GTA V im Test: Durchgespielt: Ein Urteil nach 50 Stunden
2/3GTA V auf einen Blick
Mit drei völlig verschiedenen Protagonisten, die in schneller, aber auch freier Folge gespielt werden, baut GTA V im Kern auf ein neues Erzählkonzept. „Vom Tellerwäscher zum (Unterwelt-)Millionär“ als prägendes Muster der Handlung gilt nur noch für Franklin, einen von drei Protagonisten. Die nunmehr insgesamt drei spielbaren Charaktere führen in einen Konflikt um alte Freundschaft und neue Probleme zwischen dem von Familienproblemen geplagten Ex-Ganoven Michael sowie dem unzurechnungsfähigen Psychopathen Trevor. Letztere betreffen sowohl das Trio als Ganzes als auch die jeweilig individuelle Lebenssituation: Jeder Protagonist hat auch eine eigene Geschichte mit eigenen Problemen, die gleichwohl mit der gemeinsamen Reise verbunden wurde.
Die vielfältigen Wechselwirkungen hat Rockstar erstklassig im Griff, was sich unter anderem in fließenden, nie gestellt wirkenden Übergängen zwischen den einzelnen Personen äußert. Innerhalb einzelner Missionen sorgt der Trio-Kniff dafür, dass der Spieler immer die jeweils interessante, handelnde Rolle übernimmt, oder, wenngleich selten, sich eine Rolle aussuchen darf. Hier gilt es allerdings lediglich, eine Entscheidung zwischen Fahren oder Schießen zu treffen. Zusammen mit häufigeren Checkpunkten wirkt die neue Mechanik deutlich straffend, was dem Spielgefühl sehr gut tut. Gleichzeitig entfallen durch Charaktersprünge lange Fahrzeiten, weil sich häufig genug ein Protagonist in der Nähe des nächsten Auftraggebers aufhält.
Insgesamt entsteht durch die derart erhöhte Actiondichte ein gut miteinander verwobenes Chaos, das die zumeist eher kurzen, aber mit zahlreichen Wendungen aufwartenden Missionen gehörig würzt. Die nur bei manchen Fahrzeugen zu nervöse Steuerung trägt dem neuen Konzept Rechnung; in der Regel haben Autos mehr Grip, kürzere Bremswege und ein neutraleres Fahrverhalten, wobei die Geschwindigkeit potentiell heraufgesetzt wurde. Fix durch den Feierabendverkehr zu wedeln war noch nie so leicht und unterhaltsam wie in GTA V.
Auf der von uns getesteten Version für die PlayStation 3 sorgten allerdings gelegentliche Einbrüche in der Bildwiederholrate für Einschränkungen, die reproduzierbar speziell in belebten Regionen der Karte auftreten. Ausschlaggebend ist die Geschwindigkeit der HDD, was mangels Disk insbesondere Käufer der digitalen Version des Spiels betrifft. Prinzipiell rät Rockstar daher auf der Xbox 360 von einer vollständigen Installation ab. Kleinere, ärgerliche Fehler wie ein nicht eingeblendetes Zeitlimit oder Probleme beim Speichern geklauter und für viel Geld modifizierter Autos zeugen zudem von weiterem Verbesserungsbedarf. Dass auch eine Woche nach Verkaufsstart Rockstars Online-Dienst Social Club nur sporadisch funktioniert und die Begleiter-App iFruit für das Hundetraining aktuell nur für iOS angeboten wird, besitzt für das Spielgeschehen hingegen nur minimale Relevanz.
Die zumeist enorm abwechslungsreichen Missionen mit zahlreichen Wendungen, das Zitieren großer Medienproduktionen, Action und flotte Sprüche mischen einen prickelnden Cocktail, der die ersten Stunden mit GTA V wie im Flug vergehen lässt: Die Story macht neugierig, während zumindest ein weiterer Charakter schnell eingeführt wird und für Abwechslung sorgt.
