Shadowrun Returns im Test: Kickstarter-Neuauflage eines Klassikers

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Max Doll
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Shadowrun Returns auf einen Blick

Kein Geld, eine schäbige Slum-Wohnung in Seattle und kein Job in Sicht: der Protagonist des Spiels steht im Jahr 2054 vor einem Problem. Oder auch nicht, denn sein nun toter Freund winkt aus einer Videoaufzeichnung mit einem dicken Batzen Geld, wenn der Killer gleichfalls unter die Erde wandert. Im düsteren Shadowrun-Universum sind solche Aufträge eine Lebensader. Wer sich nicht vollüberwachen (Gruß an die NSA) und bei einem Megakonzern anstellen lässt, lebt aussätzig, denn Konzerngeld regiert zukünftig (?) die Welt, Regierungen sind zugunsten privater Interessensgruppen abgeschafft. Der unwillige Rest verdingt sich bestenfalls als überaus entbehrlicher Söldner im Schatten des Systems – das Spannungsverhältnis zwischen Freundschaft und Justizbedürfnis einerseits sowie Finanzbedarf andererseits überlässt Shadowrun der Ausgestaltung des Spielers.

Shadowrun Returns – Dialoge und Beschreibungen tragen Welt und Story
Shadowrun Returns – Dialoge und Beschreibungen tragen Welt und Story

Zur Aufklärung des Falles bietet das Spiel eine klassische isometrische Ansicht mit detailliert gezeichneten 2D-Hintergründen. Getragen wird die Narrative ausschließlich über Text; sowohl in Ladebildschirmen und Sprechblasen als auch den nicht vertonten, englischen Dialogen gibt es eine Menge zu lesen, ob nun Aussprüche oder schlicht Beschreibungen von Umwelt und Charakteren. Das erinnert nicht nur an die Anfänge des Mediums Videospiel – vor allem das Textadventure –, sondern schlägt die Brücke zur Literatur. Die düstere Atmosphäre der Vorlage atmet das Spiel aus jeder Pore und spart nicht an fremd, aber nur mit einer Prise Zynismus lustig wirkenden Details – etwa Orkstrippern oder dem Angebot von „Refurbished Flowers“. Ein Teil der Spielzeit wird daher mit Lesen verbracht, ein Teil mit dem Erkunden der Karten, Sammeln von Informationen und kleineren Rätseln, der Großteil jedoch mit rundenbasierten Kämpfen. Zusammen mit den vielfältigen Möglichkeiten der Charakterstellung suggeriert das geradezu klassische Komplexität.

Shadowrun Returns – Eine zwielichte Kneipe dient als Heimathafen zwischen Missionen
Shadowrun Returns – Eine zwielichte Kneipe dient als Heimathafen zwischen Missionen

Tatsächlich aber orientiert sich Shadowrun an weit neueren Vertretern verschiedener Genres. Das vereinfachte Kampfsystem mit grobgliedrigem Aktionspunktesystem entstammt der XCOM-Neuauflage. Durch den Wegfall von Höhenstufen wurde das System jedoch noch einmal vereinfacht, selbst wenn mit verschiedenen Magie-Arten, Schamanen, Drohnen, Nahkämpfern oder Samurais genug Charakterklassen für taktischen Tiefgang bereitstehen. Leider entpuppt sich in diesem Zusammenhang gerade die KI als klassisch: Klassisch „Serious Sam“. Der taktische Horizont des Computers endet bei Unterstützungszaubern; nach Sichtkontakt stürmen Gegner stets frontal die eigenen Positionen, unabhängig von Feuerwällen oder anderen Blockern. Zu allem Überfluss lässt sich das KI-Gehirn wunderbar umlenken, da vor allem Nahkämpfer stumpf den letzten erfolgreichen Angreifer attackieren, unabhängig von dessen Position. Unterhalb des höchsten Schwierigkeitsgrades sind die Gefechte daher deutlich zu einfach.

Shadowrun Returns – Ley-Linien verstärken Magie
Shadowrun Returns – Ley-Linien verstärken Magie

Gerettet wird die Mechanik durch die frischen Ideen, die die Kämpfe deutlich aufwerten und über die Spieldauer tragen: Ob Unbeteiligte als dritte Faktion für Chaos sorgen, Ley-Linien – natürlich außerhalb von Deckung angeordnet – Magie verstärken oder Schamanen ihre beschworenen Kreaturen jede Runde – abhängig von der Anzahl der für sie gewünschten Aktionspunkte – erneut unter Kontrolle halten müssen, da die Biester ansonsten Amok laufen: Was das Universum zu bieten hat, wird stimmig ausgeschöpft. Auch Hacker müssen während der Kämpfe aktiv werden, sie verschlägt es parallel zu den Gefechten in die Cyberspace-Matrix, wobei sie ihren bewegungslosen Körper zurücklassen. Der Kampf auf zwei Ebenen unter Verteidigung des bewegungsunfähigen Hackers schafft trotz der teils zu simplen KI Stellen intensive Momente, die im Gedächtnis verbleiben: Während der Spieler versucht, virtuell-digital eine Tür zu öffnen, wird das ihn verteidigende Team virtuell-real langsam von Gegnern erdrückt.

