Klassiker neu entdeckt: Tomb Raider 2 (1997)

Max Doll
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Klassiker neu entdeckt: Tomb Raider 2 (1997)

Vorwort

Die junge Frau mit dem langen Pferdeschwanz und den großen Brüsten hat in ihrer Zielgruppen-Beziehung sowohl ihre Höhen als auch ihre Tiefen bewiesen. Ein negatives Beispiel ist mit dem berüchtigten sechsten Teil „Angel of Darkness“ schnell gefunden. „Ihr habt sie kaputtgemacht!wetterte GameStar, was zum vorläufigen Absturz der Serie und zum Abgesang ihrer Erfinder, Core Design, führte. Der folgende Neubeginn mit neuem Entwicklerteam war zwei Ableger lang erfolgreich, Nummer Neun schnitt hingegen wieder schlechter ab. „Zielgruppen-Prostitutionwarf 4Players dem Spiel in deutlichen Worten vor und stellte fest, dass das alte Rezept dem Genre mittlerweile nicht mehr angemessen sei. Vor zwei Tagen startet Tomb Raider im Jahr 2013 neu – mal wieder.

Während die Therapiesitzung zur Lara-Krise in die nächste Runde geht, bietet es sich an zurückzuschauen. Warum ein Neu-Neubeginn der Serie, wenn man auch den Klassiker haben könnte? Tomb Raider II, erschienen Anno 1997, gilt vielen Fans als der absolut beste Ableger, enthielt er nicht nur die Rätsel, die das Markenzeichen der Serie sind, sondern auch freiere Levels mit Fahrzeugen – technisch und spielerisch revolutionär. Inhaltlich war Core Design mit der weiblichen Interpretation eines Indiana Jones brandaktuell – Glückliche Zeiten damals. Und heute?

Geschichte und Hintergrund

Die dem Spiel zugrunde liegende Geschichte ist fix abgehakt: Ein chinesischer Herrscher nutzt den Dolch von Xian, um sich in einen Drachen zu verwandeln. Nach seinem erzwungenen Ableben wird das Artefakt versteckt und harrt in der Neuzeit seiner Entdeckung. Neben einer charmanten Abenteuer-Archäologin möchte sich das gute Stück aber auch ein Mafia-Boss unter den Nagel reißen. Erzählt wird das in rudimentär animierten Zwischensequenzen, die zumeist ohne Sprecher auskommen – eine erkennbare Narrative besitzt das Spiel nicht; Die Level wurden mehr aneinandergereiht als dass sie miteinander verknüpft wurden. Dabei erzählt sogar das Handbuch, dessen Lektüre allein aufgrund der deutlich vollständigeren Tastenbelegung lohnt, mehr über die Hintergrundgeschichte als das Spiel selbst.

Tomb Raider 2 (1997) – Ingame-Zwischensequenz
Tomb Raider 2 (1997) – Ingame-Zwischensequenz

Und dann gibt es den Hauptcharakter, der mindestens als Synonym für die gesamte Serie durchgeht. Denn Tomb Raider, das ist Indiana Jones für eine jugendlich-junge Zielgruppe: Betont weiblich mit großen Reizen – der Traum einer wilden Nacht. Tomb Raider aber nur auf Sex zu reduzieren, wäre billig. Es vereinfacht trotz allem zu stark, wenn Lara Croft als feucht-fröhlichen, damit zielgruppengerechten Traum des klischeehaften, männlichen „Nerds“ charakterisiert wird. Falsch wird diese Sichtweise dennoch nicht, was vor allem anhand der zahlreichen Artworks überdeutlich wird, die Frau Croft in erotischen Pixel-Posen auf ihre Sexualität reduzieren. Zumindest zur Hälfte, denn auf der anderen Seite steht Frau Croft in gewissem Sinne trotz oder – je nachdem, wo nachgefragt wird – gerade wegen ihres knappen Kleides geradezu sinnbildlich für Emanzipation: Der weibliche Held in Videospielen, die taffe Archäologin, die bildlich Männderdomänen plündert. Lara Croft nimmt so eine doppelte Vorreiterrolle ein, oszillierend zwischen den Polen Sexobjekt und Emanzipation.

