Bundesregierung will mehr Überwachung im Internet
Infolge der Enthüllungen über die NSA-Programme stehen europäische Geheimdienste im Verdacht, sich an den rigorosen Überwachungsaktivitäten beteiligt zu haben. Doch statt kritische Fragen zu beantworten, plant der Bundesnachrichtendienst (BND), über 100 Millionen Euro in die Ausweitung der Internetüberwachung zu investieren.
Die Summe soll verteilt über die kommenden fünf Jahre in ein „Technikaufwuchsprogramm“ fließen, mit dem die BND-Abteilung „Technische Aufklärung“ 100 neue Mitarbeiter erhalten soll. Zudem ist die Aufrüstung der Rechen- und Serverkapazitäten im großen Umfang geplant. Die erste Tranche über fünf Millionen Euro soll die Bundesregierung bereits freigegeben haben, berichtet der Spiegel.
Das Ziel dieser Investition ist, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst grenzübergreifende Kommunikation vollständig auf verdächtige Inhalte prüfen kann – die elektronische Kommunikation von inländischen Bürgern darf ohnehin nicht erfasst werden. Zugriff auf den Datenverkehr erhält der BND über zentrale Internet-Knotenpunkte wie in Frankfurt a.M., bei denen er eigene Räume unterhält. Dort filtert der BND offenbar den internationalen Datenverkehr mit über 15.000 Suchbegriffen aus Bereichen wie „Terrorismus“ nach verdächtigen Inhalten. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht das Ausmaß beschränkt, nur 20 Prozent des internationalen Datenverkehrs darf der BND überwachen.
Europäische Geheimdienste und die NSA
Generell gelten für den deutschen Auslandsgeheimdienst ähnliche Regeln wie für die NSA, die Kommunikation von inländischen Bürgern bleibt normalerweise von der Überwachung verschont. Allerdings zeigen die NSA-Enthüllungen, dass der Geheimdienst offenbar doch Zugriff auf Datensammlungen von US-Bürgern hatte. Zudem wurde im Zuge des Überwachungsskandals publik, dass der britische, der belgische und der niederländische Geheimdienst mit der NSA kooperiert haben und auf Prism-Datensätze zugreifen konnten. Laut einem Futurezone-Bericht soll auch der Österreichische Auslandsgeheimdienst, das Heeresnachrichtenamt (HNA), in „direkten Kontakt zu der NSA“ stehen. Allerdings ist nicht bekannt, ob das HNA auf Prism-Daten zugreifen kann.
Der BND erklärte auf mehrmaliges Nachfragen von Netzpolitik.org, dass man vor den Enthüllungen keine Kenntnisse über das Prism-Programm hatte. Ähnlich äußerten sich zuvor bereits das Innenministerium und der Verfassungsschutz, überprüfen lassen sich solche Aussagen letztlich nicht, weil die Geheimdienste sich nur vor parlamentarischen Kontrollausschüssen rechtfertigen müssen, in denen die Abgeordneten zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Wie lückenhaft solche Kontrollen sind, zeigt sich derzeit bei der Aufklärung der NSA-Programme in den USA, in denen Abgeordnete erstaunt sind über das tatsächliche Ausmaß der NSA-Überwachungsaktivitäten.
Bürgerrechtler fassungslos
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verteidigt derweil das Programm. „Natürlich müssen auch unsere Nachrichtendienste im Internet präsent sein“, sagte Friedrich laut Spiegel, denn „Kontrollverluste über die Kommunikation von Kriminellen“ müssten „durch neue rechtliche und technologische Mittel“ ausgeglichen werden. Viel Verständnis erntet Friedrich für diese Entscheidung aber nicht, zumal das Wirtschaftsministerium erst am Freitag im Gespräch mit den angeblich an Prism beteiligten US-Internetriesen festgestellt hat, dass es derzeit mehr offene Fragen als Antworten gibt.
„Offensichtlich hat nicht nur die NSA, sondern auch die Bundesregierung beschlossen, dass die anlasslose Überwachung eine gute Idee ist – und möchte sich damit weit jenseits der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begeben“, sagt Lavinia Steiner, Vorstand bei Digitale Gesellschaft. Die Bundesregierung ignoriere die vom Bundesverfassungsgericht geforderte „Überwachungsgesamtrechnung“, mit der hätten die Karlsruher Richter „den Gesetzgeber nachdrücklich gewarnt, die Datensammelwut nicht zu übertreiben“.