Innenminister müsste Kenntnisse von „Prism“ haben
Es wäre nicht glaubwürdig, wenn Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagt, er hätte vor den Veröffentlichungen der „Prism“-Pläne keine Kenntnisse von dem Ausmaß der Internetüberwachung durch die NSA gehabt, sagte Gert-René Polli, der zwischen 2002 und 2007 Chef des österreichischen Verfassungsschutzes war.
Die Kontinuität der Spionageabwehr werde zwar durch politische Führungswechsel unterbrochen, was Polli in einem Interview mit dem ORF am Beispiel seiner Amtszeit schildert. In dieser habe er mit vier verschiedenen Innenminister zusammengearbeitet: „Was ich mit dem ersten Innenminister vereinbart habe, das wollte der letzte nicht einmal mehr wissen.“ Aber Nachrichtendienste würden keine Schritte machen, die nicht mit der politischen Führung abgestimmt wären. Das gelte sowohl für Österreich als auch für Russland, die USA und Deutschland.
Dementsprechend kann Polli nicht nachvollziehen, was Friedrich dazu veranlasste, einen „Schritt zurückzugehen in die Defensive“. Er gehe davon aus, dass die zuständigen Behörden in Deutschland Kenntnisse von den US-Überwachungsprogrammen hatten, wenn diese „selbst in Österreich bekannt sind“. Der österreichische Auslandsgeheimdienst HNA gab bislang nur zu, einen direkten Kontakt zur NSA zu haben, Daten aber nur in einem geringen Ausmaß zu tauschen, berichtet Futurezone. Dass britische, belgische und niederländische Geheimdienste auf Prism-Daten zugreifen können, sickerte ebenfalls in den letzten Tagen durch.
Innenminister Friedrich bestritt letzte Woche, dass er oder das Innenministerium Kenntnisse von Prism hatten. Dieselbe Erklärung gaben die deutschen Geheimdienste ab. Am Wochenende änderte Friedrich die Tonlage, verteidigte das Vorgehen der US-Behörden und kündigte an, die Internetüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit Investitionen von 100 Millionen Euro auszubauen – unterstützt von Angela Merkel.
Erich Schmidt-Eenboom, Publizist und Geheimdienst-Forscher, erklärte allerdings in einem Beitrag von Frontal21: „Die Überraschung der Bundesregierung ist gespielt.“ Der BND und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hätten umfassende Kenntnisse von den NSA-Überwachungsprogrammen. Deswegen geht Schmidt-Eenboom davon aus, dass „das Bundeskanzleramt und der Bundesinnenminister sehr genau unterrichtet worden“ sind.
Die Bundeskanzlerin hat sich derweil beim Treffen mit US-Präsident Obama darauf verständigt, zukünftig den Informationsaustausch zu intensivieren. Allerdings bezeichnet Polli die Informationspolitik der US-Behörden als willkürlich, Organisationen würden Informationen abhängig von der amerikanischen Interessenlage erhalten.
Dass der britische Geheimdienst den G20-Gipfel in London im Jahr 2009 abgehört hat, hält Polli nur für die Spitze des Eisbergs. Als zentrale Themen nennt er Wirtschaftsspionage und Informationsbeschaffung sowie „Generierung ganz generell“, die Nachrichtendienste hätten nach dem Ende des Kalten Kriegs ihre Philosophie dementsprechend geändert.