Das Leistungsschutzrecht: Ein Boulevard der Broken Dreams

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Andreas Frischholz
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Interview

Telemedicus-Mitbegründer Adrian Schneider befasst sich als Jurist vor allem mit Internet- und IT-Recht. Gegenüber ComputerBase stellt er seine Sicht der Dinge in der Diskussion um das Leistungsschutzrecht dar.

ComputerBase: Welche Auswirkungen hat das Leistungsschutzrecht auf Suchmaschinenanbieter wie Google?

Adrian Schneider: Ob Google in seiner jetzigen Form überhaupt vom Leistungsschutzrecht erfasst ist, ist alles andere als sicher. Der Gesetzgeber hat sich da ausgesprochen nebulös ausgedrückt. Denn die Vorschaubilder-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auf die sich die Gesetzesbegründung bezieht, ist tendenziell sehr Google-freundlich.

ComputerBase: Unklar ist auch, wie es um soziale Netzwerke bestellt ist. Sollte Facebook unter das Leistungsschutzrecht fallen, wäre dann Facebook als Betreiber, die Nutzer, die Inhalte teilen, oder beide lizenzpflichtig?

Adrian Schneider: Die Fragen kann man alle gleich beantworten: niemand weiß es. Der Gesetzgeber hat gesagt, die Frage, ob soziale Netzwerke erfasst sind oder nicht, hätten die Gerichte zu klären. Allein das halte ich für einen mittleren Skandal. Die Gerichte sollen den Willen des Gesetzgebers in Streitfragen ermitteln und nicht ersetzen.

Jedenfalls lässt sich zu sozialen Netzwerken schlicht rein gar nichts beantworten. Sollte es da zu Streitfällen kommen, wird es wahrscheinlich so laufen, dass die Gerichte mal für die eine, mal für die andere Seite entscheiden und die Frage mit etwas Glück am Ende beim Bundesgerichtshof landet, der eine dieser Ansichten für richtig erklärt.

Sie merken, ich bin da ein bisschen frustriert. Für Juristen gibt es nichts Schlimmeres als einen Gesetzgeber, der einem ein schlecht gemachtes Gesetz vor die Füße schmeißt und auf Nachfrage erklärt, dass ihm die Details egal sind.

ComputerBase: Hätte ein präziser auf Suchmaschinen und Aggregatoren ausgerichtetes Gesetz viele der juristischen Ungereimtheiten vermeiden können?

Adrian Schneider: Das ist ja nur eine Baustelle. Daneben hätte der Gesetzgeber auch präzise definieren müssen, welche genaue Nutzung eigentlich erfasst sein soll: Sind Snippets nun unzulässig oder nicht? Und wenn nein, was dann?

Ich denke, die ursprüngliche Idee des Gesetzes war es, dass Google – und nur Google – Lizenzgebühren an die Verlage zahlt. Denn Google ist das Unternehmen, bei dem etwas zu holen ist. Wäre das Leistungsschutzrecht aber nur auf Google bezogen, wäre es ein unzulässiges Einzelfallgesetz, deshalb musste man es abstrakt fassen und auf andere Dienste ausweiten. Schon hier wurde dann schlampig gearbeitet, wie ja auch die Diskussion beim ersten Entwurf gezeigt hat, als es um die Frage ging, ob Blogs erfasst sind oder nicht.

Als das Gesetz dann in die Umsetzung ging, kam ein derartiger Gegenwind, dass man an allen Ecken und Enden Kompromisse, Einschränkungen und Änderungen vornehmen musste – sodass am Ende ein Gesetz dabei herumkam, das wirklich niemand jemals gewollt hat. Und mir persönlich drängt sich auch der Eindruck auf, dass auf Referentenebene – also dort, wo das Gesetz letztlich formuliert wurde – niemand so richtig wusste, was er tat und welche Änderung welche Auswirkung nach sich ziehen würde.

ComputerBase: Eine oftmals diskutierte Folge ist, dass Google die Web-Angebote der Verlage aus dem Index wirft, anstatt Lizenzgebühren zu bezahlen. Ihr Kollege Fritz Pieper argumentiert allerdings auf Telemedicus, Google könnte aus kartellrechtlichen Erwägungen von Gerichten gezwungen werden, sich mit den Verlagen zu einigen.

Adrian Schneider: Das kann man durchaus so sehen. Der Kollege Fritz Pieper hat das ja sehr ausführlich und nachvollziehbar begründet und steht mit dieser Ansicht auch nicht alleine da. Trotzdem bin ich da etwas skeptisch. Ich glaube nicht, dass man allein auf kartellrechtlicher Basis einen Kontrahierungszwang zu Lasten von Google erreichen könnte. Das Leistungsschutzrecht sieht ja gerade ein Verbotsrecht und keinen Teilhabeanspruch vor. Google soll also gerade nicht zahlen, sondern die Nutzung unterlassen. Dabei kennt das Urheberrecht solche Teilhabeansprüche ja durchaus (Anm.: z.B. § 54 UrhG). Der Gesetzgeber hat sich aber bewusst dagegen entschieden und ein Verbot ausgesprochen.

Würde man Google also nun zu Lizenzzahlungen zwingen, würde man Google in die Illegalität treiben. Denn Google würde kartellrechtlich gezwungen, Verlagswerke zu nutzen, obwohl es urheberrechtlich untersagt ist.

