Saints Row IV im Test: Abgedrehter Matrix-Klon
2/3Saints Row IV auf einen Blick
Was tun, wenn der „Crazyness Faktor“ schon bei 10 von 10 Punkten liegt, man aber noch darüber hinaus will? Volition gibt für „Saints Row IV“ die naheliegende Antwort: Man muss das Hier und Jetzt verlassen und in ein spaciges Setting wechseln, in dem allerlei Blödeleien zwar völlig fiktiv und unrealistisch, theoretisch aber eben doch durchaus möglich sind. So, und nur so, lässt sich der in den Vorgängern gebotene Irrsinn überhaupt noch toppen.
Dazu erschaffen die Entwickler aber nicht etwa ein eigenes SciFi-Setting, sondern bedienen sich fast schon dreist bei einer Ur-Größe: Die Story von „Saints Row IV“ kann als durchgeknallte Videospiel-Portierung von „Matrix“ gelten – „Matrix Reloaded: Reloaded“, sozusagen.
Eigentlich hätten wir damit kein Problem, denn schließlich gehört es zu den großen Stärken der „Saints Row“-Spiele, sich an Hommagen und Überspitzungen all jener Erzeugnisse abzuarbeiten, die gemeinhin dem Phänomen „Popkultur“ zugeschrieben werden. Allerdings ist das Klonen von „Matrix“ in diesem Fall weniger dem Zweck geschuldet, eine saftige Pointe abzuliefern – es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass man bei Volition einfach keinen Gehirnschmalz an eine eigene Idee verschwenden wollte.
Es rettet dem Protagonisten von „Saints Row IV“ den Allerwertesten, dass die Abkupferei sich auf diesen nicht unerheblichen Teil beschränkt. Ansonsten vergeht sich der Titel nämlich nicht zum Zwecke des Diebstahls, sondern aus Gründen der Verhöhnung und „Trashisierung“ an den Erzeugnissen von Hollywood, Musiklabels, dem Fernsehen und Co. Und das funktioniert zum Beispiel so: Man fliegt voller Pathos zu Aerosmiths' „I Don't Want to Miss a Thing“ auf einer atomar bestückten Rakete gen Washington D.C., cruised zu den Sounds der Eightees in einem kleinen Raumschiff durch den Bauch eines Alien-Zerstörers und übt mitten auf der Straße die tightesten Dancemoves aller Zeiten. Kurzum: Was „FarCry 3 – Blood Dragon“ zuletzt für ein einzelnes Jahrzehnt versuchte – das Durch-den-Kakao-Ziehen des Zeitgeistes – versucht „Saints Row IV“ zumeist mit Bravour gleich für eine ganze Ära.
Doch was bedeutet das konkret? Der „Matrix“-Diebstahl geht im Falle von „Saints Row IV“ in Sachen Story so: Die Super-Gangster von der Saints-Crew gelten längst nicht mehr als Psychopathen, sondern sind auf dem Weg zur Weltherrschaft ganz weit oben angekommen. Dank eines fulminanten Anti-Terror-Einsatzes, bei dem der Spieler im Rahmen eines ziemlich schäbigen Einstiegs die Vernichtung der US-Hauptstadt verhindern konnte, ist man nämlich mittlerweile zum unangefochtenen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt worden.
Der aus Chillen, Pressekonferenzen und Chillen bestehende Alltag als Boss der letzten verbliebenen Supermacht wird allerdings je gestört, als ein paar Psycho-Aliens ins Weiße Haus eindringen, die Mitglieder der Saints-Crew entführen und obendrein damit drohen, die komplette Menschheit zu vermöbeln. Liest sich soweit wie „Independence Day“, wird aber schnell zu „Matrix“, als die Aliens sich auch den Protagonisten schnappen – und dieser plötzlich in einer verqueren 50er-Jahre Welt aufwacht, die auf den zweiten Blick nicht annähernd so heil ist, wie sie zunächst erscheint.
