Das Leistungsschutzrecht: Ein Boulevard der Broken Dreams
4/5Die Welle bricht
Die Netz-Avantgarde hadert derweil, trotz eklatanter Mängel konnte sie das äußerst umstrittene Vorhaben nicht verhindern. Viele der Netzaktivisten empfinden das als Schmach, ein Einschnitt wird deutlich. Von der Euphorie rund um die ACTA-Proteste ist nicht viel geblieben, stattdessen heißt es Wunden lecken. Sascha Lobo spricht etwa vom „Versagen der Netzgemeinde“, die Netzaktivisten verrannten sich in einen twitteresken Teufelskreis, weil die Standardstrategie für öffentliche Aufmerksamkeit nicht aufging: „So lange herumzukreischen, bis die Erwachsenen-Medien anfangen mitzumischen.“
Die oftmals einseitige Berichterstattung der klassischen Medien bewirkte vielmehr das Gegenteil, ebenso der Schulterschluss mit Google. Allerdings gleicht die häufig attestierte Nähe der Netzaktivisten zu Google einer Momentaufnahme, angesichts fragwürdiger Kampagnen wie „Verteidige dein Netz“ lautet das Motto: „Das Leistungsschutzrecht ist doof, Google aber auch.“
Wie rau der Ton zwischen den Netzaktivisten und Google eigentlich ist, offenbart der kürzlich verliehene Big-Brother-Award in der Kategorie „Globales Datensammeln“. Die Jury macht in der Begründung keine Gefangenen: Google sei keine harmlose Suchmaschine, sondern der weltweit größte Datensammler, der die Daten missbraucht, um die weltweit größte Werbeagentur zu betreiben. Solche Datenkraken wären kein freundlicher Türsteher und erst recht kein Vorkämpfer für Internetfreiheit. Stattdessen skandiert die Jury:
Google zerschlagen!
Von dem einst guten Ruf ist nicht mehr viel übrig. „Don't be evil“ – eine Reminiszenz an alte Zeiten.
Ohnehin entfernt sich Google zunehmend von der Rolle des Informationsvermittlers und tritt vermehrt als Inhalte-Anbieter auf. Erst vor kurzem erfolgte etwa die Ankündigung, bei der Suche nach Sportveranstaltungen direkt eine Infobox mit Ergebnissen anzuzeigen; vorerst ist das Feature aber auf die USA beschränkt.
Dennoch verdeutlicht es, wie zwiespältig der Streit um das Leistungsschutzrecht im Kern ist. Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Sollte Google nach dem Vorbild der Sport-Infobox bei Google News eigene Inhalte anbieten, etwa durch eingekaufte Meldungen von Nachrichtenagenturen, erhalten suchende Nutzer schnell die gewünschten Ergebnisse. Gut für die Nutzer, schlecht für die übrigen News-Portale. Die verlieren Leser, Werbeeinnahmen sinken, das Geschäft bröckelt. Auf Google verzichten können die News-Portale aber auch nicht, denn ob mit oder ohne Leistungsschutzrecht: Wer nicht bei Google auftaucht, findet im Web praktisch nicht statt. Mit einem Marktanteil von hierzulande über 90 Prozent ist Google die dominierende Suchmaschine, die den Verlagen im Schnitt 30 bis 50 Prozent ihrer Webseiten-Besucher beschert.
Das alles kann den Nutzern vorerst egal sein, allerdings hat die Vergangenheit gezeigt, dass viele langfristig wenig Freude an IT-Monopolen haben – Stichwort: „Microsoft“. Und vor allem hier zeigt sich die groteske Wirkung des Leistungsschutzrechtes, denn das stellt vor allem für die kleineren Internetdienste eine ernsthafte finanzielle Bedrohung dar, bedingt durch drohende Abmahnungen wegen der Rechtsunsicherheit. Google kann hingegen ohne mit der Wimper zu zucken längere Prozesse ausfechten. Ergebnis: Ein als „Google-Steuer“ geplantes Gesetz schwächt vor allem die ohnehin kaum vorhandene Konkurrenz.
