Merkel-Abhörung rückt Netzpolitik wieder in den Fokus
Dass die NSA das Handy von Kanzlerin Angela Merkel bis zum Sommer abgehört haben soll, bringt Leben in die Aufklärung der Geheimdienst-Aktivitäten. Selbst NSA-Verteidiger wie Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) äußern deutliche Kritik und fordern Konsequenzen – wie diese genauso aussehen soll, bleibt aber unklar.
Die US-Administration müsse „lückenlose Informationen zu allen Vorwürfen“ liefern, also „wo und in welchem Umfang die Kommunikation von Bürgern und Staat abgehört“ wurde, forderte Friedrich in der Bild am Sonntag. Für Friedrich ist das eine komplett neue Tonlage, noch im August waren für ihn die „Vorwürfe, die erhoben wurden, […] völlig abwegig“. Nun sollen die Verantwortlichen juristisch belangt werden, Abhören wäre eine Straftat: „Wenn die Amerikaner Handys in Deutschland abgehört haben, haben sie deutsches Recht auf deutschem Boden gebrochen.“ Mehr als die vage Drohung mit rechtlichen Schritten verkündete Friedrich allerdings nicht.
Konkreter wurde der stellvertretende CDU-Fraktionschef Günter Krings, der sich gegenüber der Rheinischen Post für Projekte wie das „national routing“ der Telekom aussprach. Demzufolge soll die Bundesregierung künftig Projekte fördern, die das Ziel haben, innerdeutschen Datenverkehr nicht mehr über US-Server zu leiten. „Die Mails sollen also direkt von Köln nach Düsseldorf gehen und nicht erst über einen Server in den USA“, so Krings. Zudem fordert er ein „IT-Sicherheitsgesetz“, was in etwa der Meldepflicht entspricht, die seit geraumer Zeit von der EU-Kommission vorangetrieben wird. Ein entsprechendes Gesetz sieht vor, Unternehmen zu Kooperationen mit Sicherheitsbehörden zu verpflichten, wenn sie Opfer von Hacker-Angriffen werden. Krings zielt mit seinem Vorstoß insbesondere auf die Anbieter von Internetdiensten. Kerngedanke hinter dem Gesetz: Die Sicherheitsbehörden wollen erreichen, dass Unternehmen keine Hacker-Angriffe mehr aus Angst vor einem schlechten Ruf verheimlichen.
Ob solche Pläne in der Praxis vor Überwachung schützen, ist allerdings zweifelhaft. Wenn Unternehmen mit Sicherheitsbehörden kooperieren müssen, besteht insbesondere bei den Geheimdiensten das Risiko, dass diese die Informationen aus den Meldungen nicht nur verwenden, um Sicherheitslücken zu schließen, sondern die Kenntnisse auch für eigene Hacker-Angriffe einsetzen.
Netzpolitik nun doch Teil der Koalitionsverhandlungen
Bis Mittwoch spielte Netzpolitik in den Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD praktisch keine Rolle. Doch das hat sich mit der neuerlichen Eskalation des NSA-Skandals geändert. Selbst aus den Reihen der CSU werden nun lautstark Konsequenzen gefordert. Allen voran der Parteichef Horst Seehofer, der Zweifel an der Vorratsdatenspeicherung anmeldet. Konkret kritisierte er die Speicherfrist von sechs Monaten, diese wäre zu lang und würde zu viel Potential für Missbrauch bieten. Im Focus sagte Seehofer: „Bei allem Verständnis für die Innenpolitiker und die Notwendigkeit der Terrorbekämpfung ist spätestens jetzt klar, dass der Datenschutz gleichrangig ist.“ Datenschutz und Geheimdienst-Spionage beförderte er dementsprechend zu einer „sehr dringlichen Aufgabe der großen Koalition“. „Der Schutz der persönlichen Kommunikationsdaten“ müsse in den Koalitionsgesprächen eine zentrale Rolle spielen, so Seehofer.
Letztlich keine besonders präzise Aussage, bricht aber mit dem altbekannten Tenor der sicherheitspolitischen Hardliner rund um CSU-Innenminister Friedrich. Wie diese auf die Äußerungen des Parteichefs reagieren, bleibt abzuwarten. Ähnlich gestaltet sich die Lage in der Debatte um das transatlantische Freihandelsabkommen. Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) sagte dem Spiegel: „Wir sollten die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit den USA auf Eis legen, bis die Vorwürfe gegen die NSA geklärt sind.“ Bislang wurde das Abkommen vor allem von den Oppositionsparteien infrage gestellt.
Die künftige Opposition bestehend aus Linken und Grünen sparte nicht mit Kritik an der Bundesregierung. Die Linke wirft Innenminister Friedrich vor, beim „Grundrechtsschutz für die Bundesbürger eklatant versagt zu haben. „Wie die Dinge plötzlich anders liegen, wenn neben den Bürgerinnen und Bürgern jetzt auch die Kanzlerin selbst betroffen ist“, sagte Grünen-Chefin Simone Peter im Tagesspiegel. Uneinigkeit herrscht noch bei der Frage, ob nun im Bundestag ein Untersuchungsausschuss über den NSA-Skandal eingerichtet werden soll. Die entsprechende Forderung stammt von Grünen und Linken, mittlerweile hat sich die SPD angeschlossen. „Nur Aufklärung kann das schwer gestörte Vertrauen in den Schutz der Privatsphäre wiederherstellen“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann laut der Süddeutsschen Zeitung.
In diesem Punkt widerspricht CDU-Fraktionschef Volker Kauder. Die Spionage-Angriffe auf das Handy von Merkel bezeichnet er zwar als „Ungeheuerlichkeit, die Konsequenzen haben muss“, für die Aufklärung soll aber wie gehabt das parlamentarischen Kontrollgremium zuständig sein. Nur ein „geheim tagendes Gremium“ könne sich den Fragen „wirklich intensiv widmen“, so Kauder. Ansonsten bleibt er ebenfalls auf der bekannten Linie und lehnt es etwa ab, infolge der jüngsten Enthüllungen die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen auszusetzen oder komplett zu beenden.