Die verkaterte Ernüchterung folgt dann allerdings auf dem Fuße: Einige eher eintönig gestrickte Missionen und kurze Raubzüge, die viel stupide Arbeit für kurze Höhepunkte voraussetzen, sorgen für Durchhänger, zumal sich die Welt als dünne Tapete entpuppt, an deren Farbe besser nicht gekratzt werden sollte. Abseits von der nicht immer logisch fortgeführten Story und brüchigen Charakterentwicklung fehlen konsistente Nebenmissionen, die den Namen verdienen, ebenso wie erzählerische Tiefe. Die Charaktere bleiben somit etwas blass, Umfeld, Herkunft und Person dienen vorrangig der Herleitung von Story und Verhalten, weniger der kritischen Auseinandersetzung mit Milieus oder Hintergründen. Schlussendlich bleibt GTA V zudem vergleichsweise vorhersehbar.
Kurze Begegnungen mit „Unbekannten und Freaks“ sowie zufällige Ereignisse sind nette Lückenfüller, aber auch dank der meist simplen Hol-, Bring- und Suchaufgaben nicht mehr als das. Die zahlreichen Minispiele ohne Belohnungen oder verknüpfende Narrative werden nach wenigen Minuten schnell langweilig – wenngleich die kurze Sightseeing-Tour durch die abwechslungsreich gestaltete Spielwelt mit zahlreichen authentischen Details Lust auf Mehr weckt. Querfeldein durch unterschiedliche Landschaften zu fahren macht in Verbindung mit dem hervorragenden Soundtrack mehr Spaß als je zuvor, zumal Baumaschinen, große und kleine Flugzeuge und sogar Züge der Weiterbewegung harren.
An Geld mangelt es hingegen nie, denn spätestens nach dem ersten Raubzug gehören monetäre Sorgen für Objekte des täglichen Bedarfs – Waffen! – der Vergangenheit an, wenngleich weitere Verdienstmöglichkeiten nur Spottbeträge einbringen. Umso bedauerlicher ist die Welt, die nur zum Erkunden, nicht zum Verweilen einlädt. Die anfängliche Euphorie klingt daher nach wenigen Stunden rasch ab, zumal die Einkünfte teils schlecht begründet so reduziert werden, dass erst nach Ende der Geschichte genug Summen für jedwede Art von Spielzeug und Grundbesitz, der allerdings, wenn überhaupt, kaum Einnahmen generiert, vorhanden sind. Der Höhepunkt: Ein 150.000 Dollar teurer Flughafen, der langweilige Fahrmissionen freischaltet, die 5.000 Dollar pro Tour einbringen.
Die große Welt zeigt Freiheit jedoch als inkonsistente Illusion: Es ist möglich, sein Auto waschen zu fahren, jedoch nicht in Geschäften ein neues zu kaufen. Hierfür muss das spielinterne Internet bemüht werden, worüber auch Aktienspekulationen getätigt werden können, während das Adressbuch im Smartphone in Anrufbeantwortern endet. Insgesamt gibt es zwar viel zu erleben, es fehlt jedoch an Tiefe. Spontane oder selbst geplante Überfälle sieht die Mechanik im Einzelspieler-Part nicht vor, sie sind dem Mehrspieler-Teil „GTA Online“ vorbehalten. Auf diesen scheint das Spiel vornehmlich ausgerichtet zu sein, denn viele Elemente, etwa der Faustkampf, aber auch die umfangreiche Planung der Überfälle, werden nur kurz angerissen und stiefmütterlich behandelt. Ein deutliches Zeugnis hierfür legt das Erfahrungs-System für angeheuerte Mitarbeiter ab, dem aufgrund der geringen Anzahl an Überfällen keinerlei Relevanz zukommt. Nur fünf Raubzüge mit einer Planungsphase, die sich auf die Wahl des Personals und des Vorgehens reduziert, sind für ein Spiel, das diese als Kernelement ankündigt, zu mager. Abseits der eigentlichen Geschichte bleibt Los Santos tendenziell eine leblose Stadt, deren Offenheit durch die letztlich lineare Story ein Stück weit entwertet wird.
