BioShock Infinite im Test: Ein Spiel, nahe der Perfektion
3/5Infinite auf einen Blick
Sucht man gleich zu Beginn nach der fundamentalen, „Infinite“ vom Vorgänger abgrenzenden Veränderung, fällt tatsächlich sofort das bereits angesprochene Setting ins Auge: Zugunsten einer frischen, unkonventionellen Erzählung wechseln die Entwickler aus der düsteren, beklemmenden Unterwasserwelt von Rapture in eine fiktive US-Luftstadt namens Columbia.
Der größte Unterschied besteht dabei natürlich im von der Optik und der grundsätzlichen Konzeption herrührenden Gefühl, mit dem der Spieler bereits in den ersten Minuten begrüßt wird. Denn während das als utopisches Projekt angelegte Rapture einem bösen Alptraum entsprungen zu sein schien, gestaltet sich Columbia auf den ersten Blick im Gegenteil als verwirklichte Utopie – ein Eindruck, der gekonnt von der luftigen Struktur und den freundlichen, farbenfrohen und farbsatten Umgebungen erzeugt wird.
Allerdings stellt sich schnell heraus, dass auch in dieser US-Traumstadt des Jahres 1912 längst nicht alles Gold ist, was glänzt. So lassen die Verantwortlichen rund um Chefentwickler Kevin Levine auch hier wieder ein totalitäres Element einfließen, das auf so unschönen Eigenschaften wie Ignoranz, Dogmatismus und einem tendentiell faschistoiden Welt- und Menschenbild fußt und darin mündet, dass das einst als Vorzeige-Projekt amerikanischer Überlegenheit erschaffene, fiktive Columbia letztlich doch wieder eine waschechte, Gänsehaut vermittelnde Dystopie ist.
Ansprechend ist in diesem Kontext, dass die theoretische Grundlage für diese die Story einrahmende Metaebene geschickt verändert wurde. Basierte Rapture auf der libertären, dem Primat des Rationalismus' und unbändigen Kapitalismus' verschriebenen Ethik einer Ayn Rand, thematisiert „Infinite“ nun vor dem Hintergrund des Amerikanischen Exzeptionalismus, welche verheerenden Auswirkungen eine dogmatische, auf Rassismus und glühenden Nationalismus fußende Quasi-Religion haben kann.
Dabei ist unverkennbar und zugleich kaum genügend zu loben, dass der auf dieser Grundlage gestrickte Plot immer wieder an reale historische Geschehnisse und gesellschaftliche Entwicklungen rückgebunden ist. Auch wenn diese Rückkopplung gerade den nicht-amerikanischen Spielern aufgrund von teils sehr speziellen Andeutungen – beispielsweise zum Massaker der US-Armee an Lakota-Indianern bei „Wounded Knee“ im Jahr 1890 – das ein oder andere Stirnrunzeln und die ein oder andere Wikipedia-Recherche abtrotzen wird, hat man es hier doch mit einer Kompetenz zu tun, die in PC-Spielen leider noch immer zu selten erreicht wird und nach wie vor eher dem Kinofilm, vor allem aber der Literatur inhärent ist.
Doch nicht nur der inhaltliche Rahmen ist ein echtes Schmankerl – auch die hier hinein konstruierte Handlung weiß zu punkten. Ohne zu viel zu verraten, kann dazu angemerkt werden, dass der Spieler in die Rolle des Ex-Pinkerton-Agenten Booker DeWitt schlüpft. Dieser zunächst etwas blasse Charakter mit offensichtlich fragwürdiger Vergangenheit verdingt sich 1912 als Privatermittler und erhält den auf den ersten Blick einfachen Auftrag, eine junge Frau namens Elizabeth in Columbia ausfindig zu machen, „um sich von seiner Schuld reinzuwaschen“.
Vor Ort angelangt, muss DeWitt allerdings nach einer ersten, eher idyllischen halben Stunde Spielzeit feststellen, dass die Dinge doch anders liegen, als gedacht. Schnell stellt sich heraus, dass in Columbia alles andere als Friede herrscht, wobei es die Oberen der theokratisch angehauchten Ultranationalisten aus irgendeinem Grund auf DeWitt abgesehen haben. Und auch mit Elizabeth scheint etwas nicht zu stimmen – ein fabelhaft mysteriöses Gebräu für beste Unterhaltung.
Diese wird – Stichwort DeWitt und Elizabeth – allerdings nicht nur durch die gelungene Metaebene, sondern auch über das Schicksal der beiden Hauptcharaktere ermöglicht. Während der anfänglich etwas platt wirkende DeWitt einem im Verlauf der Story immer sympathischer wird, glänzt Elizabeth als einer der vielschichtigsten Charaktere, die die Spielwelt zuletzt gesehen hat: Einerseits furchtbar naiv, andererseits ungemein tiefgründig und geheimnisvoll gezeichnet, trumpft dieser KI-Sidekick obendrein immer wieder mit meist geglücktem Situationswitz auf, wobei deutlich wird, dass die Entwickler einige Detailliebe in die Konzeption und Integration dieser zentralen Figur investiert haben.
Diese Investition zahlt sich voll aus, da die Interaktion und die sich entwickelnde Verbindung zwischen den beiden Hauptcharakteren auf der kleinsten Ebene den entscheidenden Kitt für die gesamte Konzeption darstellen. Denn während der Spieler zum einen mit dem großen Ganzen gelockt wird und dementsprechend erfahren möchte, was es mit Columbia, dem Oberguru Cromstock und dem Auftrag samt Hintermännern auf sich hat, geht auch von der direkten Interaktion mit Elizabeth einige Anziehungskraft aus: Wer ist sie? Warum ist sie so schräg und liebenswürdig zugleich? Wen geleite ich hier eigentlich aus dem goldenen Käfig? Und wie kommt es, dass unsere Häscher es nur auf mich abgesehen haben und mich als „falschen Propheten“ bezeichnen? Solche und ähnliche Fragen geben „Infinite“ auch auf der Mikroebene einen Impuls, wie wir ihn zuletzt – allerdings längst nicht derart intensiv – bei einem „Dishonored“ erlebt haben.