Kommentar: Bei geistigem Eigentum regiert die Ahnungslosigkeit
3/4Mediale Irrlichter
Irritierend ist die Vehemenz, mit der die Debatte eskalierte. Rückblickend ist eine Randnotiz interessant, die von einer Lobbyveranstaltung der Musikindustrie stammt. Dort klagten Politiker, sie müssten ohne jegliche öffentliche Unterstützung von Künstlern und Kreativen den Kopf hinhalten für ein stärkeren Urheberrechtsschutz. Kein angenehmer Job, wenn die öffentliche Wahrnehmung vor allem von Netzaktivisten bestimmt wird, die herzlich ungehalten auf Netzsperren, Traffic-Analysen und Three-Strikes-Verfahren reagieren. Doch der Wunsch der Politiker wurde offenbar erhört – und das Unheil nahm seinen Lauf. Verbreitet werden Kampagnen wie „Wir sind Urheber“ unter den Kreativen offenbar per E-Mail, was allerdings erklärt, warum eine Aktion mit einem dermaßen substanzlosen Text so viele Unterzeichner fand.
Im Hintergrund werden die Strippen gezogen, während in der Öffentlichkeit der mittlerweile alltägliche Inszenierungswahn vonstatten geht. Gut zu beobachten war das bei der genannten Kampagne, die neben dem alltäglichen Twitter-Spott selbst auf Spiegel Online mit einem bissigen Kommentar begleitet wurde – und gleichzeitig in der gewöhnlichen Berichterstattung mit freundlichem Tonfall Anklang fand. Dass Spiegel-Online-Redakteur Christian Stöcker auch noch über fünf Irrtümer in der Urheberrechtsdebatte aufklärt, setzt der medialen Schizophrenie die Krone auf.
Unverständlich bleibt, was die Künstler sich von den Aktionen versprechen. Am Ende der Regenbogenpresse wartet kein Topf voll Gold, das zeigt sinnbildlich das Handelsblatt bei der Vergütung freier Redakteure. Genau das Handelsblatt, das praktisch zeitgleich die unsägliche Kampagne „Mein Kopf gehört mir“ in die Welt setzte. Daran lässt sich erkennen, dass die Fronten nicht allein zwischen Kreativen und Netzgemeinde verlaufen, sondern auch innerhalb der Kreativen. Diejenigen, die nicht bei einem großen Verlag untergekommen sind oder nicht zu den Spitzenverdienern zählen, finden sich kaum als Fürsprecher für die Forderungen nach einem stärkeren Urheberrecht. Auch einer der Gründe, warum die Debatte in der aktuellen Oberflächlichkeit gewaltig nervt. Es wirkt etwas grotesk, wenn ein Jan Delay im Spiegel-Heft darüber klagt, dass die Einkünfte von Downloads nicht ausreichen, um aufwändige und teure Musikvideos zu produzieren, während unbekanntere Musikerinnen wie Zoe Leela unter dem Regime der GEMA ihre Stücke nicht einmal kostenfrei zum Download anbieten dürfen, ohne Gebühren an die Verwertungsgesellschaft abzudrücken.
Das alles heißt aber nicht, dass es keine guten Berichte gibt. Gerade aus dem Umfeld der Netzgemeinde kommen viele aufschlussreiche Beiträge. Blogs wie Netzpolitik.org und iRights sind ohnehin Institutionen in der digitalen Netzpolitikdebatte, genauso wie heise online oder das NDR-Medienmagazin Zapp. Die bereits genannten SemperVideos beweisen darüber hinaus, dass auch eine trockene Materie wie das Urheberrecht anschaulich und nachvollziehbar erklärt werden kann. Die Autoren argumentieren anhand von Gesetzestexten mit nachprüfbaren Zahlen, weswegen der Zuschauer trotz der klaren inhaltlichen Positionierung und dem rotzigen Stil eine Chance hat, eigene Schlüsse zu ziehen – etwas, das in der Berichterstattung der klassischen Medien wegen des oftmals gewählten „Friss oder Stirb“-Tonfalls kaum noch möglich ist.