EuGH: Sperrung von Webseiten rechtlich gedeckt

Maximilian Schlafer
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Die Sperrung von Webseiten durch Internetprovider kann unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein. Zu diesem Schluss kommt der EuGH in seinem heute veröffentlichten Urteil zur Rechtssache C-314/12. Die Webseite muss dafür nachweislich urheberrechtsverletzende Inhalte beinhalten.

Bereits Ende 2013 hatte der Generalanwalt Villalón in einem Schlussantrag diese Rechtsansicht vorgetragen. Wie üblich folgte der EuGH auch in diesem Fall den Ansichten der Generalanwaltschaft. Die Rechtsgrundlage für die Sperren bietet Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 2001/29/EG (PDF), wo die notwendige „richterliche Anordnung gegen Vermittler“ genannt ist.

Verfahrenshergang

Constantin Film und Wega, beides Filmproduktionsgesellschaften, stellten dereinst fest, dass die Webseite kino.to von ihnen produzierte Werke – unter anderem „Das weiße Band“ – zum Download anbot beziehungsweise zum Streaming bereithielt. Deswegen wandten sie sich an das Handelsgericht Wien in erster Instanz und suchten um vorläufigen Rechtsschutz an. Dieser wurde in Form eines Beschlusses am 13.05.2011 gewährt, welcher dem Provider UPC Telekabel auftrug, seinen Kunden den Zugriff auf kino.to zu sperren. Das sollte per Domainblockaden und IP-Sperren erfolgen.

UPC Telekabel ergriff dagegen einen Rekurs an das Oberlandesgericht Wien, welches am 27.10.2011 den Beschluss weitgehend bestätigte. Man stieß sich lediglich am Umstand, dass das Erstgericht die Wahl der Sperrmittel präzise vorgeschrieben hatte, was man dann abänderte. UPC zog daher mittels Revisionsrekurs vor die höchste österreichische Zivilinstanz – den OGH. Dort brachte man vor, dass die Sperren umgehbar und teilweise kostspielig in der Aufrechterhaltung seien. Zudem berief man sich darauf, dass ein rechtswidriges Handeln der eigenen Kunden nicht erwiesen sei.

Bedingt durch hier einschlägiges Unionsrecht – Richtlinie 2001/29/EG – rief der OGH daraufhin am 11.05.2012 den EuGH mit der Bitte um Vorabentscheidung an und setzte das Verfahren aus. Letzteres ist nötig, um Fristenläufe zu unterbrechen.

Urteilsspruch

Die eine Frage war, ob Urheberrechtsverletzer sich mit ihrer Webseite auch der Dienste von Providern bedienen, deren Kunden auf die verletzten Werke zugreifen können, und ob es grundrechtlich zulässig ist, einem solchen Provider die allgemeine Sperre einer – ausschließlich oder zumindest überwiegend – urheberrechtsverletzenden Webseite aufzutragen. Diese Fragen sind insofern relevant, weil bei Verneinung der ersten durch den EuGH der besagte Sperr-Beschluss hinfällig wäre. UPC würde dann nämlich nicht unter die Providerdefinition der obigen Richtlinie fallen. Würde er die erste hingegen bejahen, so kommt die zweite Frage ins Spiel. Sie behandelt die Thematik, ob ein solcher Beschluss auch grundrechtskonform wäre.

Die erste Frage wurde bejaht, womit der EuGH der Argumentation von UPC Telekabel den Boden entzieht, kein Vermittler im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zu sein. Wäre dem so, wäre wie erwähnt eine wichtige Voraussetzung für die genannten Beschlüsse der österreichischen Gerichte weggefallen und die Sperranweisung ohne Grundlage. Bei der zweiten relevanten Frage bejaht der Gerichtshof die Vereinbarkeit mit den europäischen Grundrechten (Randnummer 64). Er schränkt jedoch ein, dass zum einen keine Mittel der Umsetzung vorgeschrieben werden dürfen. Auch muss zum anderen die Möglichkeit für den Provider bestehen, Beugestrafen zu entgehen, indem er nachweist, alles Zumutbare getan zu haben.

relevante Vorlagefragen und Antworten im Wortlaut

Er stellt zudem fest, dass hier drei Grundrechte involviert sind: das Recht auf geistiges Eigentum durch die Filmproduktionsgesellschaften, das Recht auf unternehmerische Freiheit des Providers und das Recht auf Informationsfreiheit der Internetnutzer.

