BioShock Infinite im Test: Ein Spiel, nahe der Perfektion

 4/5
Sasan Abdi
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Infinite auf einen Blick (Forts.)

Wichtig ist dabei allerdings auch, dass all das zu einem gewissen Grad auch Niederschlag in der Spielmechanik findet. Die Gefahr des „Inhalt wegen des Inhalts wegen“ wird also gebannt. Aus dieser Perspektive kann zunächst allerdings festgehalten werden, dass sich die Gameplay-Neuerungen deutlicher in Grenzen halten als die inhaltlichen, sodass sich „Infinite“ im Kern häufig wie ein klassisches „BioShock“ spielt. Der ganz große Wurf ist in dieser Hinsicht allerdings auch gar nicht nötig, da es völlig ausreicht, dass „nur“ die luftige Umgebung von Columbia und die Reise mit Elizabeth gebührend in die Spielmechanik einbezogen werden.

Ersteres erreichen die Entwickler durch eine Dynamisierung der Kämpfe: Die Luftstadt Columbia bietet im Vergleich zur Unterwasserstadt Rapture vor allem vertikal deutlich mehr Möglichkeiten zum ausweichen. Statt die Gegnerscharen also gezwungenermaßen frontal anzugehen, kann der Spieler lavieren: Man greift an, lässt sich zurückfallen, schießt mit einem Greifhaken in die Höhe, um sich dann wieder auf die Meute hinabzustürzen. In manchen Situationen kann man über die sogenannten Skylines auch kurzzeitig flüchten, um beispielsweise den Munitionsvorrat aufzufrischen – oder einfach eine rasante Fahrt genießen, bei der man per Knopfdruck die Richtung und Geschwindigkeit wechseln, schießen und das fantastische Panorama genießen kann.

BioShock Infinite im Test
BioShock Infinite im Test

„Munition“ ist ohnehin ein gutes Stichwort, da die besagte Dynamisierung auch durch die Kombination der unterschiedlichen Waffengattungen mit Fähigkeiten ermöglicht wird. Das Jahr 1912 ist dabei kein enges Korsett, sodass Booker auf Maschinengewehre, Raketenwerfer, Shotguns und Pistolen im passenden Steam-Punk-Stil zurückgreifen kann. Richtig aufgewertet wird die Nutzung aber, wenn man die klassischen Waffen wie von den Entwicklern angestrebt in Kombination mit den insgesamt acht Kräften benutzt: Man erledigt einfachere Gegnerklassen konventionell, beschäftigt eine mittlere Klasse mit einer aufgebrachten, wildhackenden Krähenschar, zieht einen schweren Gegner per Knopfdruck direkt vor die Kimme, übernimmt kurzzeitig ein automatisches MG und legt im eigenen Rücken zur Sicherheit einige Explosionsfallen aus – so sieht über stumpfes Ballern hinausgehendes, hin- und herwogendes Gameplay aus!

Gut gefällt in diesem Zusammenhang auch, dass man seine „Lieblingskräfte“ an einem von zahlreichen Automaten gegen stets nur sehr knapp verfügbare Silberlinge aufwerten kann. In diesem Zusammenhang hat man es aber auch mit unserem einzigen Kritikpunkt zu tun: Die Jagd nach neuer Ausrüstung, nach Silberlingen und nach Essbarem für die Gesundheit und Salz für die Kräfte nimmt zu viel Raum ein. Da man ständig Ausschau nach versteckten Truhen, dem Inhalt von Mülleimern und den Gimmicks in versteckten Räumen halten muss, erwischten wir uns häufiger dabei, wie wir wild „F“ zum Aufsammeln drückend durch die Gegend rannten – und dabei kaum mehr einen Blick für die malerische, mit Liebe zum Detail in Szene gesetzte Umgebung hatten. Natürlich kann man auf diesen Sammeltrieb aus Gründen der Spielmechanik nicht gänzlich verzichten; etwas weniger wäre aber mehr gewesen.