Dieser vielschichtige, gehetzte Einstieg dauert eine gute Stunde, die darin mündet, dass sich der Spieler in einer von den Aliens gesteuerten Matrix-Version der Vorgänger-Spieltwelt Steelport wiederfindet. In dieser Umgebung ist man fortan der Rebell: Es gilt, das System durch allerlei Aktionen zum Wackeln zu bringen, um so schlussendlich in die Heimatwelt der Aliens gelangen zu können, um – na, was wohl?
Nebenbei darf man obendrein die entführten Mitglieder der Crew retten, was als nette psychologische Grundlage genommen wird, um Steelport kurzzeitig settingtechnisch zu entfliehen. Und auch so kehrt der Spieler ab und an in die reale Welt zurück – an Schichten und Erzählsträngen mangelt es „Saints Row IV“ also zu keiner Zeit.
Doch wozu diese absurde Portierung ins SciFi-Umfeld? Zum einen bieten sich Alien-Inhalte schon immer als ideale Grundlage für Trash-Umsetzungen an. Was selbst für ein „Saints Row: The Third“ aufgrund der konventionellen Umgebung inhaltlich zu verrückt war, ist hier theoretisch immer möglich. Dies gilt, zum anderen, aber nicht nur für die Inhalte, sondern auch für die Spielmechaniken. Dementsprechend nehmen sich die Spielentwickler im Prinzip die bekannte Open-World eines typischen „Saints Row“ vor und portieren diese einfach in ein SciFi-Umfeld. Klar, dass ein solches Vorgehen neue absurde Möglichkeiten eröffnet.
Beispiel gefällig? Autofahren, die typische Beschäftigung in einem Spiel wie „Saints Row“ oder „Grand Theft Auto“, ist in der vierten Ausgabe von ersterem eigentlich nicht mehr nötig. Denn Neo, Verzeihung, der namenlose Held, kann dank toller Addons in der Alien-Matrix unter anderem nicht nur hyperschnell rennen, sondern auch megaweit springen. Wozu also noch einen Sportwagen klauen, wenn man zu Fuß sowieso schneller ist?
Hinzu kommt, dass klassische Waffen nur noch am Rande eine Rolle spielen. Die richtigen Schießprügel stammen natürlich aus Alienmanufaktur. Darüber hinaus kann man – Digital-Setting sei Dank – auch auf allerlei Kräfte zurückgreifen, sodass man Gegnern beispielsweise per Eis oder Feuer zusetzt oder sie per Telekinese mit allerlei Gegenständen bewirft. Kurzum: Die Spielwelt in „Saints Row IV“ ist wie ein Jahrmarkt, es gibt nichts, das es nicht gibt.
Ansonsten hat sich in Steelport allerdings nicht allzu viel getan, sodass man schon sagen muss: Hier wurde die Stadt aus dem Vorgänger wirklich einfach als Matrix-Ausgabe „reloaded“. Dementsprechend findet man auch hier an jeder Ecke Kleiderläden, in denen man seinen Charakter bis zum Umfallen individualisieren kann, was nahtlos an die vielfältigen Möglichkeiten der anfänglichen Charaktererstellung anschließt. Fetter Nerd, muskulöser Gangster oder sportliches „Babe“ – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Gleiches gilt für die Möglichkeiten der Werkstätten, in denen man entwendete Boliden detailliert umgestalten und abspeichern kann. Fällt man auf – was schnell passieren kann, weil man mit seinen Superkräften am Anfang überall aneckt – wird man zunächst von normalen Polizisten gejagt, in die sich dann aber schnell in Bester Matrix-Manier Alien-Kämpfer beamen. Können auch die einen nicht stoppen, sieht man sich schnell einem Zwischenboss gegenüber, dessen Vermöbelung garantiert viele Erfahrungspunkte und Upgrades für die Fähigkeiten mit sich bringt.