In puncto Recht auf geistiges Eigentum erkennt er folgendes:

  • der Schutz des Rechts auf geistiges Eigentum nach Artikel 17 Absatz 2 Grundrechtecharta ist „nicht schrankenlos
  • sein Schutz ist daher „nicht notwendigerweise bedingungslos zu gewähren

In puncto unternehmerischer Freiheit erkennt er folgendes:

  • die Wahl der Mittel zur Durchführung der Sperre liegt beim Provider, er kann sich für jene Maßnahmen entscheiden, „die seinen Ressourcen und Möglichkeiten am besten entsprechen und mit den übrigen von ihm bei der Ausübung seiner Tätigkeit zu erfüllenden Pflichten und Anforderungen vereinbar sind
  • die Maßnahmen müssen „hinreichend wirksam“ sein, also unerlaubte Zugriffe durch Internetnutzer des Providers auf das geschützte Werk verhindern oder zumindest erschweren
  • auch wenn sie nicht vollständig wirksam sind, sind sie nicht per se unverhältnismäßig für den Provider (Randnummer 63)
  • der Provider kann sich von seiner Haftung befreien, wenn er beweist, dass er alles Zumutbare unternommen hat; er muss also keine „untragbaren Opfer erbringen“, was damit begründet wird, dass er auch nicht der unmittelbare Verletzter des Schutzrechtes ist
  • der Provider muss bei der Umsetzung der richterlichen Anordnung auch die Informationsfreiheit der Internetnutzer beachten; die Sperrmaßnahmen müssen daher streng zielorientiert sein (Randnummer 56), andernfalls wären sie nicht gerechtfertigt

In puncto Informationsfreiheit erkennt er folgendes:

  • Internetnutzern darf nicht unnötig die Möglichkeit vorenthalten werden, auf rechtmäßige Weise Zugang zu verfügbaren Informationen zu erhalten

Kritik

In ersten Reaktionen begrüßen die Sprecher der Filmproduktionsgesellschaften die Entscheidung. Kritiker – wie etwa die ISPA in ihrer Pressemitteilung – sehen in dem Urteil jedoch einen weiteren Schritt zu mehr Zensur im Internet. Und auch dem Missbrauch sei in Zeiten überlasteter Gerichte und Entscheidungen im Eilverfahren mit diesem Urteil Tür und Tor geöffnet – zu schnell sei ein richterlicher Beschluss auf Basis der einseitig vom Rechteinhaber vorgebrachten Indizien durchgewunken. Der betroffenen Webseite werde vorab keine Möglichkeit der Verteidigung gegeben.

Dieser Umstand ist allerdings den jeweiligen nationalstaatlichen Verfahrensregeln geschuldet, auf die der EuGH keinen Einfluss hat. Ersteres geht zudem sowohl aus Randnummer 43ff des Urteils als auch aus Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 2001/29/EG hervor. Dementsprechend haben die nationalen Gesetzgebungskörper hier einen gewissen Spielraum, die Materie nach ihren Vorstellungen zu regeln.

Abschließend ist anzumerken, dass das vorlegenden Höchstgericht nach Webseiten fragte, die „ausschließlich oder doch weit überwiegend Inhalte ohne Zustimmung der Rechteinhaber zugänglich“ machen. Der EuGH ist auf diese Differenzierung allerdings nicht eingestiegen und hat das Urteil weiter gefasst.

Das Urteil ist im Volltext unter dem Aktenzeichen C-314/12 hier abrufbar.