Empörte Reaktionen aus Deutschland und der EU
Infolge der jüngsten Enthüllungen über die NSA-Überwachung von Einrichtungen der Europäischen Union und der massenhaften Metadaten-Speicherung in Deutschland hagelt es Kritik von allen Seiten. Die Vorwürfe richten sich nicht nur gegen die US-Administration, auch die Bundesregierung steht im Fokus.
So hat sich der Tonfall von EU-Politikern nochmals verschärft. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn stellt nun die langjährige Begründung für die Überwachungsprogramme in Frage: „Alles wird von den USA damit begründet, man bekämpfe den Terrorismus. Aber die EU und ihre Diplomaten sind keine Terroristen.“ Er fordert Garantien von höchster Stelle, dass die Überwachungen durch die NSA eingestellt werden. Der Protest richtet sich vor allem gegen die Spionage in EU-Vertretungen. Wütende Reaktionen erfolgten insbesondere von den Abgeordneten des Europäischen Parlaments.
Als „Kernschmelze des Rechtsstaats" bezeichnet Jan Philipp Albrecht, Grünen-Abgeordneter im Europäischen Parlament, das Vorgehen der US-Geheimdienste. Nach Ansicht von Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Grünen im Europaparlament, sollen die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA unterbrochen werden. „Wir brauchen erst einmal ein Datenschutzabkommen, damit so etwas nie wieder vorkommt“, so Cohn-Bendit.
Selbst in den Reihen der Unionsabgeordneten im EU-Parlament heißt es nun, das Vertrauen wäre erschüttert. Der EU-Abgeordnete und CDU-Außenpolitiker Elmar Brok stellt die Frage: „Wie soll man noch verhandeln, wenn man Angst haben muss, dass die eigene Verhandlungsposition vorab abgehört wird?“ So ist es erneut das EU-Parlament, das den Ton bei der Aufklärung der US-Überwachungsaktivitäten vorgibt.
Von Seiten der EU-Kommission gibt man sich noch zurückhaltend. Die EU-Spitze rund um EU-Kommissionschef Barroso sowie Ratspräsident Van Rompuy verhält sich auffallend ruhig, berichtet der freie Journalist Eric Bonse. Die EU-Kommission will öffentlich anscheinend mit Bedacht vorgehen, weil es sich bei dem Überwachungsskandal um ein „hochsensibles Thema“ handeln würde, dass die diplomatischen Grundlagen mit den USA gefährden könne, berichtet Spiegel Online. Ein Sprecher der EU-Kommission sagt, man sei „sofort mit den US-Behörden in Washington und Brüssel in Kontakt getreten“ – die würden nun den Wahrheitsgehalt der Artikel prüfen. Die US-Regierung will dabei mit der EU zusammenarbeiten, hieß es in der Nacht zum Montag.
Dilemma für EU-Kommission und Bundesregierung
Die EU-Kommission steckt in einem ähnlichen Dilemma wie die Bundesregierung, nur dass bei der Brüsseler Führungsetage eher die wirtschaftlichen Beziehungen und die anstehenden Verhandlungen über das Freihandelsabkommen im Mittelpunkt stehen. Angesichts der harschen Kritik sind diese nun ernsthaft bedroht. Bei der Bundesregierung spielen offenbar sicherheitspolitische Aspekte eine tragende Rolle. Deswegen stehen nun insbesondere die Vertreter von CDU/CSU samt Bundeskanzlerin Angela Merkel im Zentrum der Kritik, zumal Unions-Abgeordnete noch in der letzten Woche das Vorgehen der US-Administration im Kern verteidigt haben.
So erklärte etwa Innenminister Friedrich im Verlauf der letzten Woche im Bundestag, bei der Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Zuvor wiederholte er regelmäßig, dass Deutschland auf die Hinweise im Anti-Terror-Kampf angewiesen sei, die man von den US-Geheimdiensten erhalte. Dementsprechend vage waren auch die Aufklärungsversuche. Merkel sprach zwar beim Treffen mit US-Präsident Obama die NSA-Überwachungsprogramme an, doch die anschließenden vagen Äußerungen inklusive der Floskel „das Internet ist für uns alle Neuland“ blieben deutlich hinter der öffentlich erwarteten Aufklärung zurück.
Deutsche Opposition fordert Konsequenzen
Nun zeigt sich erneut der sicherheitspolitische Spalt in der schwarzen-gelben Koalition. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärt angesichts der aktuellen Enthüllungen: „Wenn die Medienberichte zutreffen, erinnert das an das Vorgehen unter Feinden während des Kalten Krieges." Der FDP-Bundestagsabgeordnete Jimmy Schulz sagt: „Überwachung mit Wanzen von offiziellen EU-Büros und die Massenüberwachung der gesamten Kommunikation lassen sich selbst mit großem Verständnis nicht mehr allein mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründen.“
Selbst SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück meldet sich nun zu Wort. Demnach würde die in den Berichten beschriebene Überwachung von Freunden und Partnern „über legitime Sicherheitsinteressen weit hinaus“ gehen. Die übrigen Oppositionsparteien finden indes noch deutlichere Worte. Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Notz kritisiert, derzeit gebe es keine Gewissheit, ob man in Deutschland angesichts der US-Überwachung überhaupt vertraulich kommunizieren könne.
„Ein weiteres Wegducken der Kanzlerin hinter Plattitüden ist völlig inakzeptabel“, so von Notz gegenüber Spiegel Online. „Die Regierung in Berlin lässt zu, dass Politiker ausgehorcht, Bürger überwacht und Firmen ausspioniert werden“, lautet der Vorwurf vom Piratenpartei-Vorsitzenden Bernd Schlömer. Sollten geheime Abkommen zum Datenaustausch mit den US-Geheimdiensten bestehen, müssten diese nun offengelegt werden, fordert derweil Katja Kipping, Vorsitzende der Linken. Zudem fordert sie, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zu beenden – womit sich der Kreis zu dem zentralen Anliegen der EU-Parlamentarier schließt.