Zum Facettenreichtum von „Saints Row IV“ gehört schließlich auch, dass man neben den zumeist nicht besonders einfallsreichen Hauptquests quasi an jeder Ecke an einem Minispiel teilnehmen kann. Diese hängen häufig an den neuen Superkräften, sodass es beispielsweise gilt, besonders flink durch die Stadt zu düsen, an Wänden hochzurennen und ins Ziel zu springen. In einem anderen Spieltyp kommt es auf den geschickten Umgang mit der Telekinese an, aber auch klassische Aufgaben wie die Entführung von einzelnen Personen und Hacking-Minispiele lockern die Jagd nach dem Ober-Alien auf.
Diese Auflockerung ist aber auch bitter nötig, denn so witzig die neuen Superkräfte anfänglich auch sind: Die Haupt- und Nebenmissionen wirken spätestens nach drei, vier Stunden eintönig und laufen letzten Endes immer darauf hinaus, dass man an Punkt X die Anzahl Y Gegner aus dem Weg räumt, um anschließend Kräfte aufzuleveln und die mitgeführten Wummen aufzumotzen. Da ist es schon sehr gut, dass einen „Saints Row IV“ auch immer wieder in die „Realität“ verschlägt, in der man sich im Herzen der Finsternis, dem großen Alien-Raumschiff, wiederfindet und gemeinsam mit den bereits geretteten Saints-Crew-Mitgliedern das weitere Vorgehen abstimmt.
Weitaus tragfähiger ist aber, wenn man es denn mag, der skurrile Humor, der dem Titel in keiner Minute verloren geht. Wer schon immer auf Filme, Bücher oder Spiele stand, in denen eine Absurdität von der nächsten getoppt wird und in der es nicht selten um den Bodensatz von allgemein gängigem Humor geht, wird in „Saints Row IV“ kaum aus dem Schmunzeln herauskommen. Um diesen allgemeinen Eindruck zu spezifizieren: Wir waren vom Witz des Spiels nach einer anfänglichen Euphorie irgendwann ziemlich genervt – und schnell wieder versöhnt, weil zum Beispiel ein beliebiger Passant auf den Straßen von Steelport urplötzlich einen Moonwalk hingelegt hat.
Deutlich weniger zu lachen gibt es aber in technischer Hinsicht. Hier macht sich – genauso wie bei der uninspirierten Portierung von Steelport – bemerkbar, dass „Saints Row IV“ ursprünglich als Download-Inhalt für den Vorgänger gedacht war. Als weitere Erklärung kann auch angeführt werden, dass Volition ursprünglich für den mittlerweile insolventen Publisher THQ entwickelt hat; klar, dass der Wechsel zu Koch Media und die damit verbundene turbulente Zeit der Entwicklung nicht gut getan haben.
Trotzdem, ein bisschen mehr Liebe zum Detail hätten wir uns von der grafischen Umsetzung schon gewünscht. So hat man es mit einem Titel zu tun, der in mancher Hinsicht aus der Zeit des Vorgängers stammen könnte. Dies gilt insbesondere für die Texturen – man sollte in manchen Ecken von Steelport nicht zu nah an die Gegenstände herantreten. An anderen Ecken, beispielsweise bei den Explosionen, merkt man dem Titel dagegen an, dass durchaus auch in grafischer Hinsicht Hand angelegt worden ist. Ein Feuerwerk sieht aber anders aus.
Dafür muss man sich nicht über einen übermäßigen Hardware-Hunger ärgern: Auf unserem Testsystem lief „Saints Row IV“ mit maximalen Details und in einer Auflösung von 1.920 × 1.080 Bildpunkten überwiegend bei Bilderraten zwischen 45 und 60; nur in fordernderen Szenen ließ sich ein Einbruch auf 35 bis 40 FPS beobachten, zum Beispiel dann, wenn man durch eine vielbefahrene Kreuzung jagt und nebenbei einen kompletten Kameraschwenk durchführt.
In puncto Sound gibt es, anders als bei der Grafik, fast nichts zu meckern. „Fast“ deswegen, weil eine deutsche Sprachausgabe fehlt und von Untertiteln ersetzt wird. Wer das Englische beherrscht, wird dank ausgezeichneter Sprecher, zu denen auch die Heldenstimme von Nolan North gehört, aber nichts vermissen.