Kommentar: Es lebe „Stock-Android“!
Für den sogenannten Standard-Anwender hat sich die Frage höchstwahrscheinlich nie gestellt, doch die sich selbst als technisch versiert bezeichnende Kundschaft hat gefühlt Jahrzehnte lang auf aktuelle Smartphones mit unverändertem Android („Stock“) gewartet. Auch ich zähle mich zu dieser Personengruppe.
Spätestens mit der heutigen Vorstellung des HTC One mit „Nexus User Experience“, eigentlich aber schon zur Google I/O 2013 und der Präsentation der Google-Edition des Samsung Galaxy S4 wird beziehungsweise wurde klar, dass die Hersteller eingesehen haben, dass die hauseigenen Oberflächen nicht unbedingt jedermanns Geschmack sind. Wieder eingesehen muss man allerdings sagen, denn bereits in der Vergangenheit, man nehme als Beispiel das Motorola Droid aus dem Jahr 2009, wurden Geräte mit einer unveränderten Version von Android ausgeliefert. Vier Jahre später scheint sich dieser Trend zu wiederholen und zumindest Samsung und HTC verzichten auf TouchWiz und Sense. Allerdings nicht komplett, denn aktuell ist geplant, beide Geräte ab dem 26. Juni exklusiv über Google Play und nach derzeitigem Kenntnisstand nur in den USA zu vertreiben. Google übernimmt also die Rolle des Anbieters, Samsung und HTC rücken in den Hintergrund.
Betrachtet man die US-amerikanischen Webseiten des jeweiligen Herstellers, dann lassen sich die Google-Editionen nur sehr mühselig finden, offizieller Teil des Smartphone-Sortiments scheinen beide Geräte nicht zu sein. Das ist auch nicht verwunderlich, denn sowohl Samsung als auch HTC haben über Jahre hinweg mühevolle Überzeugungsarbeit geleistet, um den Kunden TouchWiz und Sense schmackhaft zu machen. Zumindest Samsung gelang dies auch, wenn die enorme Marktdominanz und die hohen Absatzzahlen als Indikator gewertet werden. HTC und Samsung haben vor allem mit dem One und dem Galaxy S4 voll auf das Pferd Sense 5.0 respektive TouchWiz gesetzt und die eigenen Oberflächen in den Fokus der weltweiten Ankündigungen gerückt.
Warum also der plötzliche Sinneswandel? Eine definitive Antwort kann nicht gegeben werden, doch lässt sich zumindest vermuten, dass das Echo der Kundschaft und auch der Tenor in der Presse für ein Umdenken gesorgt haben, wenn auch nicht für ein grundsätzliches. Auf lange Sicht gesehen kann das andauernde Beschweren über ausstehende, verschobene oder sogar gestrichene Updates nicht spurlos an den Smartphone-Herstellern vorbeigegangen sein. Auch diese haben bemerkt, dass schnelle Updates für Kundenzufriedenheit sorgen. Hinzu kommt, dass sich so ein weiterer Vertriebsweg öffnet, der ansonsten womöglich auf der Strecke blieb, sprich es werden potenziell mehr Kunden angelockt und somit mehr Geräte abgesetzt. Über Google Play haben sich die Hersteller diesen Weg geschaffen und können so gleichzeitig der Kannibalisierung im eigenen Lager ausweichen.
Spannender ist allerdings, wieso Google plötzlich diese Geräte anbietet und dabei sogar auf Markenzeichen der aktuellen Nexus-Generation, wie etwa die On-Screen-Tasten, verzichtet. Dabei muss allerdings festgehalten werden, dass Google weder das HTC One noch das Samsung Galaxy S4 als Nexus bezeichnet. Beide Geräte bieten lediglich eine „Nexus User Experience“, was für ein unverändertes Android sowie sofortige Updates steht. Auch für Google wurde es zum Muss, aktuelle Smartphones mit einem aktuellen Betriebssystem anzubieten. Zu oft hatte Apple mit dem raschen Umstieg der Kunden auf eine neue Version von iOS geworben und so weiter Salz in die Wunde gestreut. Wenn eine Sache jahrelanger Kritikpunkt von Android war und ist, dann ist es die Fragmentierung der verschiedenen Versionen. Fast ein Jahr nach der Vorstellung von Jelly Bean sind aktuell immer noch nur etwa 28 Prozent aller Android-Geräte mit Version 4.1 oder 4.2 ausgestattet. Dieses Manko scheint nun endlich auch der Suchmaschinenriese erkannt zu haben.
Mit dem Samsung Galaxy S4 und auch dem HTC One pickt sich Google die bisherigen Smartphone-Highlights des Jahres raus und wirkt so aktiv der Fragmentierung entgegen. Doch was passiert mit der aktuellen Nexus-Serie, wird diese zukünftig womöglich eingestellt und durch bereits erhältliche Smartphones und Tablets ersetzt, die dann nur noch als Google-Edition auf den Markt kommen? Das wird nicht passieren, denn Google hat erst mit der aktuellen Nexus-Generation ein komplettes Portfolio aus Smartphone und zwei Tablets geschaffen und sich damit als Hardware-Hersteller manifestiert, wenngleich die Geräte nicht direkt von Google gefertigt werden. Dass Google an dem Namen Nexus festhalten und auch weiterhin eigene Produkte auf den Markt bringen wird, hat Android-Chef Sundar Pichai im Rahmen der von AllThingsD veranstalteten D11 bekräftigt.
Auch die Hersteller werden zukünftig nicht auf ihre Oberflächen verzichten, haben sich die meisten Kunden doch bereits an diese gewöhnt und empfinden diese auch – so wird gemunkelt – als ansprechend gelöst. In jedem Fall hat der Kunde aber gewonnen, denn dieser muss sich fortan nicht mehr zwischen einem High-End-Smartphone mit verschandelter Oberfläche und späten Updates oder einem im Vergleich schwächer ausgestatteten Nexus-Smartphone mit Standard-Android und schnellen Updates entscheiden. Bleibt nur zu hoffen, dass die Geräte auch in Deutschland angeboten werden und dass das Vergnügen nicht erneut nur ein kurzweiliges ist. In diesem Sinne: Es lebe Stock-Android!
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