Kingdoms of Amalur: Reckoning im Test: Heute nur Prinz, kein König
2/4KoA auf einen Blick
Betrachtet man zunächst die Handlung von „Kingdoms of Amalur: Reckoning“ im Groben, so lässt sich festhalten: Unkonventionell gestaltet sich das Ganze nicht. Dementsprechend hat man es auch hier mit einer Fantasy-Welt zu tun, in der sich das Böse langsam aber sicher auszubreiten scheint, wobei nur ein Held – natürlich der Spieler – über die Gabe verfügt, das ganz große Unheil abzuwenden.
Etwas stärker eingezoomt weist der Plot dann aber doch einige Eigenheiten auf, die für eine angenehm-frische Brise sorgen. Da ist allein der Einstieg, den der Charakter des Spielers zunächst als Leiche erlebt, die unwirsch auf einen Haufen voller verwesender Körper geschmissen wird.
Kurz zuvor wurde aber noch geschickt die Charakter-Erstellung mit der Intro-Sequenz verknüpft: Bei dieser legt man nicht nur – vergleichsweise rudimentär – die äußeren Merkmale sowie die mit gewissen Vorteilen verbundene Hörigkeit für eine Gottheit fest, sondern entscheidet sich auch ganz grundsätzlich für eine von vier Rassen. Während die elfischen Ljosalfar sich auf die magische Seite des Lichts verstehen, agieren ihre dunklen Geschwister von den Dokkalfar als ebenso gewiefte wie magiebegabte Meuchler; die menschlichen Varani verstehen sich dagegen als kriegerische Söldner und die religiösen Almain könnten als echte Allrounder durchgehen.
„Könnten“ deswegen, weil die Wahl der Rasse vom Aussehen einmal abgesehen nur geringe Auswirkungen auf die Eigenschaften des Charakters hat. Auch wenn die Talente gerade zu Beginn durchaus unterschiedlich liegen, kann man jede Rasse durch die Festlegung von Fähigkeiten und Schwerpunkten jederzeit in jede Richtung entwickeln, sodass auch ein Varani als Zauberer, ein Ljosalfar als Krieger und ein Almain als agiler Meuchler trainiert werden können. Man ist also ganz unabhängig von der Rasse potentiell immer ein Allrounder.
Der Grund hierfür ist, dass man bei Level-Aufstieg mit jeder Rasse in einen von drei Fertigkeitsbäumen – Magie (Zauber), Macht (Krieger) und Raffinesse (Schurke) – investieren kann. Dabei steht es dem Spieler grundsätzlich frei, sich ausschließlich auf ein Talentgefüge zu spezialisieren oder aber Fertigkeiten aus zwei oder gar allen drei Bäumen zu erlernen. Eine Mono-Spezialisierung, so unser Eindruck, scheint genauso wenig der Königsweg zu sein wie eine beliebige Verteilung auf alle verfügbaren Schulen – stattdessen bietet sich eine Kombination aus zwei Elementen an, sodass man beispielsweise die anfangs nur durchschnittlich starken Zauber gekonnt mit konventioneller Kampfeskraft kombinieren kann. Einen zusätzlichen Schliff erhält die Entwicklung des Charakters durch Schicksalskarten, die weitere unterschiedliche Boni mit sich bringen, allerdings bei jedem Stufenaufstieg gewechselt werden können.
Während sich diese Flexibilität noch aus dem Spiel erklärt – der Held ist eben besonders und kann deshalb sein Schicksal selbst bestimmen – gibt es für die Möglichkeit, auch die normalen Talentpunkte jederzeit neu zu verteilen, keine inhaltliche Erklärung. KoA lässt dem Spieler bei der Charakter-Entwicklung also jede Menge Freiheiten und die Möglichkeit, problemlos unterschiedliche Schwerpunkte auszuprobieren – ein Umstand, den viele Spieler begrüßen dürften, der manch echtem „Hardcore“-Rollenspieler aber sauer aufstoßen könnte, da man seinen Charakter kaum verskillen kann und dahingehende Entscheidungen schnell und nebenbei getroffen werden können.
Doch zurück zur Handlung: Die unangenehme Landung auf dem besagten Leichenberg ist Ausgangspunkt für einen Plot, der unterschwellig vor allem mit essentiellen Fragen um den Tod und das Schicksal spielt. Zunächst befindet man sich in einem unterirdischen Laboratorium wieder, in dem der Gnom-Wissenschaftler Fomorous Hugues nichts Geringeres versucht, als die Seelen von Verstorbenen in (neue) Körper zurückzuführen. Klar, dass der Spieler das erste Objekt ist, bei dem dieser Vorgang geglückt ist. Dies ist insofern von entscheidender Bedeutung, weil es sich hierbei um eine Entdeckung handelt, die das Schicksal der sterblichen Völker der KoA-Welt maßgeblich beeinflussen und großes Unheil abwenden kann.