Tomb Raider 2 (1997) – Kletter-Kamera
Tomb Raider 2 (1997) – Kletter-Kamera

Das daraus resultierende Spannungsverhältnis wird allerdings spätestens beim Erklimmen einer Leiter einseitig aufgelöst. Erst die Endsequenz bricht diese Perspektive quasi ironisch: Nach einem Spiel voller Gestöhne im Niemandsland zwischen Erotik-Schinken und körperlicher Anstrengung erklärt die im Vergleich mit übrigen Spiel erstaunlich polygonreiche Dame zumindest in der englischen Version beim Steigen in die Dusche, man habe nun genug gesehen – und schießt in den Bildschirm. Nach Hotpants mit Winterjacke im verschneiten Tibet, dem ebenso knappen Outfit in den kalten Tiefen des Meeres, der stets „richtigen“ Kameraperspektive: am Ende lässt sich der passive Hauptcharakter doch nicht so ganz zum Objekt machen. Zumindest kann man das so sehen, was den Anspruch des Spiels ein wenig aus dem Sabber-Sumpf zieht. Übrig bleibt davon heute grundsätzlich nichts, denn jegliches Eros ist zusammen mit der Grafik längst vergangen. Das lässt immerhin genug Zeit, sich den spielerischen Vorzügen des Titels zu widmen.

Spielablauf und Technik

Denn mit Springen, Rätseln und Schießen hat Tomb Raider 2 auch heute eigentlich noch alle Zutaten für gute Unterhaltung. Nicht einmal die Grafik, die mit geringer Sichtweite und gröbsten Texturen kaum zeitgemäß ist, stört angesichts des klassischen Ringmenüs mit Nostalgie-Faktor. Vielmehr wird die Tastatur-exklusive Steuerung ohne Mausunterstützung zum Todesurteil: Gefühlt kann die Spielfigur nur in 45-Grad-Schritten ausgerichtet werden, wobei sie sich etwa so flink bewegt wie ein Lastkraftwagen. Entsprechend sind auch Kurven keine Freude, weshalb Frau Croft häufig an Ecken oder Kanten hängen bleibt, von den Kämpfen ganz zu schweigen – hakelig, zäh und damit unzeitgemäß. Das geht besonders am Anfang des Spiels auf die Nerven, nach mehreren Stunden lässt sich kaum mehr als mit dem Umstand auskommen.

Tomb Raider 2 (1997) – Kämpfe
Tomb Raider 2 (1997) – Kämpfe

Die KI der Gegner beeindruckt mit unberirrbarer Treffsicherheit und stürmt, sofern sie einen Weg findet, geradewegs auf den Spieler zu, vermutlich weil Berührungen Schaden verursachen. Auch die Kameraführung gereicht dem Spiel nicht immer zur Ehre, sodass gelegentliche Fehltritte und -sprünge zum Alltag der Archäologin gehören. Häufige Tode gehören somit zum Alltag einer Entdeckerin, gerade wenn in den bewegungs-, speziell jedoch sprunglastigen Kämpfen häufig die Perspektive wechselt.

Dass Frau Croft zudem relativ zentral vor zu drückenden Schaltern und Gegenständen stehen muss, setzt dem Ganzen aufgrund der fummeligen Ausrichtung die Steuerungskrone auf. Ergo vermittelt Tomb Raider nicht das Gefühl, eine junge Archäologin dynamisch-beherzt durch Abenteuer zu hetzen, sondern eher Tine Wittler durch eine Bauruine von RTL zu rollen. Dazu passt das nach heutigen Maßstäben eingeschränkte Bewegungsrepertoire, welches hauptsächlich aus Springen besteht. Mit zwei Sprungarten gilt es, wechselnd lange Abgründe zu überqueren, gelegentlich darf sich an Kanten, aber nicht um Ecken, gehangelt werden, wobei Fallen und verschiebbare Kisten etwas Salz in die Suppe fügen. Fade schmeckt die jedoch recht schnell, zumal so weiter Luft aus der Inszenierung weicht, speziell weil sich im Genre schon vor rund zehn Jahren weitaus leichtfüßiger durch Levels geschlängelt wurde.

Tomb Raider 2 (1997)
Tomb Raider 2 (1997)

Schauplätze samt den Kleidern der Hauptdarstellerin sind durchaus abwechslungsreich, führen sie doch von China über Venedig hin zu einer Bohrstation, der Tiefsee und Tibet. Zum Verhängnis wird letztlich die fehlende Atmosphäre in Verbindung mit dem unlogischen Leveldesign selbst: In Wasser versteckte Elektronikplatinen (!), hinter Kisten versteckte Schalterräume, eine Flugzeugluke, die irgendwo an einem Dock geöffnet wird: das ergibt wenig Sinn. Gleiches gilt auch für die Anordnung mancher Plattformen, die eingebaut wurden, schlicht um erreichbar zu sein. Der Zweck: Rätseln und Raten, wobei vor allem das Raten häufig genug in Frustmomenten endet. Dabei macht das Kernkonzept immer noch Sinn: Der Mix aus Adventure-Elementen mit Jump'n'Run-Einlagen plus einem kleineren Action-Part kann durchaus motivieren. Trotzdem wiederholt Core Design stets Schema „F“, denn Rätseln meint das Auffinden diverser Schlüssel und Schalter sowie das Erspähen des nächsten Wegzieles unter behäbigen, aber präzise ausgeführten Sprüngen.