Verschärft werden die Probleme mit dem Leistungsschutzrecht durch den Trend der digitalen Riesen wie Apple, Microsoft oder eben Google, ihre Nutzerplattformen in geschlossene Systeme umzuwandeln. Beispielhaft steht dafür das kürzlich vorgestellte Facebook Home. Das soziale Netzwerk wird auf dem Smartphone zur ersten Anlaufstelle, die im Newsfeed angezeigten Nachrichten werden auf die jeweiligen Vorlieben der Nutzer ausgerichtet und die Diskussion darüber verlagert sich ebenso in das Netzwerk. Nach der Argumentation der Verlage profitiert Facebook auf ihre Kosten, allerdings müssen zunächst Gerichte klären, inwieweit hier das Leistungsschutzrecht überhaupt greift. Dennoch ist die Entwicklung für die Verlage interessant, mittels kostenpflichtiger Apps könnten sie durch die geschlossenen Plattformen wieder ihr klassisches Geschäftsmodell etablieren, bei dem der Leser für ihre Artikel direkt zahlen muss. Die Verlage und die digitalen Riesen wie Google, das muss kein Streit von Dauer sein.
Bei all dem zeigen sich die Netzaktivisten wenig begeistert, Hoffnungen von einem freien Internet passen nicht zu den durchregulierten Web-Plattformen. Doch das Internet erreicht eine neue Phase, in der es „nicht mehr nur um Freiraum, sondern auch Regulierung geht“, erklärte jüngst Ralf Fücks, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung. Um den etablierten Parteien und den globalen IT-Konzernen Paroli zu bieten, ist jedoch eine konkrete politische Alternative vonnöten, ein positives Leitbild für die Ideale der Netzaktivisten. Angesichts dieser Aufgabe wirken sie derzeit aber ziemlich ratlos.
„Ich habe vergessen, wo vorn ist“, bloggte Michael Seemann. Erfolg hatte man als Anti-Bewegung, die auf kurzfristige Hypes aufspringt, doch mittlerweile stranden die Aufrufe in einem politischen „Klicktivismus“, sofern sie die breite Masse der Nutzer überhaupt noch erreichen, die sich lieber in den verschmähten sozialen Netzwerken tummelt. So scheint die Netz-Avantgarde an einem Punkt angelangt, den Hunter S. Thompson schon 1971 der zerfallenden Hippiebewegung in „Fear & Loathing in Las Vegas“ attestierte.
Wir hatten den Moment auf unserer Seite; wir ritten auf dem Kamm einer hohen und wunderschönen Welle. (...) Und jetzt, wenn man die richtigen Augen hat, kann man die Hochwassermarke sehen – den Ort, wo sich die Welle schließlich brach und zurückrollte.
Fear & Loathing in Las Vegas
Von all dem wird die Mehrheit der Nutzer vorerst wenig bemerken, sie ist lediglich indirekt vom Leistungsschutzrecht betroffen, wenn ein von ihr favorisierter News-Verteiler oder Blog seinen Dienst einschränken muss. Die Leidtragenden sind ohnehin die kleineren Internetdienste im Suchbereich, denn Google wird angesichts eines dermaßen lückenhaften Gesetzes sicherlich nicht klein beigeben, sondern bis zum Bundesgerichtshof gehen – so droht über Jahre hinweg eine unsichere Rechtslage.
Bei dieser Aussicht wird offensichtlich: Selbst unabhängig von der Frage, ob den Verlagen ein eigenes Schutzrecht zusteht, ist dieses Gesetz aufgrund der katastrophalen Mängel ein politischer und juristischer Alptraum, der in dieser Form niemals den Bundestag hätte passieren dürfen. Die Bundesregierung ist kläglich gescheitert, aus den widersprüchlichen Interessen der Betroffenen einen Kompromiss mit eindeutigem Inhalt zu formen. Statt politische Verantwortung zu übernehmen, schiebt man diese an Gerichte ab, denen nun die undankbare Aufgabe zufällt, diesem Gesetz eine inhaltliche Richtung zu geben.
So steht das Leistungsschutzrecht sinnbildlich für die deutsche Netzpolitik. Unbedarftes Handeln der Politik führt zu einem unausgegorenen Gesetz, mit dem sich danach Richter herumschlagen dürfen. Jüngste Beispiele dafür sind die umstrittene Neuregelung bei der Auskunftspflicht von Bestandsdaten oder die rechtlich verbindliche Einführung der De-Mail. Sind solche Gesetze weiterhin der Maßstab deutscher Netzpolitik, bleibt digitale Zukunft hierzulande eine kühne Fantasie von Freidenkern, während die Regeln de facto von IT-Riesen wie Google bestimmt werden.