Auch wenn Fantasy-Freunde über zahlreiche Dialoge, Schriftstücke und Geschehnisse tief in die Handlung einsteigen können (immerhin zeichnet mit „Forgotten Realms“-Autor R. A. Salvatore eine Koryphäe des Genres für die Ausgestaltung verantwortlich), reicht das Gebotene in dieser Hinsicht doch nicht an Größen wie „Skyrim“ oder „Dragon Age“ heran.
Dies hat unterschiedliche Ursachen. Lebt KoA anfänglich von dem „Aha“-Effekt der ersten Minuten und den vielen offenen Fragen, die mit dem geschickt in Szene gesetzten Einstieg gestellt, aber schleppend beantwortet werden, stellt sich bereits nach einigen Stunden eine gewisse Müdigkeit ein, nimmt die Dichte der Erzählung deutlich ab. Statt einer stark getriebenen, spannenden Kernhandlung verläuft sich Amalur in vielen, in sich schlüssigen Nebenquests, die allerdings häufiger nur sehr lose an die eigentlichen Geschehnisse angebunden sind und dadurch trotz einer soliden inhaltlichen Vielfalt irgendwie beliebig fühlen.
So passiert es, dass man sich schon nach gut zehn Stunden Spielzeit fragt, warum man eigentlich gerade nach X läuft und wo genau aktuell gerade eigentlich die Haupthandlung steht. Wenn das Böse und der Untergang laueren, warum verspüre ich dann keinen Druck, keine Unruhe, sondern kann ungestört zig Nebenquests abarbeiten, die mit den Geschehnissen der Haupthandlung nicht so richtig in Verbindung stehen? Eine Frage, die auf die motivationstechnischen Untiefen von KoA hinweist.
Hierbei handelt es sich aber nicht um ein spezifisches Problem. In dieser Hinsicht ist „Kingdoms of Amalur: Reckoning“ nämlich einfach ein altes, klassisches RPG, was man durchaus gutheißen kann – „Skyrim“ zeigte zuletzt aber eindrücklich, dass ein hybrides Konzept, bestehend aus einer starken Haupthandlung à la „Dragon Age“ und den der Authentizität und dem Umfang zuträglichen Elementen eines klassischen RPGs (Sekundärmissionen, Fokus auf Nebenhandlungen), hervorragend funktionieren kann.
Bedingt werden die zwischenzeitliche auftretenden Stotterer auch durch die wenig dynamischen Dialoge: Zwar hat man durchaus Möglichkeiten zur Einflussnahme, sodass man Gegner bei weitentwickeltem Charisma-Talent auf friedlichem Wege von seiner Macht überzeugen kann, doch wirken die Gespräche mit den vielen NPCs der KoA-Welt auch wegen der festen Kameraführung und der geringen Mimik der Charaktere häufig wie das starre Abfragen von Stichworten.
Auch haben die Entscheidungen keine Makro-Wirkung: Für den Fortgang der Handlung ist es unerheblich, wie sich der Spieler entscheidet, was inhaltlich nicht so richtig kohärent wirkt, da es sich beim Helden doch um die Kernfigur für das Schicksal der Welt handelt. Dafür kann sich die Vertonung in fast jeder Lage hören lassen. Die deutschen Synchronsprecher sind gut gewählt, was die Dialoge deutlich aufwertet und für mehr Tiefgang sorgt. Und auch die musikalische Begleitung passt mit unterschiedlichen klassischen Klängen stets hervorragend zu den unterschiedlichen Situationen.
Die angedeutete inhaltliche Müdigkeit lässt sich nur dann effektiv bekämpfen, wenn man sich von Zeit zu Zeit wirklich von der (in diesem Fall schweren) Fokussierung auf die Haupthandlung lösen und aufmerksam in die zahlreichen Nebenquests abtauchen kann. Wer hier mit offenen Augen durch die KoA-Welt streift, wird aufgrund der vielen gebotenen Details erneut Motivation und Interesse verspüren, das über das bloße „Hack & Slay“-Erlebnis und die Jagd nach den nächsten Items hinausgeht.
Dennoch lässt sich festhalten, dass der Streifzug durch Amalur erzählerisch-inhaltlich nicht die epischen Höhen erreicht, die „Dragon Age“ und „Skyrim“ bieten. Wenn man so will, liefern Big Huge Games und die 38 Studios stattdessen ein klassischeres RPG, bei dem vor allem der Kampf, das Sammeln (und per Alchemie und Schmiedekunst: Erstellen) von Gegenständen und im Idealfall ein grundsätzliches Interesse für die Umwelt im Vordergrund stehen – „storydriven“ und richtig packend ist das Ganze aber nicht.