Hintergründe und Analysen: Was ist eigentlich ACTA?

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Andreas Frischholz (+1)
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Beurteilung

Mehrere 100.000 Menschen waren am 11. Februar europaweit auf den Straßen, um gegen ACTA zu protestieren. Vor allem in Osteuropa, aber auch in Deutschland sind es rund 90.000 gewesen. Die Demonstranten sehen in dem Abkommen eine Gefährdung der Freiheit im Internet, eine Rechtfertigung für die Umsetzung von Netzsperren, Warnhinweismodellen und der Überwachung von Inhalten durch die Provider – beschlossen abseits der Öffentlichkeit in den Hinterzimmern von Politikern und Lobbyisten auf internationaler Ebene. Und all' das zur Durchsetzung und Manifestation eines Urheberrechts, das den Anforderungen der digitalen Welt nicht mehr gerecht wird. So in etwa lauten die gängigen Vorwürfe von ACTA-Gegnern.

Allein in zahlreichen Artikel in den Weiten des Internets beziehen Autoren deutliche Contra-Positionen zum Abkommen. Beispielsweise bewertet der US-Autor Lance Ulanoff ACTA fataler im Vergleich zu den in den USA und weltweit stark kritisierten Gesetzesvorhaben SOPA und PIPA, beim Vice Magazin bezeichnet man das Abkommen hingegen launig als „Darth Vader des Urheberrecht“.

Unterstützer des Abkommens gehen in der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend unter oder beziehen bestenfalls indirekt Stellung für das Abkommen. So begrüßt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die als Regierungsmitglied erneut zwischen allen Stühlen sitzt, die Proteste gegen ACTA, lehnt das Abkommen aber nicht direkt ab. Allerdings erklärt sie deutlich, dass in Deutschland keine neuen Gesetze zur Überwachung des Internets vorgesehen sind und man auch die Provider nicht zu „Hilfs-Sheriffs“ ernennen werde. Das Statement scheint als Sinnbild für die Haltung der schwarz-gelben Regierungskoalition zu stehen, die bislang noch keine einheitliche Meinung zu ACTA hat, glaubt man dem CDU-Politiker Peter Altmaier.

Zwiespältig fällt die Beurteilung vom Branchenverband Bitkom aus. Der Vorsitzende Prof. Dieter Kempf erklärte, man brauche „einen Konsens, der deutlich macht: Geistiges Eigentum muss international geschützt werden. Aber Maßnahmen gegen Piraterie müssen verhältnismäßig sein und dürfen die Informationsfreiheit nicht gefährden“. Der Publizist Michel Friedman stellt hingegen die Frage, ob ACTA-Gegner Diebstahl befürworten – Widerspruch zu ACTA setzt er gleich mit der Ablehnung jeglichen Urheberrechts. Ein gängiger Vorwurf von Befürwortern des Abkommens, der in dieser pauschalen Form aber nicht zutrifft. Ansonsten ist die Anzahl der Unterstützer rar gesät, insbesondere in der öffentlichen Wahrnehmung erscheinen überwiegend kritische Statements. Immerhin signalisiert der Bundesverband Deutsche Industrie (BDI) in einem Statement, dass man ACTA prinzipiell begrüße. Das gilt auch für die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU), die durch das Abkommen eine Unterstützung im Kampf gegen Urheberrechtsverletzer erhofft.

Ein grundsätzliches Problem in der Debatte besteht durch die vagen Formulierungen des Abkommens. Infolge dessen richten sich Kritiken an die vermutete Intention des Abkommens, ebenso wie die Argumente der Befürworter weniger ACTA im speziellen, sondern das Urheberrecht im allgemeinen verteidigen. Eine präzise Kritik ist nur bei wenigen Passagen des Abkommens möglich ist, ansonsten ist vielmehr die Interpretation der einzelnen Artikel für die Beurteilung von Bedeutung.

Kritische Passagen

Aufgrund der vagen Formulierungen des Abkommens stehen vor allem zwei Passagen im Fokus, die eine präzisere Kritik zulassen. Im Artikel 27 wird von den Vertragsparteien verlangt, „Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben zu fördern“, um die Einhaltung von Urheberrechten zu sichern. Im Kontext des Artikels lässt sich daraus schließen, dass im „digitalen Umfeld“ eine Zusammenarbeit von Rechteinhabern und Internetanbietern bei der Verfolgung von Urheberrechtsverstößen auf freiwilliger Basis erfolgen soll, also ohne Einfluss von Gerichten und Polizei – explizit wird es allerdings nicht genannt. Es folgt also eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung, deren Folgen kaum abzuschätzen sind. Je nach Absprache der Unternehmen ist alles denkbar – vom Erhalt des „Status Quo“ bis zur Einführung von Netzsperren, Warnhinweismodellen und inhaltliche Kontrolltechniken wie „Deep Packet Inspection“. Auch die Fußnote 16 zum zweiten Absatz dieses Artikels sorgt mit ihrem indirekten Vorschlag einer Providerhaftung für Aufregung.

Ebenfalls im Fokus der Kritiker steht der ACTA-Ausschuss (Kapitel V, Artikel 36), der als eine Art Schaltzentrale fungieren soll. Bestehend aus Mitgliedern aller Vertragsparteien, überprüft das Gremium die Umsetzung und Durchführung des Abkommens, gibt bei Bedarf Empfehlungen für die Umsetzung in einzelnen Staaten und ist für die Weiterentwicklung des Abkommens verantwortlich. Klingt soweit wenig dramatisch, allerdings fehlen klare Verfahrensvorgaben und jegliche Kontrollinstanz, sei es von politischer Seite oder durch öffentlicher Rechenschaftsberichte. So sei es, so meinen Kritiker, durchaus vorstellbar, dass ursprünglich im Vertragstext vorgesehene Maßnahmen wie Netzsperren oder Warnhinweismodelle wieder aufgenommen werden.

Diese Befürchtung ist so allerdings umstritten. Dem Wortlaut des Artikel 36 nach hat dieser Ausschuss den Mitgliedsstaaten gegenüber lediglich eine Art beratende Funktion. Das heißt, dass abgesehen von dem Umstand, dass er sich ohnehin nur aus Leuten zusammensetzt, die die ACTA-Vertragsstaaten entsenden, keinerlei Durchsetzungs- oder Beaufsichtigungskompetenzen für das ACTA hat. Das gilt sowohl im nationalen als auch im internationalen Maßstab. Wenn eine Abkommensänderung vorgenommen werden soll, so müssen das noch immer die Mitgliedstaaten selbst entscheiden und umsetzen. Praktisch bedeutet das, dass der Ausschuss etwa hinsichtlich des Urheberrechtes Empfehlungen abgeben kann, die für sich keine Bindungswirkung für die Staaten haben. Jedoch werden sie wohl eine Art informelle Leitplanke für Änderungsüberlegungen in dem jeweiligen Rechtsgebiet sein.

Abgesehen davon werden mit diesem Ausschluss Organisationen wie etwa die WTO oder die WIPO übergangen, die zwar selbst regelmäßig in der Kritik stehen, aber immerhin über klar definierte Strukturen verfügen und außerdem durch ihre hohe Mitgliederanzahl eine breitere Legitimation aufweisen.

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