Klassiker neu entdeckt: Medal of Honor: Allied Assault (2002)

Max Doll
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Klassiker neu entdeckt: Medal of Honor: Allied Assault (2002)

Vorwort

Medal of Honor ist nicht mehr. Fans bleibt daher nichts anders übrig, als sich den bereits erschienenen Teilen, insbesondere dem Ausgangspunkt der Serie, „Allied Assault“, zuzuwenden, deren deutlich besseres Abschneiden bei Spielern und Testern eine Menge Spaß versprach. Denn das packend inszenierte Geschehen mit flotter Action und insbesondere dem Soundtrack fand, anders als die aktuellen Wiederbelebungen, eine Menge Anklang. Da mittlerweile auch der Zweite Weltkrieg kein alltägliches Szenario mehr ist, herrscht an Gründen für die Klassiker-Schau kein Mangel.

Aus der gesunden Gesamtkonzeption dürfte vor allem der D-Day herausstechen: Entwickler 2015 schickte Spieler während der alliierten Landung in der Normandie direkt an „Omaha Beach“ und damit in die Hölle oder aber den Film „Der Soldat James Ryan“ – Steven Spielberg wird ebenso ausgiebig wie effektvoll durch das Spiel hinweg zitiert. Vor gut 10 Jahren waren staunende Münder garantiert – ob sich der Griff zum Serien-Großvater trotz der technischen Alterung auch heute noch lohnt, klären wir im Folgenden.

Story und Setting

Von einer echten Story kann bei Weltkriegs-Shootern mit Realismus-Ambiente kaum gesprochen werden. Allied Assault versetzt Spieler zwar in den fiktiven Lieutenant Mike Powell der US-Army Rangers beziehungsweise des Nachrichtendienstes und CIA-Vorgängers „Office of Strategic Services“ (OSS), entwickelt den Charakter aber nicht: Der Protagonist bleibt stumm und dient lediglich als Vehikel für den Spieler.

Medal of Honor: Allied Assault
Medal of Honor: Allied Assault

Ansonsten bemüht sich 2015 durch die Orientierung am historisch akkuraten Kriegsgeschehen weitgehend um Authentizität. Neben Einsätzen im Rahmen der alliierten Landung in Nordafrika (Operation Torch) und einer fiktiven Geheimdienstmission in Norwegen nimmt Powell in 8 bis 10 Stunden Spielzeit unter anderem auch am D-Day und den folgenden Kämpfen in der Normandie teil. Weitere Einsätze in Afrika, Belgien, Italien und Frankreich kommen durch die Add-Ons „Spearhead“ und „Breakthrough“ hinzu, die den Umfang des Hauptprogramms etwa verdoppeln. Für Stimmung sind neben dem Briefing durch einen Vorgesetzten, das im Stil einer Dia-Show erfolgt, unter anderem die Ladebildschirme verantwortlich. Hier sind nicht nur Tipps und weitere Beschreibungen zu Mission und Situation des Spielers zu finden, sondern auch weitere historische Dokumente. Entsprechend flott endet Allied Assault: Nach der letzten Mission kommt schlicht und kurz „das Ende“, danach die Credits.

Gameplay und Technik

Nimmt die Story nur Bezug auf Historisches, ist das Gameplay selbst historisch: Allied Assault spielt sich nicht wie moderne Shooter. Dies äußert sich in reduzierten Kamerabewegungen beim (unbegrenzt und lautlos möglichen) Sprinten sowie einer generell reduzierten Laufgeschwindigkeit. In grober Näherung bewegt sich Lt. Powell etwas schneller als ein Activision-Protagonist während des gemächlichen Voranschreitens. Obwohl das Tempo geringer als gewohnt ausfällt, ist das Gameplay an sich jedoch schneller als bei aktuellen Shootern. Das liegt unter anderem an den Waffen, die selbst bei fortgesetztem Dauerfeuer aus der Bewegung heraus nur minimal streuen und damit die Kampfentfernung deutlich erhöhen – auch Zielen über Kimme und Korn ist nicht möglich. Zusätzlich fehlt der mittlerweile kaum wegzudenkende Nahkampf-Angriff für Notfallsituationen ebenso wie ein Deckungssystem.

