„Wer im Internet ist, hat die Privatheit verlassen"
Den 16. Europäischen Polizeikongress nutzen Sicherheitspolitiker und Vertreter von Sicherheitsbehörden für knackige Statements. Thematisch steht der Kongress unter dem Motto „Schutz und Sicherheit im digitalen Raum“, dementsprechend sind Warnungen vor Cybercrime und die Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung allgegenwärtig.
Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung wird von Behördenvertretern und Sicherheitspolitikern praktisch als Selbstverständlichkeit dargestellt, rechtsstaatliche Bedenken spielen kaum eine Rolle. „Wer im Internet ist, hat die Privatheit verlassen“, erklärt Jürgen Maurer, Vizepräsident des Bundeskriminalamts. Es sei dabei gleich, wie die Diskussion verlaufe, denn „man muss sich hier entscheiden, ob man den Ermittlungserfolg will oder nicht“. Dass die Vorratsdatenspeicherung Studien zufolge keinen Einfluss auf die Aufklärungsquote hat, fällt dabei unter den Tisch, ebenso wie Mahnungen, die etwa der Bundesdatenschützer Peter Schaar kürzlich vorgetragen hat.
Erwartungsgemäß stand Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in der Kritik, der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) ging sogar soweit, ihre Blockadehaltung bezüglich einer Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung nach den Wünschen der Sicherheitsbehörden als „nah an einer Strafvereitelung“ zu bezeichnen – und erntete dafür Applaus. Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundesfraktion, verwies auf die drohende Geldstrafe von der EU-Kommission, welche die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland schnell ersticken werde. Die Strafzahlungen wären dem Steuerzahler nicht zu vermitteln.
Mit einer eng gefassten Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung könne Deutschland laut Oppermann zudem mäßigend auf europäische Staaten wirken, denen die aktuelle EU-Richtlinie noch nicht weit genug geht. Bekannt wurde zudem, dass mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der letztlich über eine potentielle Strafzahlung entscheidet, offenbar bald zu rechnen ist. Zumindest hat Deutschland keine Fristverlängerung für eine Antwort in dem Verfahren erhalten, diese muss nun bis zum 25. Februar eingereicht werden.
„Der nächste 11.-September-Anschlag kommt per E-Mail“
Der „digitale Raum“ ist für die Strafverfolgungsbehörden nach wie vor ein ungewohntes Pflaster. So lasse sich die Anzahl von Cybercrime-Verbrechen aufgrund der hohen Dunkelziffer kaum abschätzen, erklärte Maurer. Ausgehend von den im Jahr 2011 registrierten 60.000 Fällen könne nicht auf eine Gesamtzahl geschlossen werden, weswegen es auch schwierig sei, Prognosen für die Zukunft abzugeben. „Die Innovationskraft der Kriminellen ist derartig hoch, dass Sicherheitsverbesserungen (wie die Einführung der iTAN beim Online-Banking) nur eine zeitlich begrenzte Reichweite haben“, so Maurer. Um den Schwierigkeiten zu begegnen, wurden neue Strategien zur Bekämpfung der Cyber-Kriminalität diskutiert.
Für ein kleines Bonmot sorgte diesbezüglich der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, der sich bereits im Vorfeld des Kongresses von der Neuen Osnabrücker Zeitung wie folgt zitieren ließ: „Der nächste 11.-September-Anschlag kommt per E-Mail. Deshalb brauchen wir schnellstens mindestens 2.000 Cyber-Cops.“ So könnten etwa „Hacker-Terroristen ein AKW zur Explosion bringen, die Stromversorgung unserer Städte kappen oder Klärwerke stoppen, um die Bevölkerung zu vergiften“, weswegen mögliche Angriffe bereits im Vorfeld abgewehrt werden müssten.
Wenig überraschend erntete Wendt für die Äußerungen vor allem Hohn und Spott, selbst Telepolis ließ es sich nicht nehmen, mit der „wundersamen Welt des Polizeigewerkschaftlers Rainer Wendt“ abzurechnen. Im Konsens mit anderen Behördenvertretern steht allerdings Wendts Forderung, die potentiellen Internet-Spezialisten der Polizei (Cyber-Cops) müssten vor allem gegen „schwerkriminelle Hacker, Terroristen oder die Verbreitung von Kinderpornografie vorgehen“ und sich weniger auf allgemeine Kriminalitätsbekämpfung konzentrieren.
Ähnliche Forderungen erhebt auch der Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK), der einen Perspektivwechsel in der Sicherheitspolitik verlangt. Das „Festhalten am derzeitig definierten Tatortprinzip in Angelegenheiten der Internetkriminalität (habe) weitgehend ausgedient“, stattdessen benötige man spezialisierte Polizisten sowie Staatsanwälte und Gerichte. Diese müssten „die Beweisführung gerade zur Internetkriminalität international planen, leiten und anklagen können und zu angemessenen Urteilen kommen“.
Forderungen an Unternehmen und Medien
Das Fehlen von spezialisierten Ermittlungsbehörden sei laut BDK auch einer der Gründe, wegen denen Unternehmen Cyber-Angriffe vertuschen oder sich an private Ermittler und Wirtschaftsprüfungsorganisationen wenden. Allerdings führe mangelnde Anzeigenbereitschaft der Unternehmen zu einer höheren Dunkelziffer, was den Behörden wiederum Probleme bereitet. Hier könnte aber bald die EU-Kommission regulierend eingreifen, eine entsprechende Richtlinie, die eine gesetzliche Meldepflicht für Unternehmen bei Cyber-Angriffen enthält, ist bereits in Arbeit.
Kritisch äußerte sich Maurer zudem über die Medien. „Hacktivismus“ solle nicht positiv beschrieben werden, vor allem einer Ethik der Hacker solle man abkommen. Bei jedem Angriff handele es sich um eine Straftat, das gelte auch für Protestaktionen wie die nach der Abschaltung des Online-Portals Kino.to. Bei einer positiven Berichterstattung verkenne man, dass keine Kriminalitätsform akzeptabel sei.