I Am Alive im Test: Die Überraschung des Sommers
3/5I Am Alive im Überblick (Forts.)
Diese Mechanik trägt in den ersten Stunden hervorragend, da man so gezwungen wird, immer wieder strategisch vorzugehen und die Umgebung in die Planung einzubeziehen. Allerdings besteht im Late-Game dann doch die Gefahr, dass die Duelle etwas eintöniger ausfallen, da man trotz der kurzen Spielzeit von fünf bis sechs Stunden und trotz wachsender Gegnerzahlen irgendwann sehr gut mit der Mechanik vertraut ist.
Wichtig ist deshalb, dass das Gameplay nicht nur von der Interaktion mit Non-Player-Charakteren, sondern auch vom Klettern und Erkunden lebt. Während letzteres immer wieder notwendig ist, um an spärlich vorhandene aber wichtige Gegenstände wie Wasser, Konserven, Adrenalinspritzen oder Munition zu gelangen, ist ersteres fester Bestandteil der Spielmechanik, sodass es immer wieder notwendig ist, sich kletternd einen Weg durch die unzugängliche Stadt zu suchen.
Gelungen ist in diesem Zusammenhang, dass man sich nicht in bester „Assassin's Creed“-Manier kinderleicht rennend, springend und hangelnd fortbewegen kann. Stattdessen muss man neben der Gesundheitsanzeige stets auch die Ausdauer-Anzeige im Auge behalten: Diese fällt bei Anstrengung (beispielsweise auch beim Rennen) kontinuierlich ab, nimmt bis zur Wiederaufladung (beispielsweise durch das Trinken von Wasser) bei zu starker Beanspruchung Schaden und kann so dazu führen, dass man bei allzu eifriger Kletterei schnell in den Tod stürzt.
Durch diese Konzeption erhält auch das in diesem Fall weniger auf pure Geschicklichkeit ausgelegte Klettern eine strategische Dimension, da man auch bei dieser Tätigkeit umsichtig vorgehen muss: Schaffe ich es bis zum nächsten Vorsprung? Lohnt ein gefährlicher Umweg, um an einen Ausrüstungsgegenstand heranzukommen? Was ist der schnellste Weg und wo setze ich am besten den Kletterhaken ein, der eine unbegrenzte Verschnaufpause ermöglicht? Diese Fragen stellen sich und machen das Klettern in „I Am Alive“ so zu einer überraschend komplexen Angelegenheit.
Doch auch bei dieser Tätigkeit setzen schnell Lerneffekte ein, sodass man schon bald die konzeptionellen Grundlagen der Entwickler durchschaut und so immer flüssiger durchs Spiel kommt. Umso entscheidender ist, dass die zu Beginn von den Eckpfeilern und dem Setting her sehr spannende Story über die Zeit an Fahrt verliert, was nicht nur beim Protagonisten, sondern – je nach Typ – auch beim Spieler für kleinere Ermüdungserscheinungen sorgen kann.
Ursächlich hierfür ist, dass es den Entwicklern nicht in ausreichendem Maße gelingt, ein stimmiges Rundum zu erschaffen. Dementsprechend gehört es schon zum höchsten der Gefühle, dass man immer wieder Opfer der Katastrophe retten bzw. ihnen helfen kann. Schade ist dabei aber, dass diese Handlungen keinerlei Einfluss auf den Fortgang haben, sondern sich nur auf den (in unseren Augen ziemlich unnötigen) Endscore auswirken; in diesen Momenten ist „I Am Alive“ dann plötzlich irritierend arcadig statt bleiern-schwer und authentisch. Und so kommt es, dass man eingeschlossene Personen befreit, einem Sterbenden zu einer letzten Zigarette verhilft und eine Frau von ihren Fesseln befreit – nur um mit minimalen Informationen zum Ablauf der Katastrophe und einem etwas besseren Punktestand versorgt zu werden.
In dieser Hinsicht verschenken die Verantwortlichen viel Potential. Wie packend wäre es gewesen, wenn es einen echten Einfluss gehabt hätte, ob der Spieler die Frau, die ihn zu ihren eigenen Häschern gelockt hat, einfach angekettet zurücklässt oder ob er sein kleines Erste-Hilfe-Paket tatsächlich mit einem Verletzten teilt. Dass dieser Aspekt außen vor gelassen wird, verwundert auch deswegen, weil er doch so gut zum Thema passt: Der Verrohung einer ganzen Gesellschaft steht die Frage gegenüber, wie sich das Individuum verhält. Bewirkt die Katastrophe per Domino-Effekt tatsächlich, dass die Menschheit ihr eigenes Armageddon herbeiführt? Dieser Frage weichen die Verantwortlichen leider aufgrund der damit verbundenen Komplexität aus – schade!