In diesem Sinne passend angelegt ist die groß angekündigte Gesellschaftskritik, die sich weniger als bissiges Hinterfragen sondern vielmehr als breite Generalabrechnung entpuppt, die auf großer Bühne fast immer explikativ in Dialogen vorgetragen wird, aber wenig neue Ansichten bietet. Schmunzeln und Lachen lässt es sich prima, erneut aber fehlt Tiefe und Komplexität, was auch an der Breite der angeschnittenen Themen und Elemente liegt. Zu oft wird von Thema zu Thema gesprungen; in der fast zwanghaften Fixierung auf Abwechslung gehen interessante Charaktere und Spielelemente wie der optional mit Michael zu besuchende Psychologe Dr. Friedlander, eine Reminiszenz an die Mafia-Serie Sopranos, schlicht unter. Indem zwar Charaktere, aber nur sehr bedingt und viel zu selten Perspektiven gewechselt werden, vergibt Rockstar abseits des Spielendes zudem eine Gelegenheit zu Innovation auf erzählerischer Ebene.
Satire winkt, unter anderem in Form von Liveinvader als Facebook-Klon, serientypisch an jeder Ecke des Spiels. Ihr fehlt jedoch stellenweise die Relevanz, zumal teils sehr speziell amerikanische Positionen oder solche längst vergangener Debatten aufgegriffen werden. Es bleibt bei abwechslungsreicher Oberflächlichkeit auf großer Bühne; auf der inhaltlichen Seite erweckt Rockstar teilweise einen ziellosen Eindruck. Der Fokus liegt auf der gnadenlosen Unterhaltung um jeden Preis, zugunsten derer neben Geheimdiensten, Geldgier und Scheinheiligkeit, die in einem der glänzenderen Momente des Spiels ausgerechnet der Psychopath des Trios zielsicher aufdeckt, jedwede Angriffsfläche ausgenutzt wird – und sei es die unvermeidliche Jagd auf einen Toyota Prius stilecht im Monstertruck mit flachen Witzen über Öko-Autos – ein Schicksal, das auch dem Feminismus zuteil wird. Gleichzeitig sackt der Humor zu oft unter die Gürtellinie.
Neben Michael, Franklin und Trevor treten Penis, Anus und „Fuck“, im wörtlichen Sinne und als Wort selbst, als weitere Thementräger hinzu. Die permanente Obszönität wirkt schnell ermüdend, es fehlt in der ständigen Sexualisierung von Allem und Jedem zu oft an Kontrast. In den Worten des Spiels: „Maturely is not really my fucking thing“. Gerade das sollte es jedoch mindestens zum Teil sein, denn während Saints Row sich konsequent hemmungsloser Parodie widmet, stand GTA immer auch für einen im Kern ernsten Ansatz – zumindest aber etwas stilistische Abwechslung hätte dem Spiel gut zu Gesicht gestanden.
Die Ausrichtung des Titels bleibt durch den Schritt in Richtung flachen Witzes im Nirgendwo zwischen Humor jenseits gesellschaftlicher Konventionen und ernster Erzählung hängen, ohne sich eindeutig zu entscheiden – Kitsch gegen Ende inklusive, aber auch inklusive unnötig gewalttätiger Schockmomente, die vor allem der Kontroverse und indirekt den Absatzzahlen dienen. Die überaus „realistisch“ im Sinne nicht offensichtlich übertriebener Gewalt und damit maximal abstoßend als Minispiel ausgeführte Folter überdeckt durch die Art ihrer Darstellung jedes humoristisch-satirische oder kritische Element. Rockstar bedient somit, ohne die Ironie der Situation aufzugreifen, exakt das im Spiel so zahlreich kritisierte und parodierte sensationsgetriebene Verkaufs- und Verhaltensmuster.