Rede wert. Ein alter Schuh. Interessant ist aber, dass es sich bei diesem Aspekt in der Diskussion zu Apple offenbar um ein dauerhaftes Phänomen handelt: Schon war in den Jahresrückblicken und der damit obligatorisch zusammenhängenden Vorschau für das neue Jahr häufig abermals vom iPhone 5 und dem iPad 3 die Rede, wobei beide Produkte als essentielle Bausteine für den weiteren Erfolg von Apple gehandelt werden und zudem wieder das große Spezifikationen-Lotto begonnen hat.
Um keine Missverständnisse aufkommen zulassen: Die Ausführungen zur Wichtigkeit der nächsten Geräte-Generationen sind auf den ersten Blick so verkehrt nicht. Auf den zweiten wird aber deutlich, dass es sich hierbei nur um die halbe Miete handelt – allein mit iPhone 5 und iPad 3 ist der weitere, dauerhafte Erfolg von Apple entgegen vieler Heilsverkündigungen längst nicht gesichert. iPhone 5 und iPad 3 müssen überzeugen, alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen müssen sie aber nicht.
Um diesen Punkt zu verdeutlichen, erscheint es sinnvoll, noch einmal die Wurzeln des Apple-Erfolgs zu beleuchten. Denn: Gerade die derzeit so heiß diskutierten Produktlinien iPhone und iPad haben sich kaum aufgrund ihrer im Sinne einer herausragenden Leistung technischen Vorreiterschaft als global bekannte Objekte der Begierde etabliert. Stattdessen war die geschickte Verbindung aus Style und Usability entscheidend – eine Kombination, die man ganz allgemein mit „Innovation“ zusammenfassen kann und die ganz offensichtlich (und frei von jeder Wertung) weitaus mehr Menschen anspricht als die bloße Jagd nach den besten Spezifikationen.
Die entscheidende Komponente im Erfolg von Apple ist dieser Interpretation nach also nicht (nur) die hardwaretechnische Güte der Produkte im Sinne von bahnbrechenden Spezifikationen und Technologien, sondern die eher weiche, aber nicht minder respekteinflößende Gabe, bestimmte Gerätetypen über die genannten Faktoren – Stil und Nutzbarkeit – für eine breite Masse interessant und zugänglich gemacht hat zu haben.
Aus diesem Grund ist es für den weiteren Erfolg von Apple von nur marginaler Bedeutung, ob das nächste iPhone nun mit Quad-Core-CPU und das nächste iPad nun mit Full-HD-Auflösung erscheinen wird, weswegen es absurd einseitig ist, dass große Teile des umfassenden Apple-Diskurses sich auch im Zusammenhang mit der Zukunft und Steve Jobs' Vermächtnis immer nur mit den Schlagworten „iPhone 5“ und „iPad 3“ beschäftigen.
Akzeptiert man die soeben angebotene alternative Perspektive, so muss man eingestehen, dass das ganze, insbesondere von der IT-Fachpresse produzierte Gezeter um die kommenden Neuauflagen der Apple-Standard-Geräte nur die notwendige, aber eben nicht die hinreichende Bedingung für den weiteren Erfolg von Apple anspricht.
Denn was Apple in diesem und im nächsten Jahr im Besonderen brauchen wird, ist nicht die bloße Führerschaft bei den Hardware-Spezifikationen, sind nicht (nur) iPhone 5 und iPad 3. Worauf es mittel- und langfristig wirklich ankommt, sind neue, wegweisende Produkte, die dafür sorgen, dass Apple weiterhin mit positiven Attributen wie Fortschritt, Modernität, Urbanität und der gekonnten Kombination von Technik und Lifestyle in Verbindung gebracht wird.
Gefragt ist also jene Kompetenz, die Steve Jobs – bei aller Diskussion um seine Person – perfekt beherrschte: Die unartikulierten Bedürfnisse potentieller Nutzer erkennen und sie trefflich bedienen. Gerätesparten, Anwendungsszenarien, den Status quo neu überdenken und eigene, intuitive, stimmige und obendrein auch noch attraktive Antworten und Produkte präsentieren.
Die wirklich essentielle Frage bei der Beschäftigung mit Apple lautet deswegen gegenwärtig nicht, ob die nächste iPad-Generation wirklich mit einer Quadcore-CPU auf den Markt kommen wird und welche Displays für das iPhone 5 verbaut werden, sondern ob der neue CEO Tim Cook und sein Team dazu in der Lage sind, den Markenkern von Apple immer wieder neu aufzupolieren und ihn so für eine breite Masse attraktiv zu erhalten.
Die Zeichen für dieses komplexe Unterfangen stehen nicht schlecht, schließlich war es, entgegen des in dieser Hinsicht manchmal undifferenzierten Medienechos zu seinem viel zu frühen Tod, nicht nur Steve Jobs, der aus Apple einen Branchenführer gemacht hat. Das Team, die Strukturen, wenn man so will: die Gehirne, sind weiterhin da.
Dennoch besteht für Apple dieser Tage mehr denn je die Gefahr, sich auf einen schleichenden, irgendwann kaum mehr umkehrbaren Abstieg zu begeben – auch wenn alle Indikatoren aktuell Gegenteiliges suggerieren. Deswegen kommt es nun mehr denn je auf die nächsten (Produkt-)Entscheidungen an: Ruht man sich auf dem Erreichten aus und betreibt nur Modellpflege, könnte es für Apple in fünf Jahren Abgesänge im Stile der Nokia-Nachrufe von 2011 hageln. Dann würde der gegenwärtige Innovationsführer als weiteres organisationssoziologisches Paradebeispiel dafür in die Geschichte eingehen, wie ein umfassender Erfolg selbst extrem profitorientierte Akteure wie internationale Konzerne „fat and lazy“ werden lässt, was immer den Anfang vom Ende bedeutet hat.
Vor diesem Hintergrund bleibt die weitere Entwicklung von Apple hochspannend. Ursächlich hierfür sind aber nicht etwa die in diesem Jahr sicher anstehenden Ankündigungen von iPhone 5 und iPad 3, sondern die Frage, inwieweit man in den verantwortlichen Kreisen der verlockenden Versuchung widersteht, auf Autopilot zu schalten. Das zu vermeiden ist es, was Apple wirklich braucht.
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