Prism: Regierung gibt sich immer noch ahnungslos
Nach den Enthüllungen über das bislang nicht gekannte Ausmaß der NSA-Überwachung in Deutschland sowie dem Lauschangriff gegen diplomatische EU-Vertretungen, äußerte nun auch die Bundesregierung Kritik und verspricht Aufklärung. Dass man vom Vorgehen der US-Geheimdienste nichts geahnt haben will, ist allerdings umstritten.
Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen wiederholten die Erklärung, in deutschen Behörden hätte es bis dato keine Hinweise auf das Ausmaß der US-Überwachungsprogramme gegeben. Laut Maaßen bestehe aber die Möglichkeit, dass man – ohne es zu wissen – von den US-Behörden Hinweise im Anti-Terror-Kampf erhalten hat, die über die NSA-Überwachungsprogramme gewonnen wurden. Von dem Anzapfen deutscher Internet-Knotenpunkte sowie dem Abhören von diplomatischen EU-Vertretungen und Botschaften zahlreicher europäischer Staaten habe man nichts gewusst. Immerhin kündigte Friedrich nun die Aufklärung aller im Raum stehenden Vorwürfe an, die er als „ungeheuerlich“ bezeichnet.
Neue Töne aus dem Innenministerium, zuletzt bescheinigte Friedrich den Kritikern der NSA-Programmen noch eine „Mischung aus Antiamerikanismus und Naivität“, die ihm „gewaltig auf den Senkel geht“. Die Kritik fällt aber nach wie vor verhalten aus, ebenso wie die potentiellen Konsequenzen: „Wenn der Verdacht sich bestätigen sollte, dass die Amerikaner die Bundesregierung und deutsche Botschaften ausspioniert haben, wäre eine Entschuldigung unausweichlich.“ Ähnlich lauten die Einschätzungen aus dem Bundeskanzleramt. Regierungssprecher Seibert sagte: „Abhören von Freunden ist inakzeptabel. Das geht gar nicht. Wir sind nicht mehr im kalten Krieg.“ Zunächst müsse man aber aufklären, ob die Berichte wahr sind.
Deswegen soll demnächst eine Delegation nach Washington reisen, zusätzlich zu der Arbeitsgruppe, die von der EU-Kommission in die Wege geleitet wurde. Ohnehin befinde man sich „ mit den amerikanischen Stellen auf allen Ebenen im Gespräch“, erklärte Friedrich. Antworten auf die Widersprüche und offenen Fragen liefert die vage Informationspolitik der Bundesregierung allerdings nicht. Bundesdatenschützer Peter Schaar hält die NSA-Überwachungsprogramme für einen schweren Eingriff in die deutschen Grundrechte, der restlos aufgeklärt werden müsse. „Es ist beunruhigend, dass die US-Seite die Meldung nicht von sich gewiesen hat, sondern sich gar nicht äußert“, so Schaar gegenüber den Ruhr-Nachrichten.
Nun rückt auch Bundeskanzlerin Merkel verstärkt in den Fokus. „Es könnte den Eindruck nähren, dass sie mehr weiß, als bisher bekannt geworden ist“, erklärte etwa SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Die Bundesregierung widerspricht den Vorwürfen, allerdings wäre es äußerst erstaunlich, wenn man über das Anzapfen der zentralen Internetknotenpunkte nicht informiert wäre. Die Auswertung des elektronischen Datenverkehrs ist Usus für Auslandsgeheimdienste, entsprechende Traffic-Filterungen finden auch beim BND statt.
Was der Bundesregierung alles bekannt war, soll nun der für die Geheimdienste verantwortliche parlamentarische Kontrollausschuss in einer Sondersitzung herausfinden. Roland Pofalla, Chef des Bundeskanzleramts und damit für die Kontrolle der Geheimdienste verantwortlich, soll dem Gremium Rede und Antwort stehen, ebenso wie die Spitzen der deutschen Geheimdienste. Zudem soll geklärt werden, ob der BND bei der Kooperation mit den US-Behörden gegen hiesiges Recht verstoßen hat. Fraglich ist nur, ob möglicherweise brisante Informationen auch den Weg an die Öffentlichkeit finden. Mitglieder des sogenannten Parlamentarischen Kontrollgremiums sind zur Geheimhaltung verpflichtet und dürfen normalerweise nicht einmal Abgeordnetenkollegen über die Inhalte der Besprechungen berichten.