Das kann man aber durchaus anders sehen und einige Argumente des Kollegen Pieper sind nicht von der Hand zu weisen. Auch hier besteht also enormes Streitpotenzial.

ComputerBase: Erklären sich die ganzen Widersprüche, wenn man die ursprünglichen Pläne der Verlage aus dem Jahr 2009 als Maßstab für das Gesetz ansetzt?

Adrian Schneider: Also diese ganz frühe Forderung, die auch gewerblich genutzte PCs erfassen sollte, wäre eigentlich noch mal ein ganz anderes Gesetz. Und in einen Gesetzesentwurf hat es diese Forderung ja nie geschafft.

ComputerBase: Die zahlreichen rechtlichen Unklarheiten scheinen die Verlegerverbände nicht weiter zu stören, diese sind zufrieden mit dem derzeitigen Gesetz. Eine spekulative Erklärung dafür: Das Leistungsschutzrecht dient den Verlagen lediglich als gesetzlicher Rahmen, um ihre Forderung nach einer maschinenlesbaren Rechtesprache wie ACAP durchzusetzen. Ist diese Theorie plausibel oder Ihrer Ansicht nach juristischer Humbug?

Adrian Schneider: Juristischer Humbug ist das auf keinen Fall. Das ist durchaus denkbar. Ich würde die Durchsetzung von ACAP aber nicht als Plan A, sondern eher als Plan B sehen. Primärziel ist – woraus Verlagsvertreter ja auch keinen Hehl machen – die Zahlung von Lizenzgebühren. Falls das nicht funktioniert, hat man den Kompromiss ACAP noch als Joker in der Tasche. Allerdings: Ich frage mich, was die Verlage mit ACAP gewonnen hätten. Es gibt nicht viel, was ACAP kann und was nicht heute schon möglich wäre.

Hinzu kommt: Durch das Leistungsschutzrecht wurde sehr viel Porzellan zerschlagen. Eine Einigung auf einen erweiterten Robots-Exclusion-Standard hätte man wahrscheinlich einfacher haben können.

Aber hier gilt umso mehr, dass eine maschinenlesbare Rechteeinräumung simpel und praxisnah hätte sein müssen. Schließlich hätte man sie nicht nur in Blogs, Webseiten & Co. integrieren müssen, sondern auch auf der anderen Seite in sämtlichen Browsern. Je komplexer der technische Standard, desto länger hätte das gedauert und desto mehr Probleme hätte es verursacht.

ComputerBase: Wo liegen die Probleme bei ACAP?

Adrian Schneider: ACAP ist ein ausgesprochen komplexer und komplizierter Standard, der in der Praxis wahrscheinlich nicht durchsetzbar ist. ACAP ist letztlich nichts anderes als eine technisch sehr unelegante Erweiterung des robots.txt-Standards. Für Suchmaschinen wäre die Umsetzung aufwändig aber machbar. Das viel größere Problem liegt auf Anwenderseite.

Jede Webseite, die den Einsatz von Snippets zweifelsfrei und rechtssicher erlauben möchte, muss dies explizit maschinenlesbar mitteilen. Wir sprechen hier von potenziell vielen Millionen Seiten mit unterschiedlichstem technischen Hintergrund. Eine technische Lösung muss also für Content-Management-Systeme mit Millionen Installationen ebenso praktikabel sein wie für eine kleine Privatwebseite mit zehn Benutzern am Tag.

Dafür ist ACAP schlicht überdimensioniert. Allein die Umsetzung für alle Content-Management-Systeme kann Jahre dauern – zumal das Leistungsschutzrecht eine rein deutsche Lösung ist und kein internationaler Bedarf besteht.

ACAP wäre also zu einer technischen Lösung fähig, ist für den flächendeckenden Einsatz aber bei Weitem zu kompliziert. Benötigt wird ein Schraubenzieher, ACAP ist eine Schraubenzieherfabrik. Dass Google sich ohne Gegenwehr einen technischen Standard vorschreiben lässt, halte ich für unwahrscheinlich. Dafür hat Google in der Vergangenheit zu oft bewiesen, dass das Unternehmen den Weg zum Bundesgerichtshof nicht scheut. Und viel unsicherer könnte die Rechtslage wohl kaum sein – Spielraum besteht also.

ComputerBase: Was wäre, wenn Gerichte Google zu einem Kompromiss zwingen?

Adrian Schneider: Das ist sehr schwer abzusehen. Bis es zu einer Situation käme, in der man in Verhandlungen über einen Kompromiss treten könnte, müssten sehr viele, sehr lange Gerichtsverfahren durchlaufen werden. Allein die Frage, ob Snippets nun erfasst sind oder nicht, ist ja schon streitig. Schon das müsste erst gerichtlich festgestellt werden. Bis dahin können Jahre vergehen. Erst anschließend würde ein Kartellverfahren Sinn machen, das dann wiederum Jahre dauern kann, bis es endgültig abgeschlossen ist. Wie gesagt, es gibt ja durchaus Argumente für beide Seiten. Niemand kann abschätzen, was bis dahin passiert.

Sollte es zu einem Kompromiss kommen, könnte ich mir vorstellen, dass Google einen eigenen Standard entwickelt und als Gegenvorschlag in den Raum stellt. Auch ein finanzieller Kompromiss wie in Frankreich ist nicht ausgeschlossen. Aber all das ist Spekulation.

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