Shadowrun Returns – Gleiches Spielprinzip, andere Optik: Die Matrix
Shadowrun Returns – Gleiches Spielprinzip, andere Optik: Die Matrix

Zusammen mit dem Ausprobieren der verschiedenen Charakterklassen bleibt bis zum Ende des Kriminalfalls nach rund zehn Stunden Spieldauer genug Abwechslung übrig, um Montonie zu vertreiben. Erzählerisch kann Shadowrun Returns zudem auftrumpfen, was vor allem an der Ausgestaltung der Welt liegt. Dass dazu ein gewisser Zwang besteht, lässt sich allerdings nicht leugnen, denn auch die Charakterentwicklung bleibt nicht nur belanglos, sondern schlecht ausbalanciert. Kampffertigkeiten sind teils übermächtig, Charisma-basierte Sprach-Checks tragen auch weit unter dem Maximalwert durch jeglichen Dialog; „Sprachkodexe“ (Etikette) sind im Spiel gefühlt einmal pro Typ integriert und insgesamt nutzlos, da die Vorteile minimal ausfallen. Rassenbedingte Unterschiede werden gleichfalls nivelliert, selbst Trolle besitzen genug Intelligenz oder Charisma für jeden Spielstil.

Klassische „RPG-Beute“ fiel ebenso dem Rotstift zum Opfer: Gegenstände abseits ein paar Granaten oder Med-Kits müssen bei Händlern gekauft werden. Neben Waffen, Magie und „Decks“ stehen mit Cybernetik-Implantaten immerhin jede Menge Möglichkeiten zur Geldvernichtung bereit – die einzige Stelle, an der echte Entscheidungsfreiheit besteht, denn die Missionen lassen sich mit einem Team absolvieren, was zum Abwägen zwingt: Den neuen Robo-Arm oder ein weiteren Söldner anheuern – und wenn, dann mit welcher Charakterklasse?

Just the opposite, schmuck. The lesson is this – the game is rigged. The cards are stacked. The dice are loaded.

Neben XCOM dient Telltales „The Walking Dead“ als Vorlage, Entscheidungsfreiheit ist eine nur suggerierte. Wie im Vorbild werden Interaktionsmöglichkeiten gut sichtbar hervorgehoben, das Spiel selbst verläuft von Anfang bis Ende linear. Jeder Kartenwechsel dient der Progression, verlassene Gebiete können nicht erneut betreten werden. Die spärlichen Nebenmissionen spielen mit Ausnahme einer einzigen Stelle auf der jeweiligen Karte und sind mit lediglich ein wenig Lauferei verbunden; wenngleich sich manche Stellen mit kleineren Puzzles auf unterschiedliche Weise lösen lassen. Allerdings wurden auch die Stärken des Telltale-Adventures übernommen, speziell die überwiegend exzellent ausgearbeiteten Charaktere. Der stilbewusste Türstehertroll Kluwe ist daher gerne frequentierter Ansprechpartner zwischen einzelnen Aufträgen im Heimathafen der Schattensöldner, einer stilecht zwielichten Kneipe. Das haucht der Spielwelt Leben ein und überdeckt, dass Dialoge letztlich ebenso linear wie das Spiel verlaufen. Es spielt keine Rolle, ob ein pöbelnder oder freundlicher Spieler durch Shadowrun-Welten zieht, was die Dialogsequenzen manchmal mit zu abrupten Brüchen zwischen einzelnen Versatzstücken quittieren. Gleiches gilt für die Rasse: Auch ein Troll oder Ork kommt ohne Umwege ans Ziel, selbst wenn er einer verachteten Minderheit angehört. Größtenteils ist die Qualität des Skripts aber hervorragend, die Illusion der Entscheidungsfreiheit glaubwürdig. So bleibt die Freude, seinen Charakter zumindest fiktiv ausgestalten zu können und mit ihm tatsächlich eine Rolle zu spielen: Das Rollenspiel bleibt in Shadowrun eine Kopfsache.

Shadowrun Returns – Charakterentwicklung
Shadowrun Returns – Charakterentwicklung

Seine Linearität nimmt das Spiel selbstironisch bereits am Anfang auf die Schippe: „Don't bother with the conversation on your side“, erklären bereits die ersten Dialogzeilen. Zugegeben sind nicht nur Unterhaltungen, sondern Entscheidungen selbst mit nur minimalen Auswirkungen verknüpft. Es ist das klassische Skyrim-Prinzip des „anything goes“. Das erhebt das Spiel wiederum zur Aussage: „The game is rigged“, das Spiel vorherbestimmt, was nicht nur als selbstreferentielle Aussage verstanden werden kann. Selbst die Möglichkeit zu altruistischem Handeln ändert bis hin zum Ausgang des Spiels nichts, sie wird weder erwartet noch bewegt sie den Gang der Dinge. Strahlende Ritter erhalten keine Belohnungen, Schwarze Ritter keine Strafen. Das ist genauso düster wie Shadowrun – an postmoderner Moderne-Kritik wird nicht gespart, gerade weil das Spiel die Abgründe (zukünftiger) menschlicher Existenz zeigt. Schön wird es nie, hinter strahlender Hoffnung der Humanität liegen die tiefsten Tiefen moralischer Abgründe verborgen.

Shadowrun Returns – So viele Dialogoptionen gibt es selten
Shadowrun Returns – So viele Dialogoptionen gibt es selten

Trotz der Linearität fehlt dem Spiel – das hier dann doch zum Klassiker wird – der Komfort hochglanzpolierter Vollpreisproduktionen. Darunter zu fassen sind ärgerliche Kleinigkeiten wie der auch ohne Gegner nicht endende Rundenmodus, der das Verlassen oder abschließende Erkunden von Karten erschwert. Ebenfalls zu den Kritikpunkten des Spiels gehört das Interface. Dies liegt in der Abwesenheit einer vernünftigen Skalierung begründet; mit steigender Auflösung sowie Pixeldichte werden Texte unnötig klein.

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