Kommentar: Das iPhone 5 ist super-sexy und super-langweilig!
Super-sexy, super-langweilig!
Seit gestern ist es zu haben, das neue Objekt der Begierde von zahlreichen Lifestyle-Freunden und die mittelgroße Enttäuschung von manchem Technik-Fanatiker: Das iPhone 5 startet mit einem Vorbesteller-Rekord in den Verkauf, der sich sehen lassen und der als solider Indikator für die Prognose hergenommen werden kann, dass Apple mit seinen Smartphones verkaufstechnisch an der großen Android-Konkurrenz dranbleiben wird und zugleich zu einem guten Teil das anstehende Weihnachtsgeschäft dominieren wird. Doch wie ist das Gerät tatsächlich einzuordnen? Betrachtet man das Gesamtpaket, so lässt sich feststellen, dass die tatsächlichen Eigenschaften des iPhone 5 sich irgendwo zwischen der blinden Vorfreude von manchem Vorbesteller („super-sexy“) und der übertriebenen Kritik von manchem Apple-Feind („super-langweilig“) bewegen.
Überraschend ist zunächst, wie viel von Apples neuem Smartphone-Flaggschiff schon vorab durchgesickert ist. So bestätigten sich tatsächlich die letzten Gerüchte, wonach das iPhone 5 größer und dünner ausfallen und zudem LTE unterstützen würde. Es ist nur ein Detail, doch hier zeigt sich ein Unterschied zwischen dem Apple von Tim Cook und dem Apple von Steve Jobs, da „geleakte“ Informationen bei letzterem sehr selten waren und vom Chef persönlich mit größtem Zorn und als Hochverrat aufgenommen wurden. Bei der Konzeption des iPhone 5 sind die aktuellen Hauptverantwortlichen dem „Paradigma Jobs“ dagegen eindeutig treu geblieben. Dementsprechend sind Einschätzungen zutreffend, die von einer Evolution zugunsten einer Revolution sprechen und die das iPhone dabei beispielsweise mit einem soliden aber irgendwie bestens bekannten Auto vergleichen: Es ist für seine Zwecke bestens geeignet und löst Freude aus, raubt einem aber längst nicht mehr den Atem.
Ein solcher Vergleich ist methodisch natürlich nicht sauber – der Gedanke an sich aber zutreffend: Apple, das wird schon bei einer kurzen Auseinandersetzung mit dem Gerät deutlich (ComputerBase-Bericht), verfügt mit dem iPhone 5 tatsächlich über eines der derzeit besten Smartphones überhaupt; dennoch haut einen das Angebot bei weitem nicht mehr aus den Latschen, was vor allem daran liegt, dass es auch das iPhone 5 nicht vermag, die Art und Weise wie ein nennenswerter Teil der Menschheit dieser Tage kommuniziert und lebt, nachhaltig zu verändern.
Die Krux an der Sache ist für Apple im Vergleich zum Gros der Konkurrenz, dass genau dies immer wieder erwartet wird. Und das nicht ohne Grund: Ob mit dem iPod, dem iPhone oder dem iPad – immer wieder gelang es Apple, einen bestehenden Branchenzweig der Consumer Electronics radikal umzuwälzen und damit erst das Tor zur Erschaffung von neuen Massenmärkten aufzustoßen. Das iPhone ist in diesem Kontext natürlich das Paradebeispiel, denn schließlich war es dieses Gerät, das die vormals teuren aber für viele potentielle Kunden noch nicht so richtig attraktiven Smartphones dank einer cleveren Bedienung und eines schicken Äußeren erst massenkompatibel machte.
Vor diesem Hintergrund ist nicht verwunderlich, dass gerade ein neues iPhone immer wieder Erwartungen weckt – so Geschehen auch beim iPhone 4S, das an Stelle des bereits damals von vielen erwarteten iPhone 5 für ein ziemlich geteiltes Feedback sorgte, wobei noch stärker als jetzt eine (nicht unberechtigte) Diskussion um die weitere Innovationsfähigkeit von Apple aufkam.
