Gran Turismo 6 im Test: Umfangreiches Fahrspiel mit Schaltproblemen

 2/3
Max Doll
115 Kommentare

Gran Turismo 6 auf einen Blick

Der Einstieg in die Welt schneller Wagen ist in Gran Turismo 6 holprig. Zur Begrüßung fordert das Spiel im zwangsweise zu absolvierenden Tutorial auf, einen mit 117 Pferdestärken üppig übermotorisierten Honda Jazz zu kaufen – und anschließend zu fahren. Mamma Mia! Für die Holzklasse mit einer Spitzengeschwindigkeit von mühsamen 160 Stundenkilometern, die viele Spieler selbst im Alltag bewegen dürften, braucht es schlicht keine virtuellen Ausflüge. Während Forza die Progression deshalb bei bereits interessanten Autos des sportlichen Segments mit zumindest moderater Leistung beginnen lässt, hat die Qual der Zeitlupenrennen hier immerhin in gewissem Rahmen Methode.

Lahmer Anfang: Scheintote 50-PS-Holzklasse
Lahmer Anfang: Scheintote 50-PS-Holzklasse

Zusammen mit den sechs unterschiedlichen Ligen führt das Voranschreiten im Schneckentempo langsam in das Spiel ein. Anspruch und Umfang der Rennserien steigen daher stetig an, wobei jeder Aufstieg das Absolvieren eines Fahrkurses voraussetzt, der mit unterschiedlichen, kurzen Herausforderungen in die Feinheiten des Schnellfahrens einführt. Sowohl ein Zeitlimit als auch verschiedene Untersätze und die Belohnung mit einem neuen Fahrzeug bei perfektem Abschneiden motivieren, zu experimentieren und zu üben. So lässt Polyphony Spieler langsam ein Gefühl für die korrekte Fahrzeugbeherrschung entwickeln. Alte Hasen werden trotzdem zum Idiotentest geschickt, denn vor Rennserie National A bleibt das Tor zum Online-Modus versperrt. Dass nicht alle Einzelrennen der stetig umfangreicher und anspruchsvoller werdenden Ligen absolviert werden müssen, tröstet da nur wenig.

Die ersten paar Stunden gehen demnach noch in gemächlichem Tempo über die Bühne. Nach dem geistigen Tiefschlaf zündet Gran Turismo jedoch den Turbo: Sonderveranstaltungen in Goodwood und Herausforderungen verschiedenster Art mit interessanten Fahrzeugen halten die Motivation hoch, während das Spiel schnell aus seinem riesigen Vorrat an Strecken und Untersätzen schöpft. Jederzeit mit Kontrasten aufzuwarten, garantiert stetiges Interesse. Der wortwörtliche Höhepunkt ist gar eine Strecke auf dem Mond.

Die offizielle Angabe von 1.200 Fahrzeugen ist jedoch bei Weitem zu hoch gegriffen und entpuppt sich als Augenwischerei erster Güteklasse. Polyphony zählt für solche Zahlen jegliche Modellvarianten mit, vom Facelift, regionaler Abwandlung, unterschiedlicher Motorisierung bis hin zum Lackkleid bei GT-Fahrzeugen. Allein der Mazda MX-5, der Spitzenreiter unter den Klonkriegern, findet sich daher gleich 35 Mal im Spiel vertreten – inklusiver zahlreicher Sondereditionen mit kaum mehr als zusätzlichen Chromleisten. Grundsätzlich werden asiatische Marken mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht; selbst der Klein- und Kleinstwagenhersteller Daihatsu ist mit einem umfangreichen, aber leistungsarmen Portfolio vertreten. Europäische Marken lassen dagegen den einen oder anderen Wunsch offen, sodass die hohe Nennziffer nicht automatisch allseitige Befriedigung motorisierter Gelüste garantiert. Werden derartige Tricks, alle Autos unterhalb asthmatischer 100 Pferdestärken sowie viertürige Familien-Vans aus dem Angebot herausgeschätzt, dürfte der tatsächlich verfügbare Fuhrpark um 50 Prozent geschrumpft sein. Eine immer noch beachtliche, aber nicht mehr völlig abgehobene Anzahl.

Bissig: Gruppe-B-Rally auf Schnee
Bissig: Gruppe-B-Rally auf Schnee

Ohnehin steht nicht alles dort geparkte in gleicher Qualität zur Verfügung. Viele aus älteren Serienteilen importierte Vehikel fallen trotz der angekündigten Bemühungen auf diesem Feld deutlich hinter die aktuellen, detailverliebten Umsetzungen zurück. Eine Cockpit-Ansicht fehlt zudem häufiger und wird durch schwarze Umrisse emuliert. Die hier an den Tag gelegte visuelle Qualität der entsprechend ausgestatteten Modelle schwankt ebenfalls erheblich. Beide Umstände werden nicht in den Menüs vermerkt und fallen frühestens bei der ersten Ausfahrt auf. Technisch scheint die PlayStation 3 aber mittlerweile ausgereizt: Leicht schwankende Bildraten und häufig auftretende Flimmertexturen müssen ebenso in Kauf genommen werden wie Klonelemente am Streckenrand, die in voller Fahrt aber untergehen.