Wiederum ohne Abstriche gelungen ist wie bereits angedeutet, dass Elizabeth nicht nur inhaltlich, sondern auch spielerisch bestens integriert wurde. So endet die Interaktion mit ihr im Kampf nicht einfach: Die KI-Schönheit versorgt Booker in kritischen Situationen mit Munition oder Salz und tritt auch als kompetente Krankenschwester auf, wenn der Privatermittler einmal fast das Zeitliche segnen sollte.

Viel wichtiger ist aber, dass Elizabeth temporär sogenannte Risse, eine Art Fenster in eine parallele Realität, öffnen kann, was erklärt, warum dieser Aspekt wie von Bill Gardner im Interview angesprochen von manchem Tester als zentrales Merkmal von „Infinite“ identifiziert wurde. Diese Risse werden gekonnt zur Aufwertung der Spielmechanik verwendet, da sich der Spieler immer mal wieder zwischen unterschiedlichen Optionen entscheiden kann: Soll Elizabeth kurzzeitig ein automatisches Maschinengewehr aus einer parallelen Zeit herbeizaubern oder doch lieber einen alternativen Weg eröffnen? Hierbei hat man es nicht mit weitreichenden Entscheidungen, sehr wohl aber mit für mehr Pepp sorgenden Spielelementen zu tun.

Unsere Lobeshymne setzt sich schließlich auch mit Blick auf die technische Umsetzung fort. Obwohl „Infinite“ auf der nicht mehr taufrischen Unreal 3 Engine basiert, zaubert Irrational eine Spielwelt auf den Bildschirm, die mit teils fantastischen Umgebungen, einer tollen Beleuchtung und jeder Menge Liebe zum Detail überzeugen kann. Je nach vorhandener Hardware kommt dazu DirectX 10 oder 11 zum Einsatz, sodass auf modernen System Schmankerl wie High Definition Ambient Occlusion und Diffuse Depth of Field genutzt werden. Ein kleiner Wermutstropfen stellen dabei nur die zu oft wiederkehrenden Gesichter der Einwohner von Columbia dar – ein Umstand, der wiederum von exzellent eingebetteten, dynamischen Zwischensequenzen vergessen gemacht wird, die auch ohne separate Cutscenes wunderbar funktionieren.

Trotzdem ist „Infinite“ kein ultimativer Hardwarefresser, obwohl man durchaus über ein aktuelles System verfügen sollte, um die Möglichkeiten ausreizen zu können. Auf unserem Testsystem lief der Titel auf „Ultra“-Details in einer Auflösung von 1.920 × 1.080 überwiegend mit rund 50 Bildern pro Sekunde – ein Wert, der allerdings in fordernderen Umgebungen kurzzeitig auf 30 einbrechen konnte.

BioShock Infinite im Test
BioShock Infinite im Test

Gleiches Lob verdient sich auch die Sound- und Sprachumsetzung. Erstere glänzt mit sehr passenden Ambiente-Geräuschen und einer vielseitigen musikalischen Untermalung; letztere gehört auch in der deutschen Ausgabe mit zu dem Besten, was zuletzt geboten wurde.

Auch die künstliche Intelligenz bietet keine Ansatzpunkte für Kritik. Zwar wird sie aufgrund der übersichtlichen Areale und der überwiegenden Script-Auslösung nicht sonderlich gefordert, doch tragen die den Spieler einkreisenden, aggressiven KI-Gegner durchaus entscheidend zur spielerischen Dynamik bei. Allerdings sollten selbst weniger ambitionierte Spieler von vornherein den schwersten der zunächst drei Schwierigkeitsgrade wählen, da sonst chronische Unterforderung droht. Für Veteranen stellt in diesem Zusammenhang der nach dem ersten Abspann zur Verfügung stehende Expertenmodus eine gute Gelegenheit für einen weiteren Abstecher nach Columbia dar.