CDU- und FDP-Politiker klagen über Anonymität im Netz
Die Anonymität im Internet begünstige derbe Streitereien und Beleidigungen, klagt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Ähnlich angesäuert zeigte sich FDP-Generalsekretär Patrick Döring nach dem Wahldebakel im Saarland über eine „Tyrannei der Massen“ im Netzdiskurs, gefördert durch die Anonymität der Beteiligten.
Lammert erklärte gegen über dem Spiegel: „Wir beobachten im Internet an vielen Stellen eine Art der Auseinandersetzung, die in Aggressivität, Wortwahl und Tonlage die Grenzen überschreitet.“ Die aggressivere Diskussionskultur setzt er in einen Zusammenhang mit der Anonymität im Netz, denn viele beleidigende und aggressive Beiträge würden von Nutzern veröffentlicht, die einen großen Wert auf Anonymität legen – in vielen Fällen würden sich Nutzer „unter Offenlegung ihrer Identität zu bestimmten Aussagen ganz sicher nicht versteigen“.
Lammert geht davon aus, dass zukünftig zwei Arten von Öffentlichkeit existieren werden. Eine „virtuelle und eine reale, die von denselben Akteuren unterschiedlich bespielt“ werde. Darüber hinaus unterscheidet er zwischen digitalem und klassischem Nachrichtenkonsum. Im Internet informiere man sich über Dinge, die man selber spannend und unterhaltsam finde. Setze man stattdessen auf Printmedien und Rundfunk, werden Informationen wahrgenommen, die andere als wichtig eingestuft haben.
Patrick Döring dürfte dagegen der Erfolg der Piratenpartei im Saarland auf das Gemüt geschlagen haben. Die Politikneulinge zogen mit 7,4 Prozent der Stimmen in den saarländischen Landtag ein – im Gegensatz zur FDP, die nur noch 1,2 Prozent erhalten hatte. Da die Piraten aufgrund des liberalen Profils als direkter Konkurrent der FDP gelten, war der Wahlausgang offenbar Anlass für Dörings scharfe Formulierungen. Seiner Ansicht nach sei das Politikbild der Piraten „manchmal so stark von der Tyrannei der Masse geprägt, dass ich mir das als Liberaler nicht wünsche, dass dieses Politikbild sich durchsetzt“. Durch den Schutz der Anonymität im Netz agiere diese Masse bisweilen extrem aggressiv.
Wenig überraschend stießen Dörings Verlautbarungen auf heftigen Widerspruch, gestern Nacht und im Verlauf des heutigen Tages zog ein formidabler Shitstorm über ihn hinweg. So schrieb etwa der Twitter-Nutzer „bosch“:
Für #FDP-Generalsekretär Döring ist es die „Tyrannei der Masse“. Alle anderen nennen es Demokratie.
Kritisch Töne kamen auch von führenden Mitgliedern der Piratenpartei. Ein Berliner Abgeordneter attestierte Döring einen „schlechten Stil“, während Parteivorsitzender Sebastian Nerz von einem bemerkenswerten Unverständnis Dörings für eine moderne Gesellschaft sprach. Deutlichere Worte ergriff Nerz‘ Stellvertreter Bernd Schlömer: Dörings Äußerungen passe „zum verblassten Zeitgeist der FDP, da sie offensichtlich statt auf Bürgerbeteiligung auf einsame Entscheidungen in einem Elfenbeinturm setzt“.
Döring beharrt allerdings auf seiner Meinung und empfindet es als absurd, dass die Piraten maximale Transparenz einfordern würden, gleichzeitig aber den Schutz der Anonymität verlangen. Teilweise auch „stilistisch hoch unflätig äußernde Anonymität“ empfindet er als Stimmungsmache, stattdessen wünscht er sich intellektuelle Debatten im Netz – unter echtem Namen. Wie eine „intellektuelle Debatte“ entstehen soll, wenn Politiker wie Döring diese mit einem verbalen Rundumschlag starten, bleibt allerdings unklar.