Die Ladezeiten fallen im Gegenzug kurz und knackig aus, was den Next-Gen-Hardware-Vorteil eines Forza 5 in diesem Punkt zunichte macht. Überlautes Reifenquietschen aus der Retortenschleife und Motorensounds von Rasenmähern lassen die Wucht wummernder Motoren schmerzlich vermissen. Mit etwas Zynismus vermutet man deren Ursprung wie manche Fahrzeugmodelle ebenfalls in einem Spiel der vorletzten Generation. Dass Kollisionen in Bezug auf Akustik und Kollisionsverhalten stets an einen Pappkarton erinnern, der an einen Türrahmen schlägt, fällt da kaum mehr ins Gewicht. Die Atmosphäre hat schon längst einen herben Schlag abbekommen. Es ist schon erstaunlich, wie oft Gut und Böse in Gran Turismo ohne besondere Not Rücken an Rücken gestellt werden.

Dafür überrascht die Auswahl an Abwechslung, die Polyphony auf dem Silbertablett serviert. Rennen auf Schnee, im Regen oder Staub, bei Nacht oder Tag – quasi jedes Szenario wird rund um die Welt zwischen Monaco, Spa, Laguna Seca oder der Nordschleife auf 37 Strecken und in insgesamt 100 Variationen abgedeckt. Auf der zweiten Säule eines Rennspiels, dem Fahren sonst finanziell unerreichbarer „Luxushobel“, steht Gran Turismo weniger sicher. Anders als noch im Vorgänger, gibt es keinen schnellen Weg, an Credits zu gelangen; Autos in Form einer Belohnung werden nur selten übergeben – zu selten. Der vierrädrige Spielplatz bleibt in vollem Umfang hinter verschlossenen Türen. In einem Rennspiel, in dem es letztlich um Autos geht, eine schlechte Entscheidung.

Der Wunsch, vor allem einfach schnell zu fahren, verträgt nur in einem begrenzten Rahmen Grinding, das hier zu wenig Belohnungen und zu viele Durststrecken mit sich bringt. Die kontrovers aufgenommene Implementierung von Mikrotransaktionen hat insofern durchaus Auswirkungen auf das Spieldesign und sei es nur, indem sie eine bessere Lösung verhindert. Da weniger Autos verschenkt werden, es aber sehr viele Möglichkeiten gibt, Credits auszugeben, bleibt hier ein übler Nachgeschmack. Zwar sind alle Inhalte kostenfrei zugänglich, aber nicht unbedingt auch erreichbar. Die Preisgestaltung entbehrt ohnehin jeglicher Bodenhaftung: Für die teuersten Fahrzeuge verlangt Polyphony umgerechnet 140 Euro, was selbst lächerlich teure Unlock-DLCs anderer Spiele vor Neid erblassen lässt.

Polyphony bewirbt die Möglichkeit zum Kauf von Credits anders als Forza 5 nicht offensiv, sondern verbannt sie dezent in den PSN-Store, wesentlich besser wird ihre grundsätzliche Einbindung damit aber nicht. Auf eigenes Risko gibt es aktuell zudem eine kostenlose Möglichkeit für „vielbeschäftigte Menschen“, an frische Credits zu gelangen. Erstaunlicherweise leidet der Spaß am Spiel durch diese „Cheats“ nicht im Mindesten. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, was zeigt, welchen Hintergrund die Mikrotransaktionen tatsächlich haben und inwieweit Spielvergnügen hinter Grinding-Barrieren versteckt wird.

Ungeachtet dieser Querelen hat Gran Turismo durchaus eine Menge Benzin im Blut: Das umfangreiche Tuning, optische Spielereien bis hin zur Wagenwäsche oder der Kauf eines Rennanzuges rücken das Auto samt Drumherum in den Fokus. Die Atmosphäre stimmt also, was der Fahreindruck nachdrücklich bestätigt. Unterschiedliche Fahrzeugkonzepte werden nachvollziehbar und glaubwürdig auf die virtuelle Strecke übertragen, Schrauber finden eine Vielzahl an Stelloptionen. Untergründe von Asphalt bis Schnee, Regen, Federeinstellungen, Gewicht, Antriebskonzept und Radstand wirken sich auf das aus, was der Spieler auf dem Bildschirm erlebt. Kart oder Musclecar geben daher grundverschiedenes Feedback.

