Kommentar: Xbox One nach der Kritik
Rolle rückwärts
Noch auf der Spielemesse E3 vom 11. bis zum 13. Juni erklärte Microsoft das Konzept der neuen Xbox One für alternativlos und unverrückbar in Stein gemeißelt. Keine Woche später folgt die Rolle rückwärts auf das vom Vorgänger bekannte Konzept für Gebrauchtspiele und Online-Zwang. Die Kritik ist verstummt. Wird jetzt alles besser?
Die Beweggründe
Zunächst liegt es nahe nach den Gründen für einen derart rapiden und scheinbar vollständigen Kurswechsel zu fragen. Erste Kommentatoren sind hier schnell bei der Hand. Nicht Kritik der potentiellen Nutzer, sondern vor allem Sony mitsamt der überschwänglich aufgenommenen E3-Pressekonferenz wird der Umschwung zugeschrieben. Der japanische Trittbrettfahrer spielt jedoch nur eine untergeordnete Rolle in den jüngsten Ereignissen, hat Microsoft doch zu guten Teilen selbst das Grab für seine Produktstrategie geschaufelt: Kommunikation nach Gutsherrenart, Konzept und das derzeitige Klima bei Verbrauchern hinsichtlich Überwachung und DRM waren schlicht nicht in Einklang zu bringen.
Im Endeffekt hat Microsoft mit dem Richtungswechsel (und Sony mit dem eigenen Verhalten) aber nur auf einen Faktor reagiert: Ihre Kunden, deren Haltung alle weiteren Akteure in Bewegung gebracht hat. Ob Kernzielgruppe oder nicht, das Internet, Zeitschriften und sogar das Fernsehen waren voller Kritik, die auch dem Gelegenheitsnutzer kaum verborgen bleiben konnte. Dank Prism und Kommerzialisierungspolitik braucht es nicht viel Überzeugungsarbeit, um selbst sanfte Interessenten vom Kauf einer Xbox One abzuhalten. Sony hat sich diese quasi geschlossene Ablehnung in Ausnutzung der gegebenen Situation lediglich marktwirtschaftlich nutzbar gemacht und allenfalls noch mehr Aufmerksamkeit auf die PlayStation 4 gelenkt. Ein Katalysator, aber kein Auslöser und sicher kein entscheidender Faktor.
Die Anzahl der Vorbestellungen muss in Redmond allerdings eine Schockwirkung entfaltet haben, denn der Status quo wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion wiederhergestellt. Xbox 180°, spottet das (siegreiche) Netz. Aber auch das ist vereinfacht ausgedrückt. Nachdem sich der Pulverdampf verzogen hat, bleibt schließlich die Frage: Was wurde denn eigentlich gewonnen?
Gebrauchtspiele sind nun ohne Einschränkungen zu handeln und der Online-Check ist wieder verschwunden. Gleichzeitig sind aber auch die „Familienbibliothek“ sowie der Verkauf von Lizenzen als virtueller Besitz Geschichte – hier könnte sich Steam mit einem entsprechenden System als dann alleiniger Anbieter bald einen erheblichen Vorteil verschaffen. Und die Notwendigkeit eines stets benötigten Datenträgers bleibt dem Konzept nun wieder erhalten. „Das Beste beider Welten“ hat Microsoft damit allerdings gerade nicht zusammengeführt. Die Möglichkeit, sich zwischen dem Binden einer Lizenz an den Nutzeraccount mit dazugehöriger Internet-Pflicht oder dem Verbleib der Lizenz auf der DVD für die Offline-Nutzung zu entscheiden, besteht beispielsweise nicht. Das wäre die Flexibilität, die die Xbox One hätte bieten müssen – und die immer noch fehlt.
Aufgeschoben, nicht aufgehoben
Kein Kompromiss sondern eine Kehrtwende. Ein Rückschritt ist das mitnichten, es ist weit besser als erwartet, gerade im Hinblick auf den (Ver-)Kauf gebrauchter Spiele. Dass alles beim Alten bleibt, darf also ohne Zweifel zunächst als gute Nachricht aufgenommen werden. Trotzdem hält Microsoft das nunmehr unter den Tisch gekehrte Digitalkonzept immer noch in der Hinterhand: Es wurde nicht modifiziert, sondern nur ausgetauscht, nicht angepasst, sondern ganz gestrichen. Die so furchtbar schlecht kommunizierten Nachteile wurden radikal entfernt, die Idee als solche aber intakt gerettet.
Diese ist jetzt zwar nicht vertretbar, in der Zukunft aber vielleicht schon. Der Lebenszyklus einer Konsole ist lang, während sich (Informations-)Gesellschaften und Märkte rapide verändern. In fünf Jahren mag nicht nur die Akzeptanz eines Immer-Online-Modells höher sein, auch die Vorteile – Lizenzhandel, virtueller Verleih – werden von Kunden mit der stetig steigenden Relevanz vom Kauf rein virtueller Werte deutlich stärker gewichtet werden. Wenn Microsoft noch passende, auf Vernetzung bauende Spiele platziert, die tatsächlich die Spielerfahrung elementar verändern oder verbessern, dann wird das System über kurz oder lang wieder auf der Bühne erscheinen. Sobald Spiele Rechenaufgaben in die Cloud auslagern, ist eine Verbindung ohnehin nötig – ein weiterer Weg durch die Hintertür, der bereits angekündigt wurde.