Medal of Honor: Allied Assault
Medal of Honor: Allied Assault

Beides steht nur der KI zur Verfügung, die fast immer treffsicher und unerwartet aggressiv agiert. Somit bleibt nur ein Spielstil übrig, der auf stete Bewegung setzt, um sich etwa während des Nachladens hinter Ecken und hoffentlich hohen Kisten zurückzuziehen. Verharren braucht dort aber niemand, denn Lebenspunkte werden nicht automatisch regeneriert, was ebenfalls zu steter Bewegung zwingt. Dabei werden Gegenstände wie die rettenden Erste-Hilfe-Pakete nicht zwingend automatisch aufgesammelt – der Pick-Up-Radius ist vergleichsweise klein, sodass gelegentlich manuelles Umschauen und Einsammeln notwendig wird. Auch das Ausweichen von feindlichem Beschuss gehört zum essentiellen Repertoire, denn Beschuss macht Zielen sowie eine Orientierung unmöglich. Im Endeffekt erinnert das Gameplay aus heutiger Perspektive vergleichsweise stark an Arcade-Spiele wie Unreal Tournament und nicht, wie es das Szenario nahelegen würde, an „realistisch“ angehauchte Military-Shooter. Was zunächst ungewohnt und nicht sonderlich passend scheint, macht jedoch nach einer kurzen Eingewöhnungszeit heute wie damals richtig Spaß – flotte, adrenalinlastige Gefechte bleiben trotz gegenwärtiger Trends zeitlos, zumal sie gelegentlich mit intelligenten Denkpassagen aufgelockert werden.

Zumindest bis sich im weiteren Spielverlauf altersbedingte Schwächen offenbaren. Schließlich sind die als Kanonenfutter auftretenden Wehrmachts-Soldaten historisch korrekt mit Tarnmustern ausgestattet und werden im Sinne eines progressiven Schwierigkeitsgrades stetig zielsicherer. Speziell ein von Heckenschützen verseuchtes Städtchen in der Normandie wird so zum Alptraum: Gegner sitzen in jedem Fenster und hinter jedem Schutthaufen, schießen auf große Entfernungen mit absoluter Präzision und selbst durch Büsche hindurch auch von Hausdächern, selbst wenn im Gegenzug nur ihr Kopf sichtbar ist. So wird natürlich ein Stück weit die Realität eines Krieges wiedergespiegelt, Spaß kommt dabei aber bereits auf dem mittleren der drei Schwierigkeitsgrade nur sehr bedingt auf – und wird auch im folgenden Level nicht besser. Zwar sind auch diese Herausforderungen zu meistern, zwingen aber zu sehr langsamen Vorgehen, vor allem aber zum Auswendiglernen des Levels und einer größeren Frusttoleranz.

Medal of Honor: Allied Assault - Finde den Gegner
Medal of Honor: Allied Assault - Finde den Gegner

Auch sonst macht sich das Alter des Spiels, vor allem aber der „id Tech 3“-Engine, bemerkbar. Schlauchlevels sind mitunter wörtlich zu verstehen und eckig-eng begrenzt, Texturen gleichen sich gelegentlich auf breiter Front, Animationen hingegen können schon einmal doppelt auftreten – hier fehlt es nach modernen Maßstäben merklich an Variation und (suggerierter) Offenheit. Bewegungsabläufe sind teils zudem klar in gegliederten Sequenzen erkennbar, sie wirken unter Umständen wie die stets starren Gesichter steif und künstlich. Speziell die Railshooter-Sequenzen fallen qualitativ deutlich ab. In Summe wird so die Atmosphäre des Spiels durch die technische Alterung des Unterbaus etwas beeinträchtigt. Neben trist wirkenden Gängen und stets durch Nebel limitierten Sichtweiten bietet das Spiel aber immer wieder liebevoll und akkurat ausstaffierte Räume auf, die auch in Details punkten können – Fahnen, Plakate, (Munitions-)Kisten und Kartenspiele sind dank der im Treiber maximierten Qualitätsfeatures wie Kantenglättung auch heute noch knackscharf und gut abzulesen, gleiches gilt unter anderem für Hinweisschilder – Rauchen verboten! – sodass das Ambiente dennoch für Freude sorgt.

Medal of Honor: Allied Assault – Spionage-Sqeuenz: Wir zeigen unsere Papiere
Medal of Honor: Allied Assault – Spionage-Sqeuenz: Wir zeigen unsere Papiere