Das Feintuning der Spielerfahrung über die Fahrhilfen bleibt Nutzern des DualShock-Controllers jedoch verschlossen. Speziell das schwammige Feedback des Sony-Eingabegeräts verhindert das Ausloten der kompletten Fahrphysik. Forza 5 hat hier den eindeutigen Vorteil komplett neuer Hardware, die den Controller durch das feinsinnige Force-Feedback deutlich aufwertet – unterstützt im Gegenzug aber aktuell lediglich zwei teure Lenkräder. Gran Turismo schränkt bei der Wahl des Eingabegerätes weniger stark ein, benötigt ein Steuerrad jedoch viel eher, soll das gesamte Potential der Simulationsaspekte erweckt werden.

Ohne Fahrhilfen und Lenkrad sind Dreher an der Tagesordnung
Ohne Fahrhilfen und Lenkrad sind Dreher an der Tagesordnung

Spannung in den (Solo-)Rennen resultiert vor allem aus dem Fehlen einer Rückspulfunktion. Zwar verzeiht die KI dank massivem Gummiband Fehler, jeder Ausrutscher speziell in potenteren Klassen birgt aber das massive Risko verlängerter Pirouetten in sich. Deren Ende versetzt oft genug ans Ende des Feldes, weshalb das Risko, stets am absoluten Limit zu fahren, wohlkalkuliert sein will. Ausgeglichen wird dieser Umstand durch das miserable Kollisionsverhalten und das ausgesetzte Regelwerk: Nur in Herausforderungen wird das Verlassen der Strecke geahndet. In Meisterschaften gewähren das Bremsen mit der Stoßstange und das unverfrorene Abkürzen quer über die Wiese massiven Zeitgewinn. Eine Simulation von Benzinverbrauch, Reifenverschleiß – beide sind nur in der höchsten Serie verfügbar – sowie etwaiger Kollisionsschäden, die visuell nie mehr als Kratzer auf dem Niveau eines Parkplatzremplers zurücklassen, bleibt jedoch wie komplette Rennwochenenden quasi dem Mehrspielermodus vorbehalten. Dieser bietet diesbezüglich mehr Simulation und viele Stellschrauben, ein Quickmatch für die Runde zwischendurch fehlt gleichwohl.

Staubstrecken in der Toscana
Staubstrecken in der Toscana

Bei der KI wird Gran Turimo nicht nur von Forzas Drivataren schlicht von der Strecke gefegt. Die Computermannen wechseln erratisch ihre Linie, kriechen im Scheitelpunkt der Kurve und fahren streng nach Skript. Führende bekommen einen Turboboost, Verfolger in abgeschwächter Form: Der VW Golf IV wird im Rückspiegel des Ferrari Enzo auch bei 300 Stundenkilometern nicht wirklich kleiner. Die Absurdität dieses Anblicks wird nur übertroffen vom Schleichgang, den um zehn und mehr Sekunden entrückte Konkurrenten an den Tag legen, sofern der Spieler kein anderes Fahrzeug mehr vor sich hat. Alle Turbobeschleuniger entfallen erst in der letzten Runde. Dort wird auf diese Weise eine Siegchance gewährt, die aufgrund des teils großen Rückstands nicht immer tatsächlich in Reichweite liegt. Was theoretisch Spannung verheißt, erweckt praktisch Frust, weil die Künstlichkeit der Situation stets präsent ist. Stets erinnert das Spiel daran, keine Gegner, sondern Skripte bereitzustellen. Die eigene Situation hängt deshalb nur zum Teil vom Können ab und unterliegt nur in sehr engem Rahmen der eigenen Kontrolle, was nicht annähernd hinter der nötigen Illusion von Realität versteckt wird. Das ging schon vor Jahren besser.

Nachtrennen punkten durch Atmosphäre
Nachtrennen punkten durch Atmosphäre

Hilfe wird nur indirekt angeboten, denn die Leistungsfähigkeit der Skriptfahrer kann nicht angepasst werden. Deren Fahrzeuge in den Rennserien skalieren zumeist aber nicht mit dem des Spielers, sodass sich hier ohne Weiteres ein Vorteil erlangen lässt. Den Spaßfaktor konstruiert Gran Turismo 6 daher klar über die Fahrphysik einerseits sowie den hohen Grad an abwechslungsreichen Szenarien, Strecken und Fahrzeugen andererseits. Das Rennfahren selbst ist zumindest im Einzelspielermodus eine unspektakuläre Angelegenheit, welche hinter dem Fahren an sich zurückbleibt. Die Motivation muss deshalb vor allem aus der Vielzahl an Spielinhalten, nicht primär der Atmosphäre resultieren.