Tomb Raider 2 (1997) – Ab in die Tiefe
Tomb Raider 2 (1997) – Ab in die Tiefe

Gerade letzteres erfordert mitunter das genaue und systematische Absuchen der Levels. Hinweise gibt es nicht immer, fair bleibt das Spiel deshalb nicht. Einen Gang mit einer Kiste zu blockieren, die quasi exakt so aussieht, wie die sie umgebenden Texturen: Wahnsinn aus der Designer-Hölle. Dass sich (manche) Fenster zerschießen lassen? Findet der Spieler schon selbst heraus. Oder auch nicht. Wie man aus Fahrzeugen aussteigt? Muss niemand wissen (Alt + Richtungstaste). Was das nächste Ziel in den teils offenen Levels sein soll, bleibt ebenfalls vage. Besagte Elektronikplatine dient als Schlüssel, Tipps zum Einsetzen behält das Spiel jedoch für sich, speziell weil eine Story fehlt, die Aufschluss über das nächste Ziel geben könnte. Warum was zu erledigen ist, darf man sich selbst ausdenken. Einfach, knackig-herausfordernd, fast-unmöglich – das Spiel erwischt die gesamte Bandbreite. Entsprechend schwankt der Schwierigkeitsgrad zwischen einfach und unfair, die Motivation zwischen „so lala“ und schwarzem Loch. Denn kleinere Erfolgsmomente werden schnell wieder zunichte gemacht. Besser sind lediglich die Sprungsequenzen, die teils millimetergenaue Arbeit erfordern, aber die richtige Balance zwischen Frust und Lust treffen. Dazu trägt das Speichersystem ernom bei, welches dank der Hotykeys („F5“, „F6“) das schnelle Sichern von Spielständen jederzeit und ohne Einschränkung ermöglicht.

Tomb Raider 2 (1997) – Sprungsequenz
Tomb Raider 2 (1997) – Sprungsequenz

Die technische Basis des Spiels gibt sich erstaunlich solide. Bei der Installation von CD mag zwar der Autostart streiken, das Ausführen der „Setup.exe“ schafft jedoch Abhilfe. Mit dem „Tomb Raider Multipatch“ kann anschließend die uneingeschränkte Kompatibilität zu moderner Hardware sichergestellt werden. Mit Widescreen-Auflösungen kommt die betagte Technik auch ohne Fixes zurecht, zumindest solange das Seitenverhältnis 16:9 beträgt und das Spiel im Fenstermodus belassen wird. Für den kleinen Schritt in den Vollbildmodus gibt es dennoch eine Lösung.

Fazit

Von jeglichem Charme, den die Pixelbraut im Jahr 1997 gehabt hat, ist im Jahr 2013 kaum etwas übrig geblieben. Prinzipiell kann „Mann“ Tomb Raider zwar auch heute noch spielen, rein akademisch zumindest. Abseits der robusten Technik wird das aber kaum jemand wollen: Weil die Hintergrundgeschichte eigentlich keine Rolle spielt und die hakelige Steuerung sowie das eingeschränkte Bewegungsrepertoire zusammen mit den teils nicht nachvollziehbaren Rätseln nach einem Gnadenschuss schreien, gibt es kaum Gründe, Tomb Raider 2 aus der Kiste zu kramen.

Für ein Spiel, das immer auch auf die weiblichen Reize als Verkaufsargument gesetzt hat, sind mittlerweile grobpixelige Digitalfalten abseits der eher eindeutigen Konnotationen im #Aufschrei-Zeitalter ohnehin der Todesstoß – besser begraben lassen. Allenfalls für Hardcore-Fans der Serie, die auch mit „Angel of Darkness“ zufrieden waren, dürfte sich das Vergnügen für die netten Erinnerungen noch lohnen – ansonsten hat das Genre spätestens seit „Prince of Persia: The Sands of Time“ zwar weniger Busen, dafür aber mehr Spaß an den richtigen Stellen zu bieten.

Tomb Raider 2 (1997)
Schnellcheck Tomb Raider 2
Getestete Version 1.0.15
Altersfreigabe ab 16 Jahre
Empfohlene Systemanforderungen Pentium I (90 MHz), 16 MB RAM,
SVGA-Grafikkarte,
2 MB HDD
Widescreen 16:10/Fullscreen-Fix
Mods
Kompatibilität bis Windows 8
Probleme Installation direkt über „Setup.exe“, Sound
Empfehlung Nein

In dieser Serie bereits erschienen:

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