Speziell die Inszenierung braucht sich ohnehin nicht zu verstecken. Schließlich bleibt der Soundtrack nach wie vor exzellent und untermalt das Geschehen stets passend, während die akustischen Effekte eindrucksvoll bleiben. Zusätzlich sorgen Gespräche zwischen Soldaten, Lautsprecherdurchsagen und Begrüßungen für Stimmung in ruhigeren Levels, ansonsten rauscht im Hintergrund stets passender Gefechtslärm, wenn nicht gleich Flugzeuge über die Köpfe des Spielers donnern. Ein Mittendrin-Gefühl wird insbesondere in diesen Szenen überdeutlich evident und trägt über alle anderen Mängel hinweg: Omaha Beach bleibt heute wie damals eine beeindruckend beklemmende Inszenierung. Zum Spaßfaktor tragen ebenso die Missionen selbst bei, die nicht nur abwechslungsreich bleiben, sondern immer mal wieder vor Herausforderungen stellen: Wer mit den letzten Lebenspunkten trotz endloser Gegnermassen aus einem Nazi-Stützpunkt entkommt, kann sich zurecht den Schweiß von der Stirn wischen. Im Mehrspieler-Modus, der immer noch über zahlreiche, auch gefüllte, Server verfügt, wiegen die technischen Limitierungen mittlerweile deutlich schwerer. Das Gameplay taugt zwar noch für eine flotte Runde Deathmatch zwischendurch, für mehr aber auch nicht mehr.

Medal of Honor: Allied Assault
Medal of Honor: Allied Assault

Kompatibilitätsprobleme auf modernen Rechnern gibt es in der getesteten Versionsnummer 1.2 nicht. Lediglich bei verzerrten oder fehlerhaften Audioeffekten muss im Unterordner „main/configs“ des Stammverzeichnisses in der .cfg-Datei der Name des jeweiligen Audiogerätes, zu finden in den Windows-Soundeinstellungen im Reiter „Wiedergabe“, über den Eintrag „s_milesdriver“ manuell aktualisiert werden. Unterstützung für Widescreen-Auflösungen kann ebenfalls mittels des Hinzufügens weiterer Einträge in die .cfg ergänzt werden. Allerdings will das Sichtfeld bei jedem Spielstart mit dem Konsolenbefehl „fov 90“ erweitert werden, um das simple Strecken von Bildinhalten zu verhindern. Zudem funktioniert diese Anpassung aus naheliegenden Gründen im Multiplayer nicht. Zu beachten gilt es außerdem, dass jedes Add-On einen weitern „main“-Ordner mit eigener .cfg anlegt, die separat angepasst werden muss.

Widescreen- und Grafik-Einträge

Ansonsten bietet die verwendete Engine bastelfreudigen Moddern jede Menge Möglichkeiten. An neuen Karten für Einzel- und Mehrspielermodus, Texturen und anderen Modifikationen herrscht kaum ein Mangel. Auch HD-Texturen sind zu finden, haben aber einen überschaubaren Effekt. Deutlich stärker lässt sich die Optik verbessern, indem Kantenglättung und anisotroper Filter über den Treiber der Grafikkarte auf Anschlag gestellt werden. Über weitere Konsolenbefehle kann überdies die Sichtweite durch das Abschalten des immer präsenten Nebeleffektes angehoben werden, was allerdings in der Regel zu mehr oder weniger schwerwiegenden Darstellungsfehlern führt.

Medal of Honor: Allied Assault - FoV 90
Medal of Honor: Allied Assault - FoV 90

Fazit

Königsfrage: Lohnt der Trip in das Jahr 2002? In diesem Fall überdeutlich „Jein“. Das Spielgefühl von „Allied Assault“ findet zwar durch die Homogenisierung von Realismus-Shootern kaum eine Entsprechung mehr, das Gameplay offenbart nach heutigen Maßstäben jedoch teils Mängel und die Technik schränkt die Atmosphäre etwas ein. Stimmung und Spaß kommen aber trotzdem noch gerade durch die liebevolle Inszenierung und die akustische Untermalung von exzellenter Qualität auf. Shooterfans können deshalb einen Blick riskieren. Wer hingegen kein besonderer Fan des Genres ist, dürfte dank der nach heutigen Standards gemessenen Schwächen im Leveldesign und der Technik sowie dem knackigen, teils ans (unerwartet) Unfaire grenzenden Schwierigkeitsgrad kaum Gefallen finden.

Medal of Honor: Allied Assault
Schnellcheck Medal of Honor: Allied Assault
Getestete Version 1.2
Altersfreigabe ab 18 Jahre
Empfohlene Systemanforderungen AMD Athlon / Pentium III (700 MHz), 128 MB RAM,
Grafikkarte mit 16 MB Speicher (ab Nvidia Riva TNT2 oder besser),
3 GB HDD
Widescreen Über .cfg-Datei und Konsole
Mods u.a. HD-Texturen
Kompatibilität bis Windows 8
Probleme Sound
Empfehlung Singleplayer

In dieser Serie bereits erschienen:

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