Kritik am Debian-Release-Modell
Linux-Urgestein und Debian-Entwickler Lars Wirzenius hat zusammen mit Russ Albary auf der Debian-Developer-Mailingliste Kritik an Debians Art, Veröffentlichungen vorzubereiten, geübt. Das Thema taucht seit Jahren gleich nach einem Debian-Release immer wieder auf, um dann genauso schnell wieder in der Versenkung zu verschwinden.
Die Software, die in einem Debian-Release wie dem von Wheezy vor zwei Wochen enthalten ist, ist, um es positiv auszudrücken, relativ gut abgehangen. Firefox 10 oder KDE 4.8 reißt keinen Desktop-Nutzer mehr vom Stuhl, vor allem, da es offiziell neuere Pakete erst in rund zwei Jahren mit der Veröffentlichung von Debian 8 „Jessie“ geben wird. Natürlich gibt es Backports und weitere Möglichkeiten, aktuellere Software zu erhalten, aber selbst dann wirkt Debian relativ altbacken im Vergleich mit anderen Distributionen oder den inoffiziellen Ablegern von Debian selbst.
Das liegt historisch gesehen an der Ausrichtung von Debian als Server-Betriebssystem. Erst mit der weiteren Verbreitung von Desktop-Umgebungen wie Gnome, KDE und anderen und der leichteren Installierbarkeit der einzelnen Distributionen nahm die Zahl der Nutzer zu, die Debian als tägliche Arbeitsplattform nutzen. Der Release-Prozess wird aber den heutigen Anforderungen an ein modernes Linux bisher nicht gerecht.
Hier setzen Wirzenius und Albary ihre Kritik an. Der „Freeze“, also das Einfrieren von großen Teilen des Archivs, dauerte für die Veröffentlichung von „Wheezy“ zehn Monate bei einem Release-Zeitraum von insgesamt 27 Monaten. In dieser Zeit werden hauptsächlich Release-kritische Fehler beseitigt. Ausnahmen müssen über das Release-Team mit einer akzeptablen Begründung versehen, beantragt werden. Darüber hinaus passiert an direkter Entwicklung wenig. Der Testing-Zweig, der beim Release zum neuen Stable-Zweig und somit im jetzigen Fall zu „Wheezy“ wird, ist stillgelegt, der darunter liegende Unstable-Zweig stark beeinträchtigt, da er in dieser Zeit kaum neuen Zufluss erhält. Aus dem Unstable-Zweig bedienen sich aber eine Menge an fortgeschrittenen Nutzern sowie einige Distributionen mit aktuellen Paketen. Somit ist auch für diese während des „Freeze“ die Entwicklung teilweise lahmgelegt. Wer nicht mit dem direkten Release der nächsten Version zu tun hat, hat in dieser Zeit wenig Chancen und somit auch wenig Motivation, neue Software nach Debian hochzuladen.
Wirzenius hält einen „Freeze“ von zwei bis maximal acht Wochen für erstrebenswert und machbar. Das Hauptkriterium dafür wäre ein zu jedem Zeitpunkt kurzfristig zur Veröffentlichung bereiter Testing-Zweig. Dies könne durch eine Umstellung der Arbeitsweise erreicht werden, indem die Entwickler der einzelnen Teilprojekte dafür Sorge tragen, dass der Master-Branch der Versionsverwaltung, in Debians Fall Git, immer aktuell und bereit zur Veröffentlichung ist. Kontinuierliches Aktualisieren von Master kombiniert mit Werkzeugen zum automatisierten Testen seien hier zielführend. Wenn dabei ein gravierender Fehler in Master landet, sei das laut Wirzenius nicht tragisch, wenn dieser sofort höchste Priorität erhält. Damit einher müsse allerdings auch ein Umdenken erfolgen, dass ein Release von Debian im verkürzten „Freeze“ für alle Debian-Entwickler zur obersten Priorität macht.
An den Beitrag schloss sich schnell eine lebendige Diskussion an, die mehrheitlich die Vorschläge von Wirzenius gutheißt. Ob diese, falls sie nicht in der Versenkung verschwinden, für „Jessie“ in rund zwei Jahren bereits zum Tragen kommen könnten, ist fraglich. Bereits vor fast fünf Jahren hat ein ebenfalls sehr angesehener Debian-Entwickler sich des Themas engagiert angenommen. Joey Hess hält sein Modell bis jetzt am Leben, auch wenn davon noch nichts in den Entwicklungsprozess von Debian eingeflossen ist.