Denn, auch das geht in der nicht ganz unberechtigten Euphorie über eine endlich wieder salonfähige Xbox One unter: Kinect hat Microsoft nicht verändert. Selbst wenn das System ohne die potentiell ständige Internetverbindung an Überwachungs-Schrecken verloren hat, bleibt es im Hintergrund stets aktiv und verschmilzt über kurz oder lang mit Umgebung und Alltag. Optionen zur völligen Deaktivierung der Gestensteuerung zusammen mit der Konsole selbst oder Einschränkungen der aufgenommenen Informationen sind nach wie vor nicht in Sicht.
Die Datenkrake mag ihre Fühler im Konzert mit einer Internetverbindung nicht von Anfang an ausstrecken können um jedwede Information zu verwerten, aber sie wird die Möglichkeit dazu erhalten. Der Jäger zeigt Geduld. Das mag dystopisch oder übertrieben dramatisch erscheinen, ist aber immer noch ein durchaus mögliches und in Anbetracht jüngster Entwicklungen nicht unplausibles Szenario. Diese Bedenken wie auch diejenigen nach der Halbwertszeit erworbener Spiellizenzen rücken durch die allgemeinen Jubelstürme („Jetzt kaufe ich die Konsole doch.“) aber erst einmal in den Hintergrund. Auf der amerikanischen Webseite des Versandhändlers Amazon liegt die Xbox One in der Listung nach Popularität wieder vor der Konkurrenz aus Japan. Am Bedarf entsprechender Antworten ändert das nichts, an der Notwendigkeit für den Konzern zu antworten aber schon.
Ein Pyrrhussieg
Der Sieg entpuppt sich somit vorerst als Pyrrhussieg. Mit einem Kniefall bei zwei wesentlichen Kritikpunkten ist die Front der Kritiker zerschlagen worden. Der Druck, der gestern noch auf ganz anderen Aspekten gelastet hat, ist verpufft.
Unterm Strich hält Microsoft noch immer an der virtuell-digitalen Zukunft nach eigenen Vorstellungen fest. „Während wir glauben, dass eine Mehrheit Spiele online spielen wird und die Cloud sowohl für Spiele als auch Unterhaltung nutzt, werden wir Konsumenten die Wahl zwischen physischen und digitalen Inhalten geben“, so der Konzern. Das entpuppt sich als Wahl zwischen Schwarz und Weiß, die eben nicht die versprochene „Flexibilität“ bietet, sondern zwingt, sich zu entscheiden: Zwischen der zeitgemäßen Anpassung virtuellen Handels über den Verkauf von Lizenzen, die aufgrund der Kritik vorerst nicht umgesetzt bzw. nicht modifiziert wird, und dem von der Xbox 360 bekannten System – beide mit allen damit verbundenen respektive von Microsoft gewünschten Nachteilen. Weil der virtuelle Handel mit Online-Zwang abgelehnt wurde, bekommen Nutzer nun analoge Transaktionen zusammen mit der bekannten Accountbindung für im Marktplatz gekaufte Lizenzen. Zweifel an der grundlegenden Idee kommen nicht auf, denn, das wird überdeutlich klargestellt, Microsoft glaubt „an die Vorteile einer vernetzten, digitalen Zukunft“ – nach eigener Machart. Hier lässt sich der Konzern nicht beirren.
Virtuelle Digitalität bleibt damit das Konzept, welches weiterhin verfolgt wird und das sich zweifelsohne über kurz oder lang durchsetzt. Daran haben neben Microsoft auch Publisher durch den möglichen Direktvertrieb ein gesundes Interesse, zumal sie über Boni für Lizenzverkäufe deutliche Anreize für eine Entwicklung in diese Richtung bieten können und ohne Frage werden. Die Xbox One bietet auf der Angebotsseite durch Cloud und Vernetzung genug Möglichkeiten für eine sanfte Etablierung und praktische Umsetzung aller jüngst verworfenen Ideen. Diesem Weg wird sich auch die PlayStation 4 mittelfristig nicht entziehen, denn auch Sony baut digitale Angebote stetig aus. Der einzige Unterschied zum Stand der letzten Woche ist, dass der Übergang nicht mehr radikal und kompromisslos erzwungen werden soll, sondern viel eher mit dem Kunden, nicht über seinen Kopf hinweg geschieht. Die Zukunft ist nicht heute, sie bleibt zunächst das Morgen. Kein T-800-#dealwithit für John Connor, sondern das verführerische Terminatrix-Modell im Latex-Anzug wird in den Kampf um die Gunst und Meinung der Nutzer geschickt.
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