Kommentar: Bei geistigem Eigentum regiert die Ahnungslosigkeit

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Andreas Frischholz
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Neue Ideen braucht das Land

Dabei gerät leider in den Hintergrund, dass eigentlich niemand das Urheberrecht abschaffen will – nicht mal die Piraten, entgegen aller anders lautenden Berichte. Es soll nur an das digitale Umfeld angepasst werden. Zu analogen Zeiten reichte noch ein restriktives Urheberrecht, das die Schutzrechte einer verhältnismäßig kleinen Schar von Urhebern mit überschaubarem Aufwand sicherte. Im digitalen Zeitalter, mit der riesigen, global vernetzten Kopiermaschine namens Internet, in dem eine Vielzahl von Nutzern über soziale Netzwerke oder Kurznachrichtendienste wie Twitter selbst zu Urhebern werden, ist ein restriktiver Schutz von Urheberrechten kaum noch zu bewerkstelligen. Da können Kreative und Rechteverwerter fluchen wie sie wollen und die Internetnutzung mit Traffic-Analysen, Three-Strikes-Modellen und anderen Instrumenten aus dem DRM-Giftschrank einschränken, die alten Geschäftsmodelle sind mittel- bis langfristig nicht mehr zu retten.

Neue Modelle sind zwar in der Theorie vorhanden, in der Praxis aber kaum bis gar nicht erprobt – wenig überraschend, nachdem die Debatte erst über Jahre verschleppt und dann übergangslos zur Eskalation getrieben wurde. Zu den vorgeschlagenen Modellen zählen etwa die Kulturflatrate, die das altbekannte Prinzip der Verwertungsgesellschaften aufgreift. Zentrales Problem der Verwertungsgesellschaften ist der Verteilungsschlüssel, über den die Gelder an Urheber und Künstler ausgegeben werden. Daran setzt der Chaos Computer Club an, der mit der Kulturwertmark ein digitales Micropayment-System erdacht hat, das den Ansatz der Kulturflatrate mit Bezahldiensten wie Flattr kombiniert. Jeder Nutzer zahlt einen festen monatlichen Betrag und erhält dafür „Kulturwertmark-Stücke“, mit denen Kunst- und Kulturwerke bezahlt werden. Man umgeht also die Schwierigkeiten mit Verwertungsgesellschaften, wie es die Gema in den letzten Monaten beispielhaft vorexerziert, sondern setzt stattdessen auf eine durch die Nutzer gelenkte Marktdynamik.

Einen abweichenden Ansatz verfolgt das Urheberrechtsmodell des Teams von SemperVideo, das vor allem den Aspekt des Inhalteteilens aufgreift und die sogenannte „Remix“- beziehungsweise „Mashup“-Kultur fördern will. Mit dem aktuellen, restriktiv ausgelegten Urheberrecht dürfen Nutzer geschützte Werke praktisch nicht verwenden – beispielsweise den aktuellen Nr.-1-Hit für die audiovisuelle Untermalung eines Katzenvideos auf YouTube. Mit dem Modell von SemperVideo soll das gestattet werden, dafür werden die Künstler aber an den Werbeeinnahmen beteiligt, die YouTube mit dem Video generiert. Ein Teil der Einnahmen landet also beim Künstler, ein Teil bei YouTube für das Bereitstellen der Plattform und ein Teil auch bei dem Nutzer, der das Video hochgeladen hat – und damit zur Verbreitung des Songs beigetragen hat.

Das Ziel aller Vorschläge ist, trotz Internet die Entlohnung von Urhebern zu gewährleisten, ohne die Gesellschaft zu kriminalisieren und eine Überwachungsinfrastruktur einzurichten. Dass es nicht weitergehen kann wie gehabt, erkennen inzwischen auch immer größere Teile der Politik, gerade in den letzten Wochen haben die Parteien und Politiker Statements veröffentlicht, die sich für eine Reform des Urheberrechts aussprechen – beispielhaft dafür steht ein Beitrag der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die sich für ein starkes Urheberrecht, aber auch freie Kommunikation und eine faire Nutzung ausspricht.

Die SPD (PDF-Datei) und die Piraten veröffentlichten Thesen, um ihren Standpunkt zu verdeutlichen. Erstaunlicherweise argumentieren beide Parteien ähnlich, der Urheber soll im Vordergrund stehen, die Nutzer entkriminalisiert werden. Während die Piraten aber noch einen verstärkten Aspekt auf das Teilen von Werken legen, spricht sich die SPD weiterhin für einen starken Schutz des „geistigen Eigentums“ aus, allerdings ohne Überwachungsinfrastruktur. Eine ähnlich Argumentation findet sich auch bei den Grünen (PDF-Datei) und den Linken, selbst CDU und CSU verfolgen mittlerweile einen nutzerfreundlicheren Ansatz. An den altbekannten Forderungen nach Vorratsdatenspeicherung und Warnhinweismodellen hält die Union dennoch fest, wenn auch nur halbgar formuliert – ein konsequenter Ansatz sieht anders aus. Inzwischen steht das Thema im Bundestag auf der Tagesordnung, eine Anhörung verlief aber nach den üblichen, festgefahrenen Mustern, wobei vor allem die Rechteverwerter auf einen starken Urheberrechtsschutz und die Verfolgung von Nutzern pocht.

Hinter den Thesen und Ankündigungen steckt aber offenbar nicht allzu viel Substanz. Das zeigen etwa die Äußerungen der Justizministerin, die im Herbst einen ersten Reformentwurf vorlegen will, jedoch selbst nicht an einen großen Wurf glaubt. Eine umfassende Reform des Urheberrechts ist aber unausweichlich, sofern einem der hiesige Kulturbetrieb und ein freies Internet am Herzen liegt. Das gilt auch für die Rechteinhaber, die von der aktuelle Situation noch am meisten profitieren. Doch irgendwann werden sie feststellen, dass sie Internetnutzer nicht zum Konsum ihres geistigen Eigentums zwingen können.

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