Diese Diskussion ist dieser Tage aber eigentlich nicht angebracht, da sich das iPhone 5 von seinen Vorgängern durchaus deutlich unterscheidet. „Deutlich“ muss dabei aber klar kontextualisiert werden, wobei zugleich eine Antwort auf die Rufe nach mehr Innovation gegeben werden kann: Die dahingehenden Möglichkeiten bewegen sich im Smartphone-Segment mittlerweile in sehr engen Grenzen.
Spezifischer gesprochen fallen die Optionen, mit denen sich die Hersteller abgrenzen können, mittlerweile sehr übersichtlich aus. Dies gilt vor allem für die Spezifikationen und technischen Möglichkeiten, da sich gerade für einen Reseller wie Apple in dieser Hinsicht nur implementieren lässt, was verfügbar ist. Zugleich bestimmt die Technik aber zu einem guten Teil auch über das Design, weswegen auch in dieser Hinsicht, in der Apple federführend eine ganze Branche prägte, zumindest kurz- und mittelfristig keine Quantensprünge zu erwarten sind.
Aus diesem Grund – und dies gilt nicht nur für das iPhone 5 – kommt es schon heute immer stärker auf weichere Merkmale wie die Software und das Ökosystem an. In dieser Hinsicht ist die Kritik an Apple schließlich zu einem guten Teil durchaus berechtigt: Statt iOS mit Version 6 mutig, unkonventionell – eben: innovativ – weiterzuentwickeln, merkt man dem Betriebssystem an, dass die Verantwortlichen mit Blick auf das ohnehin hohe Niveau auch hier einen zu großen Sprung scheuen und stattdessen lieber auf Nummer sicher gehen. Nur: So berechtigt die Kritik daran von einem technik- und innovationsaffinen Standpunkt auch ist, marktwirtschaftlich und strategisch sinnvoll ist das Vorgehen von Apple allemal, da auch ein nicht bahnbrechend weiterentwickeltes iPhone 5 mit etwas enttäuschender neuer Betriebssystem-Version sich nach Stand der Dinge als echter Kassenschlager entpuppen wird, womit gilt: Mission geglückt.
Die entscheidende Implikation aus dem Zusammenhang von kaum-möglicher, kaum-vorhandener aber zum Erfolg offenbar auch nicht sonderlich notwendiger Innovation ist, dass sich der geneigte Beobachter von allzu großen Fortschrittsvorstellungen bzw. -hoffnungen verabschieden muss. Statt bahnbrechender Revolutionen werden wir in den kommenden Jahren – im Übrigen auch zugunsten des Absatzes – in den allermeisten bestehenden Consumer-Electronics-Kategorien nichts dergleichen, sondern vielmehr eine ständige, schonende Evolution erleben.
Wirklich entscheidend ist deswegen nicht so sehr, wie genau sich diese Evolutionen in der Zukunft gestalten werden, sondern vielmehr, wer welche Kategorien dann doch nochmal umwälzen oder gar gänzlich wird neu erfinden können. In dieser Hinsicht ruhen wiederum vor allem auf Apple zahlreiche Erwartungen, wobei entscheidend sein wird, ob Tim Cook und Co. diesen entsprechen können.
Über diese Frage wird sich schließlich in den kommenden Monaten und Jahren auch die Zukunft Apples entscheiden: Bleibt es einer der größten und erfolgreichsten Spieler oder versackt es der gängigen „fat-and-lazy“-Theorie nach stattdessen in der bloßen Neuauflage von gängigen Produkten? Wenn die Zeichen richtig gedeutet werden, wird sich schon bald eine dahingehende Bewertungsperspektive auftun: Nämlich dann, wenn Apple sich anschickt, über „Apple TV“ das Fernsehgeschäft an sich zu reißen.
Für den Moment kann allerdings festgehalten werden: Das iPhone 5 ist tatsächlich super-sexy (auch wenn das Thema „Scuff Gate“ durchaus zu denken gibt) und super-langweilig zugleich, was zunächst paradox klingt, vor dem Hintergrund der aktuellen Branchensituation aber nur naheliegend ist.
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